Dreckspatz oder Ein Unglück kommt selten allein
- Annette Betz
- Erschienen: November 2014
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Ausgezeichnet mit dem Kinderbuch-Couch-Star*.
Frau Stoffel putzt, wienert und räumt den ganzen Tag - der Bürgermeister könnte ja zufällig vorbeikommen! Dann findet sie ein fürchterlich schmutziges Mädchen draußen bei ihren Mülltonnen und nimmt es mit ins Haus, um es sauber zu machen. Das Mädchen macht natürlich erst mal alles dreckig. Und dann kommt es, wie es kommen muss: Der Bürgermeister klingelt.
Wie jeden Morgen hat Frau Stoffel alle Hände voll zu tun. Sie wienert die Stühle und die Lampe. Das Goldfischglas und den Kaktus. Die Teebeutel und die Trauben. Den Kopf von Herrn Stoffel und genau um zehn Uhr schrubbt sie die Kuckucksuhr.
Wer in einer sehr ordentlichen Familie lebt, bei sehr ordentlichen Eltern, die den ganzen Tag aufräumen, sortieren, wegstellen, aufhängen, abwischen und zusammenlegen, der kennt vielleicht den Spruch: Es könnte Besuch kommen und dann will ich nicht, dass es hier aussieht wie im Saustall." So ist es auch bei Frau Stoffel. Sie macht alles tipptopp in Ordnung für den Fall, dass der Bürgermeister zu Besuch kommt.
Aber das Chaos dauerhaft zu bändigen, funktioniert meistens nicht, denn es kommt ja immer das Leben dazwischen! In diesem Buch ist es ein kleines Mädchen mit Stupsnase und Lockenkopf, das in den Mülltonnen vor Stoffels Haus spielt und dementsprechend eingesaut ist. Ein richtiger Dreckspatz", sagt Frau Stoffel. (Man merkt: sie ist auch in ihrer Wortwahl sehr ordentlich. Für so ein besudeltes, struppiges, klebriges, freches Wesen fallen einem auch schnell andere Worte ein.)
Herr und Frau Stoffel fischen das Kind heraus - es ist unklar, zu wem es gehört und ob es Hilfe braucht. Was klar ist: der Müllplatz muss jetzt wieder sauber gemacht werden. Und das Kind am besten auch.
Also nehmen sie es mit ins Haus. Und während Frau Stoffel loszieht und alle nötigen Putz-und Saubermachutensilien einsammelt, soll ihr Mann den Dreckspatz festhalten, Sonst gibt das scheußliche Flecken". Herr Stoffels murmelt Jaja und wendet sich wieder seiner Zeitung zu.
Und es kommt wie es kommen muss, das sieht man schon auf dem Bild, bevor man den Text zu Ende gelesen hat: Der Sessel hat Flecken, die Blumenvase ist umgekippt und Dreckspatz hockt auf dem Teppich und plempert mit der Kaffeetasse.
Auf den nächsten Seiten tritt der Text fast ganz in den Hintergrund und Dreckspatz erobert das ganze Wohnzimmer und hinterlässt auf den nur durch blasse Umrandungen dargestellten Möbeln rotbunt getupfte Spuren - bis Frau Stoffel mit einer kleine Badewanne anrückt und die Bescherung sieht: alle Blumen zerknickt, alle Bilder beschmiert, alle Schubladen rausgerissen und die Kleine reitet auf der abgestürzten Kuckucksuhr. Der Text wird wieder mehr, die beiden diskutieren herrlich typisch, wer denn nun Schuld ist an der ganzen Sauerei. Währenddessen springt Dreckspatz mit vollem Anlauf in die Badewanne wie in ein Planschbecken. Und dann klingelt es und: Der Bürgermeister steht geschniegelt, in Anzug und mit Amtskette vor der Tür. Oje! Ausgerechnet, wo alle und alles dreckig und ein einziges Chaos ist. Und: er sucht sein Kind! Es hat so schön im Sandkasten gespielt und auf einmal war es weg". Damit ist klar, wessen Kind das eingesaute kleine Mädchen ist. Immerhin, durchs Baden ist es sauber und geschniegelt, wie Frau Stoffel feststellt: Werter Herr Bürgermeister, hier ist ihr niedliches Mädchen." Der Bürgermeister sagt: Aber mein kleines Mädchen sieht ganz anders aus: es hat Saucenflecken auf dem Kleid, saure Drops in den Haaren und so niedliche Klebehände".
Zupackend wie Frau Stoffels ist, kippt sie den Mülleimer über das Kind und der Bürgermeister hat seinen Dreckspatz wieder.
Bevor er erleichtert von dannen ziehen und sich wieder seinen Amtsgeschäften zuwenden kann, verdonnern ihn Stoffels aber noch, die von seiner Tochter verdreckte Wohnung wieder aufzuräumen. Man kann ja nie wissen! Vielleicht kommt die Königin zu Besuch!"
Fazit:
Ordnung ist ein für manche sehr erstrebenswerter Zustand, aber ein sehr fragiler, weil das Leben eben nicht ordentlich ist. Das zeigt dieses Buch. Ein dreckiges kleines Mädchen verwüstet das geschniegelte Wohnzimmer eines älteren Ehepaares, herrlich umgesetzt in Wort und Bild: tolle Bilder mit immer neu zu entdeckenden Details, mal krachend komisch, mal mit feinem Witz, weswegen es für eine große Alterspanne passt. Am Ende ist das Wohnzimmer wieder sauber, das Kind wieder dreckig. Und die Moral von der Geschichte? Die gibt es nicht. Oder besser gesagt: die findet jeder selber zwischen den Zeilen. Nicht zuletzt deswegen ist diese herrliche, wilde, lustige, facettenreiche Bildgeschichte voll tipptopp in Ordnung.
Sigrid Tinz, November 2014
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