Sommer auf Balkonien
- Jungbrunnen
- Erschienen: September 2014
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Spannendes erleben, die schönsten Strände genießen, die Welt umsegeln... das gibt prima Fotos fürs Familienalbum! Pontus und Lenka aber bleiben dieses Jahr wieder mal daheim. Sie dürfen den Balkon in ihr Reich verwandeln: Balkonien. Das Einfache, das Leben im Moment und die Phantasie - das klingt etwas zu romantisch. Sommer auf Balkonien" ist aber mehr: der Streit der Eltern im Hintergrund, das getaktete Leben des bösartigen Nachbarjungen. Ohne zu einer plumpen Kampfansage an die Konsum- & Erlebnisgesellschaft zu werden, hinterfragt das Buch unser Wertesystem und stellt die Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen in Frage...
Die Geschichte wird von dem 8-jährigen Pontus erzählt. Gemeinsam mit seiner 6-jährigen Schwester Lenka darf er als Ersatz für den Familienurlaub den Balkon bewohnen. Enttäuscht sind die Kinder nicht, nein, sie freuen sich. Eifrig tragen sie Blumen auf den Balkon und gestalten mit der Hängematte der Nachbarin ihr neues Reich: Balkonien! Sie setzen sich Kronen auf und stellen sich vor ein Land zu regieren. Sie beobachten ihre Umgebung und herrschen über Pflanzen, Insekten und Tiere. Ein Phantasiereich - aus einem kindlichen Blick, der sich auf den Moment einlässt und sich für alles interessieren kann.
Eine enge Freundschaft verbindet die Kinder mit einer Nachbarin, der Königin der Vereinigten Salatigen Emirate. Sie steht den ganzen Tag lang im Garten und kümmert sich um ihr Gemüse. Eine Postdose verbindet die beiden grünen Inseln im Grau der Häuserfassaden. Frau Lattich lässt sich gerne auf das Spiel der Kinder ein - aus Einsamkeit, aus Liebe zu Kindern und Spaß am Spiel, aus Besorgnis? Das bleibt ungeklärt. Klar aber ist: der gemeinsame Feind schweißt sie enger zusammen. Hieronymus, ein neuer Nachbarsjunge mit wenig musikalischem Talent und einer übereifrig-hysterischen Mutter flitscht" aus dem Hinterhalt mit Pralinen. Gemeinsam gilt es ihm das Handwerk zu legen...
Aber das viel größere Problem ist: die Drinnenwelt". Dort steht nämlich sirupdicke Ärgerluft" im Raum - die Eltern arbeiten und streiten von früh bis spät. Zeit für die Kinder nehmen sie sich keine. Sie kommen zwar ihren Pflichten nach und zeigen eine gewisse Hinwendung, dennoch beschäftigen sie sich zwischen Frühstück und Bettgehzeit eigentlich nur mit sich selbst: mit ihren Sorgen und ihrer schlechten Laune. Die mitunter abzufärben droht und das kindliche Spiel trübt...da hilft auch nicht die Flucht auf den Balkon, ebenso wenig wie eine Reise an die Nordsee, ans Mittelmeer oder auf die Seychellen.
Erschreckend die Diagnose, die man hinter Sommer auf Balkonien vermuten kann: während die einen vor Geldsorgen und Mattigkeit den Blick fürs Wesentliche verlieren, schütten die anderen ihre emotionale Kälte mit materiellen Gegenwerten auf und fordern ihre Kinder nur noch anstatt sie zu fördern - so ist es bei Hieronymus. Das hat man schon mal gehört. Ob es sich nur" um ein Klischee handelt? Wie unangenehm, dass man zweifelt...
So schön die einfachen und oft poetischen Situationsbeschreibungen vom Leben auf Balkonien sind - und das sind sie! -, so sehr enttäuscht die konstruierte Rivalität mit dem Nachbarsjungen und das hochgradig unglaubwürdig wirkende Ende der Geschichte. Hieronymus dient nur als temporärer Gegenspieler und ist dann ganz unvermittelt schon wieder verzogen. Und die Eltern finden plötzlich ihre Liebe wieder, als sie von den Kindern zu einem Sommerfest auf Balkonien eingeladen werden. Das ist nicht nur unrealistisch, sondern fördert im schlimmsten Fall sogar den Impuls von Kindern sich selbst mitverantwortlich (zumindest für die Lösung des Konflikts) zu fühlen. Sommer auf Balkonien empfiehlt sich aufgrund der Thematik und auch, weil die Tuschezeichnungen (von Pflanzen, Tieren und Gegenständen) wenig Identifikationspotential bieten, eher für ältere Kinder (ab 7 Jahren). Grundsätzlich bieten sich Gespräche und das heißt: die gemeinsame Lektüre an - schließlich geht es ja im Kern um das Verhältnis von Eltern und Kindern.
FAZIT
Sommer auf Balkonien widmet sich auf phantasievolle Weise einem sehr ernsten Thema. Schade, dass das Happy End mehr als konstruiert erscheint...
Anneka Esch-van Kan, September 2014
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