So manches Haus knackst und knarzt, dass man meinen möchte, es lebt. Doch das ist nichts gegen das Haus von Sunny Valentine. Es umsorgt seine Bewohner mit Bananenmilch aus dem Wasserhahn und zaubert ein Bett voller duftender Rosen - aber nur, solange es gute Laune hat.
Das magische Haus, in dem Sunny Valentine mit Vater und Bruder sowie dem alten Konrad, einem Freund der Familie, lebt, hat sie selbst gekauft. Für 85 Cent. Immerhin ihr gesamtes Taschengeld. Und im Vergleich mit der dunklen, nach Fisch stinkenden Wohnung in einem Hochhaus, in der sie vorher lebte, ist es ein Paradies: mit vielen Zimmern und einem Badesee, einem eigenen Wald, einem Gemüse- und Kräutergarten, einem Hühnerstall und einer tausend Jahre alten Eiche. Aber es ist ein Haus mit Ansprüchen. Wenn seine Wünsche nicht erfüllt werden, die es mal in Form von Buchstaben-Rauchwölkchen aus dem Schornstein kundtut, mal an die Haustür schreibt, dann ist es sauer. Dann klaut es sich die Frühstücksspiegeleier aus der Pfanne, versteckt die Post im Kamin, vertauscht die Räume und schleudert das Bett aus dem Fenster.
Als eines Tages das ganze Haus in Staub versinkt, weiß Sunny, dass es ihm mit seiner neuesten Forderung sehr, sehr ernst ist: Das seidene Unterkleid eines jungen Prinzen soll als Fahne auf dem Dach wehen. Doch woher nehmen? Nun: Das Haus weist Sunny selbst den Weg. Als sie fürs Frühstück Marmelade aus dem Keller holen will, tut sich dort plötzlich eine Tür auf, die direkt in den Buckingham Palast führt. Sunny kommt von einem Prunksaal in den nächsten - und stellt fest, dass sie an einem ganz besonderen Tag im Palast gelandet ist, nämlich am Tag der Hochzeit zwischen Prinz William und seiner Kate, die gerade auf dem Balkon stehen und sich von der Menge bejubeln lassen.
Schon heften sich die Sicherheitsleute an Sunnys Fersen. Ein kleines barfüßiges Mädchen im Nachthemd fällt zwischen den vornehm gekleideten Hochzeitsgästen natürlich auf. Aber Sunny hatte ja auch nicht ahnen können, was für ein Abenteuer ihr bevorstehen würde, als sie zum Marmeladeholen in den Keller ging.
An der Verfolgungsjagd durch die endlosen Palastgänge hätte James Bond seine wahre Freude gehabt. Schließlich landet Sunny in der königlichen Waschküche. Das wäre doch eigentlich ein ganz guter Ort, um Prinzenunterhosen zu ergattern. Dummerweise lassen William und Harry dort nicht waschen. Und dann stöbern auch noch die Wachleute Sunny auf und schleppen sie zu ihrem Chef. Sunny verzweifelt. Ist jetzt alles aus? Doch der Sicherheitschef überrascht sie mit einem Angebot. Und in dem Jungen Amir findet sie einen Freund und Verbündeten.
Schon auf den ersten Seiten von Sunny Valentine passiert so viel, dass es für ein ganzes Buch reichen könnte: Ein Klavier spielt, ohne dass jemand an der Tastatur sitzt, ein Blitz schießt aus der Lampe, ein Fisch landet in einem Glas mit Milch und verliebt sich in Dornröschens Prinzen, in der Tür steht ein Opa, der kein echter Opa ist, und dann dreht sich auch noch das Haus wie ein Kreisel, das Bett fliegt aus dem Fenster mitsamt allen, die darauf sitzen, und landet in der Krone eines Baumes. Uff. Das Buch hat Tempo - manchmal eine Portion zu viel.
Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht der Hauptperson. Sunny schreibt sie als Brief an Prinz William. Schließlich soll er wissen, was mit seiner Unterhose passiert ist. Die Briefform ist allerdings nur in wenigen Sätzen sichtbar, die sich direkt an den Prinzen richten. Ansonsten erinnert die Geschichte durch die ständigen Streiche des verrückten Hauses und die rasanten Verfolgungsjagden im Buckingham Palast eher an einen erzählten Comic oder einen Action-Film in Buchform. So schnell die Handlung vorangetrieben wird, verlangt sie den Lesern dennoch Geduld ab: Vieles wird nur angerissen und erst später erklärt.
Auch die Figuren sind mehr Typen als Charaktere. Sunny ist die clevere, mutige und mitfühlende Identifikationsfigur für die Leserinnen, Flip der niedliche kleine Bruder, den viele Mädchen gerne hätten. Der Vater Orpheo ist der nicht sonderlich alltagstaugliche und extrem ängstlich dargestellte Künstlertyp, fürs Praktische ist Leih-Opa Konrad zuständig. Die Figuren spielen ihre Rollen, viele Entwicklungsmöglichkeiten werden ihnen nicht zugestanden. In Nebenrollen taucht allerhand Prominenz auf, von Elton John bis David Beckham, und dazu natürlich das versammelte britische Königshaus. Für die Erklärung mancher Anspielung ist Klatschblatt-Wissen von Vorteil.
Das Buch der österreichischen Autorin Irmgard Kramer, das von Nina Dulleck treffend illustriert wurde, strotzt nur so vor skurrilen Einfällen. Da ist natürlich zunächst einmal das Haus mit Eigenleben. Als Kinderbuchmotiv ist das durchaus neu, aber auch etwas sperrig. In Kinderphantasien wird vieles lebendig - Häuser wohl eher selten. Doch lässt man sich darauf ein, macht das verrückte Haus durchaus Spaß, das seine Anweisungen in höchst eigenwilliger Rechtschreibung gibt und das die Illustratorin auf den inneren Umschlagseiten als Mischung aus Schloss Neuschwanstein und Villa Kunterbunt ins Bild gesetzt hat.
Das gilt auch für die Sprache, die immer wieder mit witzigen Details, Vergleichen und Dialogen überrascht: Die Tür im königlichen Palast ist so hoch, dass fünf gestapelte Elefanten hindurch gepasst hätten. Amirs Name schmeckt wie Datteln mit Mandelsplittern in Schokoglasur. Und Sunny jubelt: "Ich hab das Unterkleid eines jungen Prinzen. Es ist zwar noch am Prinzen dran, oder besser gesagt, um den Prinzen herum, aber ....". Diese Bemerkungen, die wie nebenbei fallen, sind oft lustiger als die Verwicklungen des eigentlichen Handlungsstrangs, der gelegentlich überladen wirkt. Ein Grund könnte sein, dass "Sunny Valentine" als mehrbändige Reihe angelegt ist und bereits der Boden für weitere Geschichten bereitet wird.
Fazit:
Sunny Valentine und ihre Familie - und natürlich ihr verrücktes Haus - sind sympathisch-schräge Kinderbuch-Helden, die neugierig machen auf neue Abenteuer. Kicher-Anfälle beim Lesen sind garantiert. Den Folge-Bänden könnte ein bisschen weniger Tempo gut tun.
Eva Dignös, November 2014
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