ab 9 Jahren
Eva Ibbotsons Geschichte beginnt im Himalaja - vor ungefähr hundert Jahren. Ein großes zotteliges Wesen entführt die kleine Lady Agatha Farlingham. Der Grund? Drei kleine Yeti-Kinder brauchen eine neue Mutter, die ihnen alles beibringt, was es im Leben zu lernen gibt. Kein Wunder dass Agatha mit ihren aristokratischen Wurzeln, den kleinen und auch großen Yetis sehr viele gute Dinge beibringt... zum Beispiel das Sprechen, das höfliche Miteinander, dass man sich entschuldigt, wenn man jemand anderem Unannehmlichkeiten bereitet. Sie sind alle sehr glücklich miteinander - bis eines Tages ganz in ihrer Nachbarschaft die moderne Zivilisation Einzug hält und es nicht lange dauern wird, bis die Expeditions-Horden Jagd auf die friedlichen Zottelwesen machen...
Sie sind groß und zottelig - naja, sehr groß und sehr zottelig. Man könnte sich vor ihnen erschrecken, doch schnell wird man sehen, dass es durch und durch friedliche Wesen sind, die Yetis. Das merkt auch Lady Agatha, als sie dem Yeti-Vater zum ersten Mal gegenüber steht. Und auch als sie die kleinen Yeti-Kinder - Lucy, Ambrose und Clarence - zum ersten Mal sieht, weiß sie, dass sie sich nicht mehr davon stehlen kann. Sie ist den drei sehr verschiedenen Kindern eine gute Mutter. Sie bringt ihnen wirklich alles bei, was sie im Leben für wichtig hält - und dabei spielen Überlebenskurse in der Wildnis keine Rolle. Das beherrschen die Yetis, die immer und überall an den Pflanzen und Früchten zupfen und futtern, auch selbst sehr gut.
Doch eines Tages fliegt ein merkwürdiges Ding über ihr sonst so beschauliches Tal; es ist ein Hubschrauber und damit ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie die Zivilisation eingeholt hat. Dabei muss erwähnt werden, dass Lady Agatha mittlerweile eine alte Dame ist und sie ebenso vollkommen überwältigt ist von den technischen Entwicklungen der letzten, na, sagen wir mal hundert Jahre.
Ein Junge aus dem neuen Hotel hat schon lange kein gutes Gefühl mehr bei der ganzen Sache: Es gibt Yeti-Safaris und die furchtbarsten Menschen aus aller Welt machen sich auf, um die Yetis zu jagen. Als er es nicht mehr aushalten kann, geht er den Spuren Lucys - des Yeti-Mädchens - nach. Con, so der Name des Jungen, gelangt viel weiter, als alle anderen "Expeditionen" vor ihm. Er kann durch einen verborgenen Tunnel direkt ins Tal der Yetis gelangen. Er wundert sich gar nicht, dass die Yetis so nette Wesen sind und nimmt sich der flehentlichen Bitte Agathas an, die Yetis aus dem Himalaja fort zu bringen. Schnell ist ein abenteuerlicher Plan geschmiedet. Zusammen mit Cons Schwester Ellen und dem netten Lastwagenfahrer Perry werden fünf Yetis auf eine sehr lange Reise geschickt... und zwar zu dem Familiensitz derer von Farlingham: Farley Towers in England. Agatha hat sehr gesund gelebt. Doch sie wird ihre Yetis nicht mehr begleiten können, das weiß sie. Und so bleibt sie mit dem Yeti-Vater im Tal.
Auf ihrem Weg quer durch Asien und Europa passiert schließlich so einiges: Hubert, das vollkommen verpeilte kleine Yak das sich einfach eingeschmuggelt hat, unterwandert einen Stierkampf; Es werden Zootiere befreit, Hochzeitssuiten gekapert, die Bergrettungshunde rehabilitiert und tapfere Jungs gerettet...
Auch in 5 Yetis suchen ein Zuhause wird Eva Ibbotsons Anliegen deutlich, Kinder einfach gut zu unterhalten. Das gelingt ihr auch mit dem vorliegenden Kinderbuch ohne Zweifel, doch sie erreicht viel mehr. Sie zeichnet witzige, liebenswerte Charaktere, mit Eigenheiten, die von der ganzen Geschichte getragen werden; man findet diese Eigenheiten in jedem Dialog wieder und in so manchem Hindernis, das sich den Reisenden in den Weg stellt. Dabei erzählt sie so warmherzig und vermittelt ohne Mühe Botschaften über die Bedeutung von Freundschaft und Toleranz.
Im Grunde erinnern die 5 Yetis an das wunderbare Kinderbuch, das ebenfalls noch aus ihrer Feder stammt: "5 Hunde im Gepäck". Bei Eva Ibbotson ist der Weg das Ziel - die Abenteuer und das, was sie mit ihren Protagonisten machen. Anders aber als im zuvor genannten Buch, ist "5 Yetis suchen ein zu Hause" im Aufbau eher dreigeteilt: Der erste Teil der Geschichte findet ausschließlich im Tal statt und erzählt von Lady Agatha. Wir lernen die etwas eigenwillige Familie kennen und damit kommen auch schon die ersten Anekdoten vor, die einen Vorgeschmack darauf geben, wie sich dieser oder jener wohl auf der Reise verhalten mag.
Im zweiten Teil tritt Con in das Leben der Yetis - und Lady Agatha muss Abschied nehmen. Fünf wunderbare Yetis (Onkel Otto und Oma Yeti sind auch mit von der Partie) ziehen durch die Welt und retten sie an der einen oder anderen Stelle. Zumindest machen sie sie etwas besser und mit etwas (viel) glücklicher Fügung, für die sich Eva Ibbotson sich sehr schöner Zufälle einfallen lässt, bleibt die Welt an dieser Stelle auch besser.
Jede Reisestation ist wie eine kleine Kurzgeschichte, jede einzelne bietet einen neuen Erzählhorizont und damit kurzweilige und spannende Geschichten mit einem harmonischen Erzählbogen und - natürlich - einem rundum schönen Happy-End. Daher finde ich das Buch auch besonders gut geeignet, es in einzelnen Kapiteln z.B. vor dem Schlafengehen vorzulesen.
Im dritten und letzten Teil des Buches, fährt Eva Ibbotson ein wenig die Harmonie und die heile Welt zurück. Sie zeigt am Beispiel der Yetis, die in ihrer Freundlichkeit und Naivität in eine wahrhaft bösartige Falle tappen, wie schändlich sich die Menschen der Natur und anderen Lebewesen gegenüber verhalten. Am Ende bleibt ein Plädoyer für die Zivilcourage, das richtige zu tun. Die durchklingende politische Kritik finde ich passend, auch wenn es an manchen Stellen etwas zu schwarz-weiß gemalt erscheint. Zum Glück darf ich alle, die nun Bedenken bekommen sollten, beruhigen: Auch hier findet Eva Ibbotson einen herrlich, rasant-turbulenten Ausweg, auch wenn sie es am Ende allen - auch den Lesern - nicht so ganz einfach macht, wie in den Kapiteln davor.
Ihr Talent, für alle Beteiligten eine "Win-Win-Situation" zu schaffen, zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch und so bleibt es eine wunderschöne, abenteuerliche und witzige Unterhaltung für alle Kinder ab neun Jahren. Die unkomplizierte Handlungsentwicklung, die liebenswerten Details, gespickt mit einer witzig-unkonventionellen Wortwahl und einer schlichten aber doch abwechslungsreichen Sprache, entlässt die Kinder jedes Mal sanft aus jedem einzelnen Kapitel des Yeti-Abenteuers. Eva Ibbotson stellt es wirklich sehr geschickt an, dass das Böse eher lächerlich wirkt, als dass es ihren jungen Lesern zu Nahe kommt. Dabei ist sicherlich auch ihr berühmter trockener Humor behilflich, mit dem sie der Geschichte einen ganz besonderen Unterton verleiht. Kinder verstehen die kleinen Seitenhiebe und Zwischentöne sehr gut.
Fazit:
Eva Ibbotsons liebenswerte Zottelhelden nehmen Kinder mit auf ihrer Reise quer durch Asien und Europa - dabei darf gelacht, geschmunzelt, gebangt und geseufzt werden. Wie eine Zauberin lässt sie selbst die brenzligste Situation so ausgehen, dass jeder dabei gewinnt - so wie die Welt gewinnt, wenn die Yetis gerettet werden. Ein Buch, bei dem sogar die vorlesenden Eltern ihre helle Freude haben werden!
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