Ivan, der große Silberrücken, lebt mit seinen Freunden Stella, einer alten Elefantendame, und Bob, einem Streuner, der nachts auf Ivans mächtiger Gorilla-Brust schläft, in einer amerikanischen Zirkus-Mall. Ivan kennt nichts anderes als sein kleines Refugium hinter Glas und die Menschen, die an seinem Zuhause vorbei kommen. Doch es sind längst nicht mehr so viele wie früher und längst hat er auch vergessen woher er kam und wer ist, bis Stella ihm ein großes Versprechen abnimmt...
Die Zirkus Mall hat schon bessere Zeiten gesehen, das Geld wird knapp. Die Elefantendame Stella ist schon lange krank und braucht dringend die medizinische Versorgung. Einzig Julia, die Tochter des Tierpflegers, scheint ein Gespür dafür zu haben, wie Ernst die Lage um die Zirkus-Mall-Tiere ist. Ivan fühlt sich wie betäubt in seiner immer gleichen Welt, in der er gefangen ist. Obwohl er nichts anderes kennt - oder sich an nichts anderes mehr zu erinnern scheint - spürt Julia, dass der Silberrücken ein besseres Leben verdient hat. Sie sieht seine große Traurigkeit und versucht ihm durch das Malen ein wenig Abwechslung zu bieten. Ivan malt, was er kennt - doch das ist nicht viel. Meist sind es Bananen. Dennoch weiß Ivan, dass dort draußen in der Welt noch mehr sein muss. Das Rauschen der Blätter, die vielen Farben, Formen, andere Tiere.
Um eine neue Attraktion in die Mall zu schaffen, kommt Elefantenbaby Ruby hinzu. Zunächst ist Stella hin und hergerissen zwischen ihren mütterlichen Gefühlen und der Abscheu, dass noch ein armes Wesen dieses triste, ausweglose Leben führen soll. Doch Ruby und Stella sind schon auf den ersten Blick unzertrennlich. Sie gibt dem Elefantenbaby alle Zuwendung, die sie nur geben kann. Doch dann geht es Stella zusehends schlechter. Sie nimmt Ivan ein großes Versprechen ab: Er soll dafür sorgen, dass Ruby ein besseres Schicksal erwartet - er soll sie an einen besseren Ort als diesen bringen: In den Zoo.
Ivan stimmt dem zunächst verwundert zu, denn er kann ja nicht ahnen, dass Stella schon bald sterben wird. Selbst in tiefer Trauer versunken, versucht er der kleinen Ruby Halt zu geben. Und das kleine Elefantenmädchen hat es bitter nötig: Der Direktor der Mall zwingt sie mit Hieben und Einschüchterung zu den vielen kleinen Kunststückchen, die einst Stella auch beherrschte und trotz Schmerzen tagtäglich beim Publikum ablieferte. Irgendwann reißt sich Ivan aus seiner Starre. Seine Gedanken gehen auf Reisen, in die Vergangenheit, als er von seiner Familie aus dem Urwald mitgenommen wurde, wie er als Baby unter Menschen lebte und leben sollte wie ein Mensch. Wie er dann, als er zu groß wurde, hier in der Mall gelandet war. Wie er auf diese Weise zweimal seine Familie verlor...
Ohne Groll und Selbstmitleid erzählt er mit seinen einfachen, aber so warmherzigen Worten was geschah und wie er die Welt um sich herum betrachtet und versteht. Dabei ist es so spannend aus Ivans Perspektive - mit seiner so klaren und treffsicheren Sicht auf die Welt, die ihn umgibt und geprägt hat - die Vorgänge zu beobachten! Von dem Entschluss bis zur Entdeckung seines unglaublichen Werks, das die Welt auf das Schicksal der Mall-Tiere aufmerksam macht, bangt man mit.
Denn wir Menschen erkennen natürlich das erbärmliche Verhalten des Besitzers der Mall, ahnen Probleme voraus, interpretieren Situationen auf menschliche Weise. Ivan aber schildert uns alles so wie es ist und wie er es kaum anders kennt. Sein Leben war und ist die Mall, wo er von Menschen begafft wird und von kleinen Nervensägen ohne Respekt geärgert wird. Ivan ist niemandem böse. Das liegt nicht in seinem Wesen. Er versteht nur ein paar Dinge nicht - und denkt lieber das Gute.
Basierend auf einer wahren Geschichte erzählt die amerikanische Autorin Katherine Applegate eine von ihr nachempfundene Geschichte über das Schicksal von Ivan dem Silberrücken, der von 1994 bis 2012 im Zoo von Atlanta lebte. Doch wie der Ivan im vorliegenden Roman, hat auch der echte Ivan dreißig Jahre lang keinen seiner Artgenossen gesehen. Ivans Geschichte, so wie sie sie vorliegend erdacht hat, könnte sein Schicksal nicht besser transportieren. Denn Ivan erzählt so klar, fast kindlich und ohne jeden Anklang von Sentimentalität, dass man das Buch vom ersten Moment an nicht mehr aus der Hand legen kann. Egal, ob man nun 10 Jahre oder älter ist. Nach jedem der sehr kurzen Kapitel wird man neugierig auf mehr. Die knappen Überschriften unterstreichen diese unprätentiöse Erzählweise und erfassen doch das ganze Gefühl und die Seele, die in den Schilderungen liegen. Durch Ivans Perspektive, seine Ich-Erzählung, entführt er uns behutsam in seine stereotype Welt, die doch voller Liebe und Verständnis ist. Ivan ist so sanftmütig, dass Julia dies sofort erkennt - und sogar der Hund Bob, der von den Menschen so tief enttäuscht ist, dass er einen weiten Bogen um die Zweibeiner macht. Ivan nimmt sich nicht wichtig und so mutet auch seine Erzählung an, Schilderungen seiner langen Reise zu sich selbst.
Wunderschön sind auch die vielen schwarz-weiß Illustrationen von Patricia Catelao an, die die mitreißende Geschichte stimmungsvoll begleiten. Wie das Buchcover, das wunderschön die Besonderheit dieses Buches einfängt, sind auch die vielen kleinen Detail-Illustrationen sanft und voller Gefühl. Sie zeigen das Mienenspiel der Tiere, das breite Lächeln von Julia, wie sie auf der Bank sitzt und gemeinsam mit Ivan zeichnet, das ängstliche Gesicht von Ruby in der Manege, den verlorenen Ausdruck von Ivan, wie er als Baby mit Windel auf einem Hocker sitzt sowie den seligen Gesichtsausdruck von Stella und Ruby, die sich in dieser unwirtlichen Umgebung voller Liebe die Rüssel umeinander schmiegen. Die vielen kleinen Illustrationen zeigen auch Gegenstände aus dem Umfeld der Tiere oder die Kreuze, die Ivan gemacht hat, um die Tage, die er bei den Menschen lebte, zu zählen.
Fazit:
Ein ganz besonderes Buch, das ohne Umwege zu Herzen geht, egal ob man nun 10 oder 99 Jahre alt ist. Katherine Applegates Der unvergleichliche Ivan macht uns mit seinem Schicksal klar, dass es nie zu spät ist, sein Glück zu suchen. Die knappen und doch so gefühlvollen Schilderungen erzählen von einer sehr langen Reise zurück zu sich selbst - ohne Groll und Wehmut. Einfach wunderschön!
Stefanie Eckmann-Schmechta, Mai 2014
Katherine Applegate, Knesebeck
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