Der neugierige Garten
- Bohem Press
- Erschienen: November 2014
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Guerilla Gardening - das heimliche, nicht immer ganz legale Blumensäen auf Brachflächen, öffentlichem Grün und anderen tristen, ungenutzten Flächen in der Stadt - ist mittlerweile gezähmt zum Urban Gardening: auf Kindergeburtstagen und in Schulprojekten werden Samenbomben gebastelt, es ist hip, auf Dächern und in Hinterhöfen Blumen und Gemüse anzubauen und in New York hat man eine aufgelassene Eisenbahnhochtrasse in einen Grünzug durch Manhattan umgewandelt. Davon handelt dieses Buch.
Ein kleiner Junge, den wir als Liam kennen lernen, streift an einem Regentag durch seinen Häuserblock und entdeckt ein paar Pflänzchen, die sich am Rande einer alten Eisenbahnhochtrasse angesiedelt haben. Weil er Mitleid mit dem armseligen Grünzeug hat und grad nichts zu tun, gießt und pflegt er sie ein bisschen. Die Blümchen gedeihen, breiten sich aus, Liam kümmert sich regelmäßig, wird regelrecht ein kleiner Gärtner, der stutzt, hegt, jätet, erntet. Immer mehr Menschen machen mit und bald ist die ganze Stadt grün und bunt, auf jedem Dach, vor jedem Haus, an jedem Laternenpfahl wächst etwas. Und die alte Eisenbahnhochtrasse ist zu einem bunt geblümten, üppig grünen Band quer durch die Stadt geworden.
Im Bücherei-Regal ist dieses Buch wahrscheinlich unter dem Stichwort "Garten" einsortiert. Und wenn es eine große Bücherei ist, mit vielen Regalen, dann nicht unter der Rubrik "Sachbuch" oder "Gärtnern für Kinder" sondern unter "Urban Gardening".
Das Buch könnte ab auch ganz woanders stehen - weil es neben dieser eigentlichen Geschichte noch viele andere enthält: zum Beispiel die Geschichte von einem kleinen Jungen, der genau das macht, was alle Kinder gerne machen, ob früher oder heute, ob in der grauen Stadt oder auf dem platten Land: einen Ort erkunden, an den es die Erwachsenen eigentlich lieber nicht lassen würden, und diesen Ort für sich allein entdecken, erobern, gestalten. Bei Liam ist es eben die Bahntrasse mit den hilfsbedürftigen Pflanzen. Es könnte auch der Schuppen bei Oma und Opa sein oder der brachliegende Bauplatz hinter der Schule. Oder. Oder.
Der neugierige Garten ist auch eine Geschichte darüber, dass jeder Weg mit einem kleinen Schritt beginnt und es sich lohnt, diesen zu gehen. Liam kümmert sich ja eigentlich nur aus Langeweile ein bisschen um die armen Blümchen. Denen geht es besser, sie vermehren sich und breiten sich aus, er kümmert sich mehr, lernt unglaublich viel über Gartenarbeit und Pflanzenpflege, findet Helfer und Nachahmer.
Es ist auch eine Geschichte über den Kreis des Lebens und den Lauf der Dinge: denn das kleine mickrige Gestrüpp, das Liam am Anfang findet, ist am Ende des Buches ein stattlicher Baum geworden und der kleine Liam ein erwachsener Mann; und es ist eine Geschichte darüber, das Mensch und Natur keine getrennten Sphären sind, sondern koexistieren, das Pflanzen in Kultur- und Stadtlandschaften keine bemitleidenswerte Natur zweiter Wahl sind. Sondern erstaunliche Kraft haben, denn schließlich geht Liams Garten nach der anfänglichen Starthilfe ganz allein auf Eroberungstour, auch der Winter mit Frost und wochenlangem Schnee hält ihn nicht lange auf.
Und dann ist das Buch auch noch besonders und wunderschön illustriert: anfangs sind Liams rote Haare und seine roten Gummistiefel die einzigen Farbtupfer im Grau der Stadt. Seite für Seite wird es bunter, geblümter, heller - lebendiger. Die Szenen sind mal ganzseitig, mal halbseitig dargestellt, immer schwarz eingerahmt und so mutet es wie ein Fotoalbum an: Liam und wie er die Blümchen findet, wie er sich kümmert, Gießkannen schleppt, mit großen Scheren hantiert, sich mit Schubkarren abmüht; die grüne Blumen-Pracht, wie sie sich über Dächer, Balkone und Brücken ergießt, wie der Winter alle zur Pause zwingt, wie Liam in dieser Pause übers Gärtnern liest und lernt, wie dann im Frühling alles wieder sprießt und wächst.
Der Text hat der Aussagekraft dieser Bilder nicht viel entgegenzusetzen, eigentlich ist er beinahe überflüssig. Das merkt man, daran, dass man genervt ist, wenn einem der Erzähler wieder einmal umständlich das mitteilt, was die Bilder schon längst gezeigt haben. Und man merkt es an den Stellen des Buches, wo gar kein Text dabei ist. Dann fehlt er nämlich überhaupt nicht, weil die Bilder einfach mehr sagen als tausend Worte.
Fazit:
Urban Gardening ist Trend, ein berühmtes Beispiel die Manhattaner Highline, die sich von einer halten grauen Bahntrasse zu hippen, grünen Park gewandelt hat. Um diese Trasse, diesen Park herum erzählt das Buch in besonderen, blühenden und beredten Bildern die Geschichte eines kleinen Jungen, der mit Neugier, Mut und Einsatz eine ganze Stadt grüngärtnert.
Sigrid Tinz, November 2014
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