Wenn mit 9, 10, 11 Jahren die Hormone so richtig die Arbeit aufnehmen, dann ist Liebe und Sex und alles was damit zusammenhängt nicht mehr (oder nicht nur) peinlich und eklig und doof. Sondern hochinteressant. Über Sex und körperliche Entwicklungen wissen Kinder heutzutage meist schon ziemlich viel, dank pädagogischer Aufklärungsarbeit bereits im Kindergarten, dank entspannter Eltern, die keine "Darüber-sprich-man-nicht"-Haltung mehr haben und auch dank Bravo, Mädchen und Youtube. Aber "Liebe" ist ja noch mal was anderes - auch wenn man nicht so recht weiß, was eigentlich. Und genau dieser Frage widmet sich dieses Buch.
Ratgeber über Pubertät und Aufklärung gibt es viele, über Sex, Verhütung und Schwangerschaft, Penislängen und Körbchegrößen, über Hormone, Pickel und Schamhaare .... Aber "Liebe" ist ja noch mal was anderes. Nur was eigentlich? Wenn es sie überhaupt gibt! Denn was für die einen die romantischste Sache der Welt ist, Vorsehung, Schicksal, ist für andere nicht viel mehr als Hormone bei der Arbeit.
Genau diesen Fragen widmet sich Maja Andeck: "Heute erfahren die Kinder schon im Kindergarten, woher die Babys kommen, und sobald sie in der Schule lesen gelernt haben, sind ihrem Wissensdurst dank Bravo und Internet keine Grenzen gesetzt. Aufklärungsbücher sind für viele deswegen ungefähr so nützlich wie ein drittes Nasenloch", schreibt sie im Vorwort. "Aber bei der Liebe ist es anders. Über sie erfährt man im Unterricht nichts, was einem weiterhilft. Und auch das echte Leben ist in Sachen Liebe manchmal kein guter Lehrer. So dass man schon mal fassungslos sein kann, wenn die Liebe plötzlich in echt vor einem steht." Und Maja Andeck wäre nicht Maja Andeck (die manche vielleicht als Autorin der "Wen küss ich und wenn ja wie viele"-Reihe um das Mädchen Lilia kennen), wenn sie diese doch eher ernsthaften Worte nicht mit einem lustigen (wenn auch wahren) Beispiel würzen würde: "So fassungslos wie der Künstler John Ruskin, der in seiner Hochzeitsnacht vor gut 160 Jahren so sehr vor seiner schambehaarten Frau erschrak, dass ihm alle Lust auf Sex verging. Ruskin hatte sich Frauen in Ermangelung echter Vorbilder immer so vorgestellt wie antike Marmorstatuen, weiß, glatt und makellos."
Maja Andeck versucht mit ihrem Buch - um im Bild zu bleiben - aus der glatten, reinen makellosen romantischen Liebe wieder das zu machen, was sie vielleicht eher ist: ein Gefühl mit Macken, aber dafür lebendig. Bunt und doch passend gemischt, humorvoll, schräg und auf den Punkt gebracht, präsentiert sie Fakten, Studienergebnisse, Statistiken und alle möglichen Tipps und Infos rund ums Thema: sie erklärt den Unterschied zwischen Freundschaft, Sex und Verbundenheit und den zwischen Verliebtheit und Liebe; wie Liebe früher ausgesehen haben mag, im Mittelalter, in der Antike, in der Steinzeit; wie man erkennt, ob eine Beziehung noch zu retten ist und wie man mit Liebeskummer umgeht. Es gibt Seiten mit Fragen und Platz für Notizen, einen Flirttest, ein Liebes-ABC und ein Rezept für ein Dinner zu zweit. Jedes Thema ist nicht nur Information, jedes ist auch ein Denkanstoß, vermeintlich feste Wahrheiten mal von der anderen Seite zu betrachten und sich selber Gedanken zu machen. Und dann selber zu lieben und nicht wie Hollywood- und Bollywoodfilme, Vorabendserien, Zeitschriften oder die eigenen Eltern es für richtig halten.
Ob man das Buch durchstöbert oder von vorne bis hinten durchliest - egal.
Rein inhaltlich ist es für alle Menschen ab 11 Jahren geeignet, egal welchen Geschlechts und Alters. Optisch - und das ist schade - engen Cover und Illustrationen die Zielgruppe auf 11-, 12, 13-jährige Mädchen ein. Wobei die Illustrationen, die Kästen und Schaubilder, Sprechblasen und kleinen Cartoons, schön sind, liebevoll gemacht, liebenswert und lustig. Vielleicht könnte man den gleichen Inhalt auch noch einmal in blau, silber und schwarz illustrieren und die Figuren und Kästen ein bisschen kantiger und zackigen gestalten? Dann würde dieses Buch auch von Jungen gelesen werden (können), es wäre ihnen zu wünschen.
Eine eindeutige Antwort gibt das Buch natürlich nicht, was die Liebe denn nun ist. Menschen sind nicht einfach Tiere ohne Fell und von Genen und Hormon gesteuert. Und sie sind auch nicht komplett vergeistigte Wesen, denen das Schicksal jeweils einen einzigen Menschen auf der Welt auserwählt mit dem man dann nicht nur das Bett, sondern auch alle Hobbys und jeden Gedanken teilt. Menschen sind von beidem ein bisschen und dann auch noch das, was der jeweilige Zeitgeist und die jeweilige Kultur aus ihnen machen.
Beziehungsweise ist genau das die Antwort: Liebe ist nicht eindeutig. Aber - und auch das kommt immer wieder zwischen den Zeilen durch: Liebe kann verdammt schön sein!
Fazit
Die bunte und humorvoll kommentierte Mischung aus wissenschaftlichen Studien, interessanten Fakten, erstaunlichen Statistiken und wissenswerten Infos über die Liebe macht aus den 192 Seiten Buch erhellende und unterhaltsame Lektüre. Die Message zwischen allen Zeilen: Liebe ist mehr als nur Hormone bei der Arbeit, aber auch nicht einfach Schicksal, sondern von beidem etwas, gemischt mit Kultur und Zeitgeist. Perfekt für alle Kinder von heute, die ja trotz ausführlichem Wissen über körperliche Vorgänge von ihren Gefühlen ins Schleudern gebracht werden, wenn die Hormone zu arbeiten anfangen. Aufklärung ohne den Traum von der großen Liebe zu zerstören.
Sigrid Tinz
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