Ein Garten für den Wal

Ein Garten für den Wal
Ein Garten für den Wal
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Sigrid Tinz
89%1001

Kinderbuch-Couch Rezension vonJun 2016

Idee

Der Wal wohnt mitten im Ozean, hat alle Freiheit der Welt – und wünscht sich nichts mehr als einen Garten. Den er bekommt - aber anders als gedacht.

Bilder

Bunt wie ein Garten voller Sommerblumen u. auch so abwechslungsreich: mal seitenvoll, mal kleine Szenen, mal satte Farben, mal klarer Strich. Es gibt immer was zu entdecken. Illustr. v. Annemarie van Haeringen

Text

Ein Märchen, langsam erzählt, der Inhalt voller Action, lautmalerisch und bildhaft, mit Poesie, Lebensweisheit und feinem Humor. Übersetzung aus dem Niederländischen Andrea Kluitmann

Der Wal wohnt mitten im Ozean. Dort hat er so viel Platz, wie er nur will. Und eigentlich braucht er auch nicht mehr. Nur: er hätte sooo gerne einen Garten. Mit einer Bank, auf der er sich abends gemütlich ausruhen kann.

Ein Garten, mit Sonnenblumen und Hortensien, ein bisschen Wiese drumherum & nicht viel muss es sein, vielleicht noch einen Zaun mit Rankepflanzen oder eine Hecke, ein kleines Kräuterbeet, einen Schuppen mit einem kleinen Fenster und einer Tür die klemmt...

Der Garten als Sehnsuchtsort, damit erreichen Zeitschriften wie Landlust oder Landkind beispiellose Auflagenzahlen, verdienen Gartenmöbelhersteller und Deko-Versandshops ein Heidengeld, mit diesem Bild werden Würstchen aus Massentierhaltung, H-Milch und Fertiggerichte beworben. Und auch das größte, stattlichste Tier auf Gottes schöner Erde, der Wal, der eigentlich alles hat was er braucht, dem das ganze Meer gehört und dem kaum jemand was anhaben kann, der springen kann wie er will, hoch hinaus aus dem Wasser und beim Eintauche einmal mit der Schwanzflosse aufs Wasser schlagen kann, dass es nur so spritzt, auch der Wal hätte gerne einen Garten. Das ist der Titel dieses Buches und damit geht es auch gleich los.

"Einen eigenen Garten, und wenn es nur ein winzig kleiner wäre, mit einer Bank, auf der man sich am Ende des Tages, wenn die Sonne unterging, behaglich zurücklehnen konnte, eine Holzbank und drum herum lauter Blumen."

Nachts, wenn er mal nicht schlafen kann, stellt er sich das alles ganz genau vor. Oder er dreht sich auf den Rücken, schaut in den Sternenhimmel und stellt sich vor, wie es aussähe, wenn der Mond einen Garten hätte. Und wenn er schläft, dann träumt er von seinem Garten, davon, wie das Eichhörnchen mit einem Boot vorbeigerudert kommt, um ihn zu besuchen und um mit ihm zu spielen.

Alles sehr fantastisch und märchenhaft, ein Traum eben, aber als der Wal wieder wach ist, geht es genauso traumhaft und fantastisch weiter und die Geschichte wird zu einem richtigen Märchen. Der Wal hat nämlich eine Idee: Wie wäre es, wenn er einen Garten auf seinem Rücken anlegen würde? Dann hätte er endlich seinen Wunsch erfüllt und könnte jede Menge Besuch bekommen, alle möglichen Tiere, vom Nilpferd bis zum Nashorn, vom Haifisch bis zum Albatros, würden kommen und es schön finden bei ihm, natürlich auch das Eichhörnchen. Also schreibt der Wal dem Grashüpfer einen Brief, denn der hat am Waldrand ein Geschäft in dem er alles verkauft, was die Tiere haben wollen.

"Lieber Grashüpfer", schreibt der Wal, "ich möchte etwas bestellen. Gern hätte ich eine Bank auf meinem Rücken, für Besuch, zum Hinsetzen, mit Lehne. Aber eigentlich möchte ich einen Garten mit einer Bank, einen Springbrunnen habe ich schon. Ich kann nicht so leicht zu Dir kommen, könntest du alles hierher liefern? Ich wohne mitten im Ozean."

Und weil es ja ein Märchen ist, ist es gar kein Problem und absolut möglich, dass der Grashüpfer alles erst auf seinen Rücken packt und dann in ein Boot, zum Wal rudert und segelt und dann auf dessen Rücken buddelt, pflanzt, werkelt und baut, bis obendrauf auf dem Wal ein wunderschöner Garten angelegt ist: Sonnenblumen, Veilchen, Stockrosen und einen Apfelbaum. Jede Seite in diesem Buch hat Bilder, mal fast ganzseitig voll koloriert, mal nur gezeichnet und in kleinen Einzelszenen um die Buchstaben herum verteilt, immer wieder neue Ergänzungen zum Text und hübsche Details. Der Wal ist ein freundlicher Kerl und auch alle anderen Tiere sind liebenswert und charaktervoll dargestellt, die Farben sind grün und gartenblumenbunt.

Und jede Seite bietet ordentlich Text zum Vorlesen für ein Bilderbuch, so viel, dass Dialoge und Beschreibungen nicht nur mit ein paar Sätzen auskommen; und so wenig, dass kleinere Kinder nicht ungeduldig werden. Haben sie das Bild ausreichend betrachtet, geht es schon weiter auf die nächste Seite. Neben den Träumen und Wünschen des Wals und den Gartenbauaktivitäten des Grashüpfers sind viele kleine, nette, lebenskluge, hintergründige Dialoge in die Handlung eingeflochten. Zum Beispiel trifft der Grashüpfer ein Bison, das sich auch einen Garten wünscht, aber einen endlosen, ohne Horizont, nur mit Gras und Himmel und keiner Bank oder was auch immer. Oder als der Wal während der Bauphase den Grashüpfer fragt und fragt: ob er auch Rhododendron hat und Flieder und Weißdorn und Veilchen und eine Schaukel für die Gäste, einen Spaten und eine Schubkarre, wenn Unkraut kommt und dann irgendwann besorgt fragt, ob es so aussieht, dass er den Hals nicht voll bekommt?

"Aber nein", antwortet da der Grashüpfer, "du kannst den Mund nicht voll bekommen, du bist voller Worte, aber das finde ich nicht schlimm." "Voller Worte", sagt da der Wal, das bin ich wirklich. Es gibt auch immer so viel zu sagen."

Am Ende hat der Wal seinen Garten. Und viel Besuch, vom Nilpferd bis Nashorn, vom Haifisch bis zum Albatros, die es sich alle auf seinem Rücken gut gehen lassen. Er selbst aber kann immer noch nicht auf einer Bank in der Abendsonne sitzen, er kann sich nicht mehr auf den Rücken drehen und den Mond anträumen, er kann nicht mehr springen und mit der Schwanzflosse aufs Wasser klatschen. Und am Ende springt er vor Ärger darüber doch, er schießt hoch aus dem Wasser in die Luft und dann wieder tief nach unten, der ganze Garten wird von seinem Rücken gespült und alles treibt davon, die Bank, der Schuppen, die Sträucher, der Apfelbaum. Und dann springt er noch mal und noch mal bis die letzte Erde, der letzte Kies von seinem Rücken gespült ist.

"Dann eben keinen Garten", denkt er, "dann eben keine Bank, und sich nicht zurücklehnen, die Sonne im Gesicht. Ich muss aus dem Wasser springen können und dann tief nach unten tauchen. Das muss ich einfach."

Die Botschaft ist nicht sonderlich plakativ und aufdringlich, sondern eher lose im Text angelegt, aber sie kommt natürlich an: der Wal wünscht sich wie wir alle immer irgendwie das, was er gerade nicht hat, was andere haben oder was uns Zeitgeist und Gesellschaft einreden, haben zu wollen. Und wenn es auch noch etwas ist, was man eigentlich gar nicht haben kann, wird man nie glücklich werden. Stattdessen besinnt er sich lieber auf das, was er hat und kann und versucht die Vorteile davon zu genießen.

Fazit:

Eine schöne Geschichte, poetisch und lustig, langsam erzählt, aber voll mit Action. Ein Bilderbuch zum Vorlesen, perfekt für Kinder, die schon mehr Text verkraften als ein paar Sätze, aber noch nicht die Geduld haben, richtigen Büchern zu lauschen.

Sigrid Tinz, Juni 2016

Ein Garten für den Wal

Toon Tellegen, Gerstenberg

Ein Garten für den Wal

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