Fechten, Reiten, auf die Jagd gehen - das Leben des jugendlichen Grafensohns Lukas ist wie ein großes Abenteuer. Aber der Junge lebt zur Zeit des 30-jährigen Krieges und der steht auch vor dem heimischen Burgtor: die Inquisition holt seine Mutter, um sie als Hexe zu verhören, seine Schwester wird entführt und sein Vater, Friederich von Lohenstein, getötet, beim Versuch, sie zu befreien. Lukas flüchtet, mittellos und auf sich allein gestellt, aber am Leben gehalten von dem Gedanken, seine Schwester Elsa zu befreien.
Die meisten Bücher liest man als Kritikerin mit einem gewissen Notizbuch im Kopf, registriert die Formulierungen, den Plot, oder versucht, die Perspektive eines Kindes einzunehmen, denn uns Erwachsenen entlockt so manches ja nur ein müdes Achselzucken, was Kindern wohlige Gänsehaut beschert oder worüber sie sich halb Totlachen können. Und manchmal blättert man auch schon mal ein paar Seiten weiter, weil man ja weiß, was kommt.
Bei diesem Buch ist es anders: Es geht mit einem großen Knall los, mit einem Überfall auf ein Kloster im Prolog und steigert sich dann langsam, mit dem Geburtstag des nun 13-jährigen Lukas von Lohenstein, an dem die heimatliche Burg überfallen wird, der Vater getötet, die Mutter als Hexe verhaftet und die kleine Schwester vom Inquisitor entführt wird. Und schon steht man zusammen mit dem Jungen als einsamer Flüchtling auf der Straße, mittellos und auf sich allein gestellt, aber am Leben gehalten, von dem Wunsch, seine Eltern zu rächen und seine Schwester Elsa zu befreien ... und schon ist man auf Seite 49 ohne sich irgendeinen Gedanken gemacht zu haben oder gar eine Notiz.
Okay, es ist ein Buch für die älteren, da kann man als Autor auch ein bisschen dicker auftragen, bei Spannung, Satzlänge, Inhaltsdichte, Humorfinessen und Zwischen-den-Zeilen- Botschaften. Aber es gibt genügend Bücher auch für diese Altersstufe, die den Leser nicht so hineinziehen und nicht mehr loslassen. Dieses hier ist übrigens offiziell ab 12 Jahren empfohlen, aber auch deutlich jüngere, 9, 10, 11-jährige mögen es sehr. Nicht alle, klar, aber speziell Jungen, deren Leselust nach der Buchstabierphase irgendwie dahin zu dümpeln scheint. Nicht weil sei nicht können, sondern weil es wenig gibt, was sie packt. Und die dann auf einmal die Nächte durchlesen, wenn sie den richtigen dicken, spannenden Schmöker in die Hand bekommen. Ob das eigene Kind dazugehört, wissen die Eltern selbst am besten.
Denn ein bisschen müssen die Kids aushalten können. Einerseits ist es nämlich wunderbar gelungen, wie Lukas von Lohenstein Identifikationsfigur funktioniert. (Unter anderem, weil das Buch Parallelen zur heutigen Lebenswelt zieht, die historisch vielleicht gar nicht so waren - dass der Vater Gutenachtgeschichten erzählt, die Mutter Vokabeln abhört, Lukas sich Gedanken über Sinn und Unsinn von Kriegen macht, beinahe so pazifistisch wie ein Kind des 21. Jahrhunderts - aber das ist eben das Wesen eines fesselnden historischen Romans und der Unterschied zu einem historisch korrekten Sachbuches.)
Andererseits kommt durch diese starke Identifikation das ganze Geschehen dem Leser natürlich auch sehr nahe: Schock, Trauer, Angst, Wut, Einsamkeit, Hunger, Kälte, Schmerzen. Wie Lukas durch den Odenwald irrt, Essen stiehlt, sich einer Kinderbande anschließt.
Ein bisschen abgemildert dadurch, dass seine Mutter - die als Hexe verbrannt worden ist - nach wie vor bei ihm zu sein scheint, als leuchtende blaue, von Glitzersternen umschwirrte Wolke und in Gedanken manchmal mit ihm spricht.
Und es wird alles stetig ein bisschen besser: Lukas schließt sich einer Gauklertruppe an, die ihr Geld durch Akrobatik und Schaukämpfe verdient und findet Freunde: der starke Paulus, der smarte Frauenliebling Jerome und der schlaue und belesene Giovanni. Er wird mehr und mehr erwachsen und merkt, dass er nicht nur ohne Eltern klar kommen muss, sondern es auch Tag für Tag immer besser schafft.
Dazwischen gibt es seitenlange Passagen über Kriegsschauplätze, Truppenlager, Überfälle, Kabbeleien unter Gleichaltrigen, echte Kämpfe und Waffen bis ins kleinste Detail. Eher bildgewaltig als blutrünstig, aber mögen muss man es natürlich. Und wenn man es mag, dann ist man wirklich mitten in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges, denn zu dieser Zeit spielt der Roman. Wallenstein, Tilly, der schwedischen König Gustav Adolph, der Hofastrologe Senno, alle lernt man hier persönlich kennen. Im weiteren Verlauf schließen sich die vier Freunde dem Heer Wallensteins an, genauer gesagt, der Eliteeinheit der schwarzen Musketiere, wo auch Lukas Vater gekämpft hat. Allerdings erst mal nur als Trossbuben. Für alles andere sind sie noch zu jung.
Ein Fünkchen Fantasy hat der Autor hineingemogelt, sowohl der Großinquisitor als auch Lukas Mutter können tatsächlich hexen, der eine hat sich allerdings der schwarzen Magie verschrieben, Lukas Mutter (und seine Schwester) der weißen. Das macht es zusätzlich spannend und sorgt auch fürs Happy End, weil beim großen Showdown die gute Zauberkraft hilft, wo die Körperkräfte der vier jungen nicht ausgereicht hätten.
Ein Superbuch, nicht hundertprozentig historisch korrekt und auch nicht pädagogisch wertvoll und pazifistisch schon gar nicht. Aber das sind die Schmachtschmöker und Schwedenkrimis von uns Erwachsenen ja auch nicht. Und warum soll den Kindern das Lesen nicht auch einfach nur Spaß machen dürfen? Eben.
Fazit:
Historischer Roman zur Zeit des 30-jährigen Krieges meets Entwicklungsroman plus etwas Magie und viele Seiten detaillierter Kampf-Fecht-Waffenbeschreibungen, mit Happy End, aber nur so einigermaßen, dass Hoffnung auf einen zweiten Band besteht. Ein Buch für begeisterte und handfeste Leser, die sich freuen, den Grafensohn Lukas auf hunderten Seiten nicht allzu großer Schrift begleiten zu können.
Sigrid Tinz, März 2016
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