Ben ist ein kleiner Schneemann, der zusammen mit vielen anderen Schneemännern im Eisland lebt; ihrer aller Markenzeichen: lustige Kopfbedeckungen. Eines Tages kommt der Schneemann Dimitri zu Besuch. Ohne Hut - seinen hat er auf der Reise verloren. Ben leiht Dimitri seine Mütze für ein paar Tage. Aber dann scheint der sie gar nicht mehr hergeben zu wollen.
Der kleine Schneemann Ben ist wieder da. Im letzten Jahr gab es die erste winterstimmungsvolle Geschichte über ihn. Darin haben wir ihn kennengelernt als mutigen, tatkräftigen kleinen Kerl, der sich nicht von der Angstmacherei seiner Mitschneemänner abhalten ließ, zu hüpfen, zu tanzen und einfach loszulaufen, bis ins Eisland, wo viele Schneemänner leben und niemals Angst haben müssen, von der Frühlingssonne geschmolzen zu werden. Diese neue Geschichte funktioniert auch, ohne dass man die erste kennt, aber wer sie kennt, für den ist es eine schöne Fortsetzung.
Denn Ben ist hier im Eisland glücklich, zufrieden, genießt sein Leben und hat Freunde gefunden: große, kleine, alte und junge Schneemänner.
Alle haben ein gemeinsames Merkmal: eine Kopfbedeckung. Einer hat einen Zylinder, der andere einen Eimer, einen Blumentopf, einen Strohhut, eine Blechdose ... Ben selbst hat eine fesche blaukarierte Mütze. Etwas auf dem Kopf zu haben ist wichtig für Schneemänner.
Eines Tages kommt ein Schneemann ohne Hut: Dimitri heißt er und er erzählt traurig von seinem schönen hohen Hut, der ihm gehörte, "schwarz wie die Nacht und weiß wie der Schnee", den er unterwegs bei einem Sturm verloren hat.
Ben, der natürlich auch in dieser Geschichte wieder der Held ist, leiht ihm großzügig seine Mütze. Er kommt sich zwar ein bisschen sonderbar vor, so ganz oben ohne Kopfbedeckung, aber Dimitri ist glücklich und so freut Ben sich, dass er helfen konnte.
Allerdings scheint Dimitri ihm die Mütze gar nicht mehr zurückgeben zu wollen. Als Ben nachfragt, schüttelt der tatsächlich energisch den Kopf und hält sie mit beiden Händen fest: Nein, hergeben kann er sie nicht mehr, er hat sich so dran gewöhnt. Ben geht weinend zum alten weisen Schneemann Alfred, sich Hilfe holen. In Kindersprache heißt das Petzen und hat kein besonders gutes Image. Andererseits, was soll er allein schon ausrichten? Dimitri ist zwei Köpfe größer und selbst wenn es andersherum wäre, ihm die Mütze einfach wegreißen ist auch keine zeitgemäße Lösung. Und einfach verzichten? Soo großmütig und nachgiebig wollen wir einen Bilderbuchhelden ja auch nicht. Der alte Alfred er ruft alle Schneemänner zusammen und erzählt, dass Dimitri seine Mütze verloren hat und dass Ben ihm netterweise seine geliehen und nun nicht zurückbekommen hat. Und fragt in die Runde, was zu tun sei. Er macht das geschickt, stellt weder Dimitri an den Pranger noch Ben als Opfer dar und nimmt alle in die Verantwortung, das Problem zu lösen.
Der Text und die vielen sehr konkreten Dialoge machen eindeutig klar, dass es hier ums Helfen, Teilen und Gerechtigkeit geht, dass man stärker ist, wenn man gemeinsam einen Weg findet und für Probleme keine Schuldigen braucht, sondern Lösungen. Das ist eine tolle Botschaft, und Wort und Bild führen uns sehr eng und sendungsbewusst durch die Handlung, so dass niemand drum herum kommt sie zu kapieren. Auf der Strecke bleibt so der Spielraum für Fantasie und eigenes Nachdenken - denn das hat der Autor schon bis ins Detail für uns gemacht, damit ja nichts offenbleibt. Ein bisschen wie beim Wort zum Sonntag - die Message mag stimmen, die Art der Vermittlung ist eher gewollt als gekonnt. Aber das ist auch ein bisschen Geschmackssache.
Andererseits ist die neue Geschichte von Ben wieder ein schönes Winterbuch geworden, das in die Jahreszeit passt: abwechslungsreiche Schneelandschaften und viele Schneemänner mit bunten Mützen und ausdrucksstarken Möhrengesichtern.
Welche Lösung die Schneemänner letztendlich finden: Alle teilen reihum die Mützen. Jeder ist einen Tag dran und hat dann keine Mütze. So gibt jeder mal, jeder bekommt mal. Fast ein bisschen utopisch, wenn man bedenkt, dass Grundschulkinder heute jeden Stift und jedes Radiergummi mit ihrem Namen beschriften müssen, damit es bloß nicht jemand anders aus Versehen mal benutzt. Aber eigentlich sehr pfiffig und pragmatisch. Abgesehen davon, dass man sie nicht nachahmen sollte, wenn in der Kita oder im Freundeskreis die Läuse umgehen.
Buntbemützte Schneemänner tollen durch winterliche Schneelandschaften - und bilden den Hintergrund für eine Geschichte über das Dauerbrenner-Thema "Helfen und Teilen": es gibt eine Mütze zu wenig. Die Lösung ist pragmatisch, originell und zusätzlich ziemlich gerecht. Die zu vermittelnde Botschaft wird plakativ und in den Dialogen sehr konkret verdeutlicht. Ob das klar und deutlich ist, oder penetrant und missionarisch, muss jeder für sich entscheiden.
Sigrid Tinz, Februar 2015
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