Es hat geschneit, endlich, und der kleine Junge will raus: in den Schnee, in dem noch unberührten Weiß seine Spuren legen, am liebsten als erster. Sein Opa hat die Ruhe weg und macht sogar noch Witze, als der Kleine drängelt, dass schon die halbe Nachbarschaft unterwegs sei: "Wahrscheinlich der halbe Zoo." Und genau das passiert.
"Als ich heute aufwachte, war alles weiß", mit diesen Worten beginnt die Geschichte, gesagt von einem kleinen Jungen, der auf der gleichen Seite mit Stielaugen aus seinem Fenster schaut, denn es schneit! "Und ich wollte rasch hinaus, ich wollte in den Park." Er macht sich in Windeseile fertig, ruft seinen Opa, "wir müssen hinaus." Damit sie die ersten sind: im weißen, glatten noch unberührten Schnee. Und dieser weiße, unberührte Schnee ist genauso gemalt, dass der Leser und Betrachter die Lust förmlich spürt, raus zu gehen, drüber zu laufen, Spuren in den Schnee zu machen, am besten und am liebsten als erster, genau wie der Junge. Die schneebedeckte Wiese nimmt fast die ganze Doppelseite ein, oben ist nur ein Stück vom Haus und ein bisschen vom Himmel, aus dem immer noch dicke Flocken fallen.
Aber: wie das so ist mit den Erwachsenen, gleich heißt nicht sofort, sondern später, denn erst muss Opa duschen, und rasieren und sich anziehen und darauf achten, dass der kleine Junge sich richtig anzieht mit Mütze, Schal und Handschuhe. Das wird sehr originell in kleinen Einzelszenen gezeigt und beschrieben. Und zwischen den einzelnen Schritten dieses großväterlichen Morgenrituals schaut der Junge immer mal wieder nach draußen (und wir Leser auch) auf die große weiße Schneefläche. Und dann ist es irgendwann zu spät, das erste Kind spaziert schon durch das frische Weiß, dann immer mehr und beim nächsten Kontrollblick toben ganze Familien mit Schlitten und Hunden fröhlich und wild über die Doppelseite. Auf der der Schnee längst nicht mehr frisch und unberührt ist. Opa ist immer noch die Ruhe selbst. Auch als der Junge traurig fleht: "Bitte Opa! Die halbe Nachbarschaft ist schon draußen!" lacht Opa nur: "Wahrscheinlich ist der halbe Zoo unterwegs!"Und bindet sich seelenruhig seine Krawatte.
Bisher war es eine Wintergeschichte, die so oder ähnlich sicherlich häufiger passiert; die - wenn sie nicht so bunt und komisch illustriert wäre - fast ein bisschen traurig wäre, weil der Opa doch vielleicht auch mal ohne Krawatte raus könnte und weil er einfach nicht kapiert, wie wichtig es dem Kind ist, in den frischen Schnee zu kommen. Die ab jetzt fantastisch und turbulent wird, denn tatsächlich ist da draußen ein Affe unterwegs auf der großen Schneefläche. Kann das sein? Ja, das kann. Und nicht nur ein Affe ist unterwegs, sondern tatsächlich der halbe Zoo! Ein großer, grauer, sanfter Elefant mit grün-weiß-geringelter Zipfelmütze, Affen, ein Vogel Strauß mit getupften Ohrenwärmern, ein Pinguin, ein Walross, eine Giraffe und alle - Kinder und Tiere - spielen zusammen und liefern sich am Ende eine wilde, lustige, schnelle, fröhliche Schneeballschlacht; bei der auch Opa abgeht wie Schmidts Katze. "Er konnte fast nicht mehr aufhören."
Und letztendlich von unserem kleinen Jungen nach Hause gezerrt wird: weil gefrühstückt haben die beiden ja noch nicht. Als die beiden bei Kaffee und Kakao am Tisch sitzen, und sich über diesen spaßigen Morgen unterhalten, lässt der Opa gleich noch einen Spruch: "Manchmal lohnt sich eben ein bisschen Geduld." Da könnte man sich fast wieder ärgern über diesen alten Besserwisser, denn der Junge hätte ja erst seine Spuren in den Schnee machen und dann immer noch mit den Tieren spielen können. Aber, der ist recht gelassen. Er denkt sich seinen Teil: "Vielleicht hat er recht", aber eigentlich ist das auch gar nicht wichtig. "Wichtiger ist es, dass es morgen wieder schneit."
Insgesamt hat das Buch wenig Text, eigentlich nur die Dialoge und Gedanken des Jungen, die die vielen großzügigen Bilder unterstreichen. Beides lässt viel Luft und Freiraum, um sich beim Vorlesen mit den Kindern zu unterhalten, wie sie das Verhalten des Opas finden, ob sie auch diese Lust auf unberührten Schnee kennen, oder wann und was sie im Schnee schon erlebt haben. Andererseits funktioniert das Buch auch ohne lange Gespräche, einfach anschauen und runterlesen und dann ist es ein sehr schönes, eher kurzes Buch, ideal für Winterabende, an denen es wegen einer Schneeballschlacht mal später geworden ist und die Zeit nicht mehr für eine lange Gute-Nacht-Geschichte reicht. Denn das ist eine Lehre: Wenn es mal so richtig schneit, dann ist es das Allerwichtigste, statt Alltagsroutinen abzuarbeiten, den Schnee zu genießen. Denn im echten Leben wird kein halber Zoo kommen.
Fazit:
Viel Schnee und viel fröhlich bunt gezeichnete spielende Kindern, Alltag und gleichzeitig Abenteuer: Denn als der Opa endlich, endlich fertig ist um mit seinem Enkel in den frisch gefallenen Schnee zu gehen, ist der halbe Zoo da und Elefanten, Giraffen und Pinguine spielen mit. Ein richtig schönes Winterbuch voller Fantasie und sehr lebensklug zwischen den Zeilen.
Sigrid Tinz, März 2016
Deine Meinung zu »Mein Schneetag«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!