Als Bär erzählen wollte
- Sauerländer
- Erschienen: November 2015
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Ausgezeichnet mit dem Kinderbuch-Couch-Star*
Bär möchte unbedingt noch eine Geschichte erzählen, bevor es Winter wird. Doch seine Freunde sind so sehr damit beschäftigt, sich auf die kalte Jahreszeit vorzubereiten, dass niemand für ihn Zeit hat.
Der braune, gutmütige Bär ist müde, denn es ist schon beinahe Winter. Er tapst durch den immer kahler werdenden Herbstwald und sucht jemanden, dem er eine Geschichte erzählen kann, die möchte er nämlich unbedingt noch loswerden.
Als er Maus trifft, fragt er sogleich, ob Maus eine Geschichte hören möchte; doch Maus hat keine Zeit. "...es ist fast Winter und ich muss noch viele Körner sammeln." Also hilft Bär seinem kleinen Freund. Er sucht gemeinsam mit ihm den Waldboden ab. Doch kaum sind die Vorräte aufgestockt, verkriecht sich Maus auch gleich unter die Erde. Aus der Geschichte wird wohl nichts - jedenfalls nicht vor dem Frühling. So ergeht es Bär auch mit Ente, die schleunigst in den Süden fliegen will. Schnell die Windrichtung mit der Tatze geprüft und schon startet Ente, der eigentlich ein Erpel ist und Bär ebenso vermissen wird, in Richtung Süden.
Auch bei Frosch hat Bär kein Glück und hilft seinem amphibischen Freund stattdessen einen passenden Schlafplatz unter "einer Decke aus Blättern und Tannennadeln" zu finden. Währenddessen wird Bär immer müder, das Laufen und Stehen fällt ihm schwer, immer wieder muss er gähnen.
Seinen Freund Maulwurf wird Bär auch erst im Frühling wiedersehen, denn als Bär ihn durch die Tunnel des Maulwurfbaus ruft, ist Maulwurf längst eingeschlafen. Als die ersten Schneeflocken vom Himmel fallen, kann der Bär einfach nicht mehr länger wach bleiben und verkriecht sich in einer Höhle unter Eis und Schnee.
Doch damit ist die Geschichte noch längst nicht zu Ende
Als die Sonne im Frühling warm auf den Wald scheint, wachen die Freunde langsam, einer nach dem anderen auf. Bei dem Frosch hilft Bär etwas nach und setzt ihn in die Sonne, damit "er wieder warm und wach" wird. Der Maus hat er gleich ein paar Körner mitgebracht und für die Ente hat er ein schönes Schlammloch gefunden. Fehlt nur noch der Maulwurf. Als es Nacht wird, taucht der kleine Langschläfer auf und die Freunde sind endlich wieder vereint. Und Bär kann endlich seine Geschichte erzählen... nur, wie ging sie noch gleich?
Ähnlich wie die Geschichte vom Vater, der sieben Söhne hatte und eine Geschichte erzählte (und der erzählt, dass es einmal einen Vater gab, der sieben Söhne hatte und ihnen eine Geschichte erzählte...) funktioniert auch diese Geschichte des amerikanischen Ehepaars Philip und Erin Stead. Wie ein Spiegel in einem Spiegel, beginnt Bär am Ende seine Geschichte genauso wie sie angefangen hat: "...Es war schon fast Winter und Bär wurde müde." Der Kreis schließt sich. Das ist für Kinder eine faszinierende Denkaufgabe.
Philip und Erin Stead, beide hervorragende und vielfach ausgezeichnete Illustratoren, verstehen es meisterhaft, mit wenigen Worten und nur ein paar wohlgesetzten Details zauberhafte Geschichten zu erzählen. Und diese hier ist so eine. Hier stimmt alles. Angefangen von der Atmosphäre, über die Körpersprache der tierischen Darsteller bis hin zur sanften und ruhigen Sprache, die nie zu viel, aber auch nie zu wenig erzählt. "Das Laub raschelte unter seinen Pfoten" heißt es da, während Bär sich auf die Suche nach seinen Freunden macht, und sagt doch zusammen mit den Illustrationen eine Menge über den Moment aus. Immer wieder finden wir einen Hinweis auf die wachsende Müdigkeit des Bären, auf abwechslungsreiche Weise, das weist die kleinen Zuhörer sanft darauf hin, dass der Bär (und vielleicht auch sie selbst) wirklich langsam schlafen sollte. Die Geschichte um die Geschichte eignet sich also auch sehr gut zum abendlichen Vorlesen. Damit und der engen freundschaftlichen Verbindung der Charaktere untereinander, können Kinder sich gut identifizieren. Die ruhige Erzählweise beflügelt ihre Vorstellungskraft und sie können sich ganz in die sanfte Geschichte versenken.
"Ich habe leider gerade keine Zeit..." das hören Kinder nicht selten, wenn sie doch ganz dringend etwas erzählen möchte, etwas, das ihnen sehr wichtig ist. Und genauso wie Bär nehmen sie eine Absage oft sanft und ohne Groll hin. Denn seine Freunde haben ja wirklich etwas sehr wichtiges zu tun. Auch in Sachen Freundschaft und Verständnis hat die Geschichte also etwas zu bieten. Bär ist in den letzten Momenten ihres gemeinsamen Jahres mit den Freunden verbunden und hilfsbereit, weil er noch Zeit mit ihnen teilen möchte. Der Anfang hat damit etwas Melancholisches, denn Bär muss sich von seinen liebgewonnen Freunden verabschieden. Ein Motiv, das Kinder häufig umtreibt. Schön daher, dass in dieser Geschichte auf den Abschied ein Wiedersehen folgt - jedes Jahr wieder, in aller Unaufgeregtheit.
Die Illustrationen tragen maßgeblich zum besonderen Charme der Geschichte bei. Auch hier halten Philip und Erin Stead ein feines Gleichgewicht zwischen Klarheit und Details. Darin ganz ruhig und natürlich im Mittelpunkt, Bär und seine Freunde.
Die Körperhaltung von Bär und sein sanfter, stets geduldiger Gesichtsausdruck erinnert mich Martin Waddels Geschichten von seinen beiden Bären, dem Großen und den Kleinen, illustriert von Barbara Firth.
Diese vorliegende Variante aber ist noch etwas reduzierter und deshalb vielleicht noch atmosphärischer: Die Zeichnungen strahlen in sanften, herbstlichen Farben auf dem weichen Weiß der Buchseiten. Die vielen ruhigen, freien Räume vermitteln Klarheit, die dem Buch insgesamt eine wunderschöne Leichtigkeit verleiht. Auch hier ist kein Detail zu viel, kein Blatt, kein Halm ist zu wenig. Als Betrachter spürt man beinahe den kühler werdenden Wind, der durch die Blätter weht und sieht dem tapsigen Bären seine wachsende Müdigkeit an. Dann kommt die wärmende Sonne, das frische Grün, die friedliche, blaue Nacht mit dem Vollmond, in der Bär schließlich seine Geschichte erzählen kann.
Bär ist natürlich der Mittelpunkt der Geschichte. Er ist in leichter Aquarelltechnik, ergänzt durch feine Strichzeichnungen, gezeichnet. Er ist einfach liebenswert: Die schwarze, breite Nase, die treuen Knopfaugen, die fransigen Flauschohren, der dicke, braune Pelz, seine riesigen Pfoten und seine tapsige Körperhaltung. Er guckt immer etwas bärig-bedröppelt, was ihn aber einfach unwiderstehlich macht. Auch seine Freunde sind sehr niedlich. Gegen den Bären wirken sie zart und klein, aber nicht weniger präsent. Die Ente mit ihrer geraden und wachen Haltung oder der eingekuschelte Maulwurf, ...ach, alle vier, finde ich ausgesprochen gut gelungen. Die Tiere sind naturgetreu und doch mit einer ganz eigenen Charakteristik gezeichnet und damit echte Sympathieträger für die jungen Betrachter ab vier Jahren.
Fazit: "Als Bär erzählen wollte" ist ein ruhiges und zugleich begeisterndes Bilderbuch. Es verbindet auf geschickte Weise den Kreislauf der Natur mit einer zeitlos-schönen Geschichte. Sprache und Illustration gehen in Philip und Erin Steads Erzählung ganz harmonisch Hand in Hand. Wie gute alte Freunde. Oder wie der Bär, der zwar noch eine Geschichte erzählen will obwohl schon sehr müde ist, aber letztlich seinen Freunden hilft, gut durch den Winter zu kommen. Vielleicht suchte er aber auch nur einen guten Vorwand, um sich von ihnen verabschieden, ehe sie sich im Frühling wiedersehen? Ein Buch zum immer, immer wieder Anschauen und Vorlesen!
Stefanie Eckmann-Schmechta
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