Der kleine Retter
- Thienemann
- Erschienen: Oktober 2013
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Der kleine Rainer wäre gern ein großer Held und ist deshalb immer auf der Suche, nach jemandem, der Hilfe braucht, der gerettet werden kann. Er findet nur keinen, aber das ficht ihn nicht an. Als er seinen Schuh aus einer Regentonne fischen muss, rettet er - zufällig, aber tatsächlich - eine Ameise aus dem Wasser.
Eigentlich könnte dies ein rundum gutes Bilderbuch sein.
Die Story ist schon mal ein Klassiker: ein kleiner Möchtegernheld zieht aus in die Welt, erleidet bei seinen anstrengenden Abenteuern mehr oder weniger Schiffbruch und wird am Ende wieder zu Hause in die Arme geschlossen. Hier geht sie so: Rainer soll Quark kaufen gehen und unterwegs will er die Welt retten. Den angeleinten Waldi befreien, Plakatlöwen und Auto-Ungeheuer zähmen - was alles eher mittelprächtig klappt. Egal, er ist halt zu gut für diese Welt, aber schon auch ein bisschen frustriert und kickt ein paar Steine. Sein Schuh fliegt davon - in eine Regentonne. Da Rainer es nicht klein mag, sondern nur mit vollem Einsatz, springt er ganz hinein und siehe da, endlich hat er zwar per Zufall, aber tatsächlich jemanden gerettet: eine Ameise. Klatschnass und stolzgeschwellt kehrt er nach Hause zurück, wo seine Mutter schon auf ihn wartet.
Gezeichnet ist der strubbelige, kurzsichtige Rainer und seine Welt von Annette Sowboda, in erdig-gedeckten Farben, seitenfüllend und wie gewohnt wunderschön, lustig und liebenswert. Und auch ein paar kleine Bonbons für die erwachsenen Vorleser sind eingestreut. Zum Beispiel kommt Rainer auf seiner Wanderung entlang der Häuserzeilen an einigen Graffitis vorbei, die zwar auf englisch sind, aber immer irgendwie zum Stand der Geschichte passen: "Follow your dreams" heißt es am Anfang, "Shit happens" steht gekrakelt, als sein Schuh in die Regentonne fliegt.
Wann kommt das Aber? Jetzt. Es gibt zwei und eines davon ist die Regentonne-Szene. Ertrinken ist eine der häufigsten Todesursachen bei Kindern, ganz kleine können sogar in wenige Zentimeter flachem Wasser ertrinken, wenn sie mit dem Gesicht hineinfallen. Wenn sie kopfüber in einer Regentonne stecken, geht es noch schneller und auch wer es Rainer nachmacht und "nur" mit den Füßen zu erst springt, ist nicht groß und stark genug, wieder herauszuklettern. Es ist nur ein Buch, das stimmt und in vielen Büchern machen die Hauptpersonen ganz andere Dinge. Aber dieses Buch ist so nah am Kinderalltag geschrieben und gezeichnet, dass sie sich damit deutlich stärker identifizieren als wenn zwei Meerschweinchen mit Löwenzahnblättern als Boote über den Atlantik segeln. Also: BITTE NICHT NACHMACHEN, LIEBE KINDER.
Das zweite Aber ist Rainers Mutti: Schürzenkleid, Puschen mit Absatz und Föhnwelle wie zur Mitte des vorherigen Jahrhunderts. Und als ihr Söhnchen nach Hause kommt, und sie sich nach dem Quark erkundigt, den er ja kaufen gehen sollte, und er nur sagt: "Mach mir lieber ein paar Würstchen" - spätestens da macht das Vorlesen keinen Spaß mehr. Irgendwie möchte man dem Rainer ganz altmodisch sagen: Hör mal, wie redest du mit deiner Mutter! Oder seiner Mutter, warum sie ihm das nicht selber sagt. Oder ihn vielleicht mal zum Spielen mit anderen Kindern oder in die Kita schicken soll, statt ihn den ganzen Tag zu beglucken. Oder zu überlegen, ob sein Größenwahn vielleicht eher ein Minderwertigkeitskomplex ist und wie sie ihm vermitteln kann, dass er ein liebenswertes Kerlchen ist, egal ob er nun der Superheldenretter ist oder nur ein kleiner, kurzsichtiger Junge. Irgendwas. Nur nicht, dass sie ihm die zehn Würstchen brät, in der Badewanne serviert, sich daneben hockt und andächtig seinen Abenteuer-Geschichten lauscht, als wäre er ihr Prinz und sie seine Magd.
Das sind Erwachsenengedanken, in der Tat.
Aber auch viele Kinder werden nicht so richtig warm mit Rainer. Vielleicht sind es seine markigen Sprüche, die immer mal wieder den sonst schlichten, etwas altbackenen Erzählton aufmischen, auch optisch, weil in anderer Schrift gehalten: Nur Quark macht stark. Oder: Fürchtet euch nicht, Rainer der Retter ist unterwegs. Oder: Die Welt hat mich nicht verdient. Viele Kinder empfinden da wohl ähnlich, wie die beiden Mädchen, die Rainer mit großem Getöse vor dem Löwen aus dem Zirkusplakat retten will. Sie tippen sich an die Stirn und denken: Was für ein Angeber.
Fazit:
Wer auch so einen kleinen Rainer zu Hause hat oder in der Kita, dem bietet das Buch einen guten Gesprächsanlass. Und für alle Fans der Zeichnerin Annette Swoboda ist die Geschichte um den Möchtegernhelden Rainer und seine Mutter sowieso ein Muss.
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