Der Löwe und der Hase

In Afrika herrscht Aufregung. Schuld daran ist der gemeine Löwe, der es nicht lassen kann, den anderen Tieren permanent Streiche zu spielen.

So zieht er mal dem Büffel heimlich eine Unterhose an, mal stiehlt er der Hyäne ihr Mittagessen. Die Tiere haben es gründlich satt und sehnen sich nach Frieden und Ruhe. Doch keiner traut sich, ein ernstes Wörtchen mit dem Löwen zu reden. Also suchen sie per Internet nach Helfern und schalten eine weltweite Anzeige. Viele Tiere folgen dem Aufruf, aber früher oder später scheitern sie alle kläglich. Der Bär aus Russland hat keine Chance, der Elch aus Nordamerika unterliegt dem Löwen und auch der Tiger aus Indien ist nicht stark genug. Und gerade, als der Löwe die nächste Gemeinheit ausheckt, legt ein großes Schiff im Hafen an. Darauf befindet sich ein kleiner Hase, der den langen Weg aus Europa auf sich genommen hat und nun gegen den Löwen antreten will. Wegen des Größenunterschieds erlaubt der Löwe dem Hasen großzügig, den Wettbewerb auszusuchen. Als erstes wählt der Hase das Marshmallowwettessen. Ratz-fatz verputzt der Löwe drei Eimer Marshmallows, doch der Hase schafft ganze zehn! Dann steht ein Quiz auf dem Wettkampfplan und auch hier ist der Hase dem Löwen haushoch überlegen. So ergeht es dem Löwen auch beim Hüpfwettbewerb, beim Malwettbewerb und beim Wettrennen. Egal, in welcher Disziplin er gegen den Hasen antritt, der Löwe verliert. Schließlich gibt der Löwe sich geschlagen und verspricht ermattet, keine Streiche mehr zu spielen. Doch wie groß ist das Erstaunen der anderen Tiere, als sie sich am Hafen versammeln, um dem kleinen Hasen zu verabschieden, und auf dem Schiff nicht nur ein Hase sondern viele Hasen stehen? Zehn davon haben dicke Marshmallowbäuche, einer ist besonders schlau, sechs hüpfen, was das Zeug hält, einer ist künstlerisch sehr begabt und vier sind sehr sportliche Hasen... Doch dieses Geheimnis behalten die Tiere wohlweislich für sich...

Der Hase ist ein dankbares Tier, wenn es darum geht, Gleichnisse von Stärke und Grips aufzustellen. So gibt es zahlreiche Märchen und Fabeln, in denen der Hase gegen größere und stärkere Tiere antritt und sie mit seinem Verstand besiegt. So auch in "Der Löwe & der Hase" von Alex Latimer. Auch wenn die Situation aussichtlos erscheint, ist es doch der kleine Hase, der schafft, was alle anderen größeren und kräftigeren Tiere nicht geschafft haben und bringt den Löwen zur Räson - und zwar ganz allein dank seines Verstandes.

Die Handlung ist für erwachsene Leser zwar vorhersehbar, bietet jedoch einiges Schmunzelpotenzial und erfreut damit groß und klein. So ist die Wettbewerbsauswahl mit Marshmallowessen und Quizshow oder der Hilferuf via Internet den heutigen Erwartungsmustern angepasst und verleiht damit dem klassischen Inhalt einen modernen Anstrich. Passend dazu sind die Illustrationen modern und ansprechend, mit klar umrandeten Tieren und Gegenständen, die etwas kantig und trotzdem sympathisch gezeichnet sind. Mit sehr menschlichen Verhaltensweise und Gesten dargestellt, haben alle Tiere ein hohes Identifikationspotenzial - selbst der Löwe. Die Hintergrundgestaltung ist sehr abwechslungsreich, seitenfüllende Zeichnungen sind ebenso zu finden wie viele kleine Zeichnungen auf einer Seite, Farbflächen wechseln sich mit Weißraum ab. Gekonnt ist der wenige Text in die Illustrationen eingebaut, so dass Text und Bilder sich gegenseitig ergänzen und eine stimmige Einheit bilden.

Und die Moral von der Geschichte: gleich zwei Lehren bietet uns Alex Latimer an: 1. Es schadet nicht, kräftig zu sein, aber mit Schläue kommt man mitunter noch weiter und 2. Es schadet nicht, sich den Gegner besonders gut anzusehen und einzuprägen...

Fazit:

Liebevoll erzählte, unterhaltsame Geschichte, die wieder einmal beweist, dass körperliche Stärke nicht das Maß aller Dinge ist und eine gute Idee mitunter mehr Wert ist als jede Menge Muskelkraft.

Claudia Goldammer