Wie der König seinen Feind verlor
- Fischer Schatzinsel
- Erschienen: November 2013
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"Wie der König seinen Feind verlor" ist eine lehrreiche Geschichte über einen machtversessenen König, der sich genötigt fühlt seinen größten Feind als Gast in den Palast zu laden. Seine Parabel zur "Feindesliebe" hatte Bucay bereits für "Geschichten zum Nachdenken" entworfen. Die vorliegende Fassung besticht jedoch besonders durch das überaus gelungene Zusammenspiel von Text und Bild. Die eher düsteren Collagen unterstützen den für eine Parabel typischen Zeigegestus und deuten in Details auf die bereits im Text angelegte psychoanalytische Lesart der Geschichte. Den tyrannischen König sieht man nur selten ohne seinen grimmig-strammen Teddy-Bären...und der Feind steht uns nicht einfach gegenüber, sondern mag auch Teil unserer selbst sein.
Der König trägt eine prachtvolle Mitrenkrone und nimmt durch seinen gewaltigen Körper die äußere Form einer Kirchenkuppel an. Alles an ihm strahlt seine Machtposition und uneingeschränkte Herrschaft aus. Oder zumindest fast alles... schließlich sind da noch der Teddybär mit Halskrause und Krone, der ihn fortwährend begleitet und diverse Charakterzüge, die ihn verletzbar machen. Der König ist besessen von der Macht und fragt sein Volk jeden Tag - so wie die Stiefmutter von Schneewittchen ihren Spiegel - "wer denn der mächtigste Mann im Königreich sei".
Als von einem Magier berichtet wird, der die Zukunft voraussagen könne und der zudem auch noch "geliebt und bewundert" würde, meint der König ihn vor lauter Eifersucht als "seinen größten Feind" zu erkennen. Er entschließt sich ihm eine Falle zu stellen und ihn zu töten. Der König lädt zu einem Fest und bittet den Magier seinen eigenen Todestag vorauszusagen. Dieser durchkreuzt aber den königlichen Plan, indem er - das gefährliche Dilemma erkennend - voraussagt, "dass der Magier dieses Königreichs genau am selben Tag sterben wird wie sein König."
Um sein eigenes Leben nicht in Gefahr zu bringen nimmt der König den Magier am Hof auf, beschützt ihn fortan und sorgt für dessen Wohlergehen. Nach und nach wird der Magier zu einem geschätzten Berater und letztlich zu einem wahrhaften Freund. Die Weisheit des Magiers hilft dem König gerechtere Entscheidungen zu treffen und sich seinem Volk zuzuwenden. Im Gegenzug erhält er was er durch Unterdrückung und Schrecken nicht erlangen konnte: die Liebe seiner Untertanen.
Aus schlechtem Gewissen beichtet der König seinem Freund eines Tages seine ursprünglich mörderische Absicht. Der Magier wiederum offenbart, dass er seine Weissagung nur zum eigenen Schutz ersonnen hatte. In hohem Alter verstirbt der Magier und viele Jahre später schließen sich - die einstige Prophezeiung erfüllend - am Todestag des weisen Magiers die Augen des Königs. Die Geschichte schließt mit einem Brief des Königs an seinen Sohn - sozusagen mit seinem geistigen Vermächtnis, der Kernbotschaft der Parabel: "Wenn es Dir gelingt [das/den Fremde/n] zu Dir nach Hause einzuladen, ihm Dein Herz zu öffnen und es freudig an Deiner Seite zu begrüßen, wirst Du bald in diesem vorgeblichen Feind Deinen mächtigsten und treuesten Verbündeten entdecken."
"Wie der König seinen Feind verlor" setzt sich mit "Feindesliebe" auseinander und zeigt wie ein erbitterter Feind (und sei er ein Teil von einem selbst) zum treuen Freund werden kann. "Feindesliebe" ist unter anderem im christlichen Glauben fest verankert: Jesus von Nazareth gebietet im Neuen Testament "Liebet Eure Feinde" (Lukas 6, 27). Auch wenn die Geschichte aber durch ihre auf Frieden bedachte Botschaft und durch die Bedeutung von Nächstenliebe in die besinnliche Weihnachtszeit passt und durchaus religiöse Bezüge erlaubt (etwa durch die äußere Gestalt des Königs), steht Religion sicher nicht im Zentrum und findet im Text keine explizite Erwähnung.
Eine strikt christliche Lesart würde die Bedeutung der Parabel auch deshalb unzulässig einengen, weil sie das Spiel mit kulturellen Bezügen verfehlen würde, welches sich in den überaus verspielten Collagen zeigt. Ebenso wie historische Bezüge wild durcheinander gewürfelt werden - die dominante Halskrause etwa verweist aufs 16. Jahrhundert, am Horizont läuten aber zwei Zeppeline bereits das 20. ein - kreuzen Text und Illustrationen auch verschiedene Kulturräume. Der König erinnert stark an die Darstellungen von Groß-Wesiren und die von hohen Türmen umgebene Kuppel könnte zu den Heiligenhäusern verschiedener Religionen gehören. Die alten Handschriften, die als Texturen in den Bildern auftauchen, sind - soviel lässt sich an Einzelworten erkennen - in verschiedenen Sprachen verfasst.
Für begeisterte Spurenleser gibt es sehr viel zu entdecken und ambivalente Symbole zu entschlüsseln: auf dem Grabeskreuz des Magiers etwa sind Sonne, Mond und Sterne abgebildet und die Ornamente der Königskrone erinnern an ein Lilien-Kreuz. Wer mag kann selbst die Lupe zur Hand nehmen und im Schopf des trauernden Königs ein umgedrehtes Gesicht erkennen - ein deutlicher Hinweis darauf, dass es in der Geschichte letztlich um einen inneren Kampf geht. Der "Feind" ist Teil des Königs selbst und dass er ihn verliert, zeigt sich in der Wandlung seines Charakters, die sich in seinem Handeln, aber auch in seiner Mimik offenbart. Wollte man von der psychologischen Lesart der Parabel absehen, wäre es letztlich auch der Magier und nicht der König, der einen Feind verlöre.
Die Collagen des preisgekrönten Illustrators Gusti sind aber nicht nur für Kunstexperten und Zeichendeuter faszinierend. Obgleich die teils düstere Stimmung und die Dominanz von Grau- und Brauntönen für Kinder normalerweise weniger ansprechend sind, vermitteln die Collagen eine angenehm ruhige Stimmung. Sie laden ein in die Landschaften und Räume einzutauchen, die durch das geschickte Spiel mit Licht und Schatten, eine Vielfalt an Texturen und gezielte Verwischungen entstehen. Es ist beeindruckend, wie sich verschiedenste Mal- und Zeichenstile verbinden und Einlass in die Collagen finden. Manche Bereiche scheinen nur grob vorgezeichnet, andere wie ausgeschnittene und aufgeklebte Fotografien oder gemusterte Papiere. Auffällig ist, dass insbesondere die Hände durch eine realistischere Abbildung und stärkere Umrandung herausstechen...
"Wie der König seinen Feind verlor" ist eine wahre Freude aber auch eine Herausforderung für Zeichenleser und Kunstliebhaber. Die faszinierenden Collagen können aber auch unabhängig von ihrem Detailreichtum und ihrer Symbolkraft ein jüngeres Publikum erreichen. Dennoch ist das Buch keinesfalls für Kleinkinder zu empfehlen. Die Parabel ist durchaus komplex und nicht einfach zu deuten. Die psychologische Dimension, die eine bedeutende oder vielleicht gar die zentrale Rolle spielt, lässt sich für kleinere Kinder kaum erfassen. Der Illustrationsstil und die teils gehobene Sprache sind weitere Gründe für die Altersempfehlung. "Wie der König seinen Feind verlor" ist ein sehr edel wirkendes, künstlerisch anspruchsvolles Werk für Kinder ab 8 Jahren und ihre Eltern.
Fazit:
Eine zum Nachdenken anregende Parabel mit einzigartigen Illustrationen, die Groß und Klein viel zu entdecken bieten! Ein wunderschönes Sammlerstück!
Jorge Bucay, Fischer Schatzinsel
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