Lotte ist lieb
- Annette Betz
- Erschienen: April 2013
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[ab 5 Jahren]
Otto hackt Paula, Paula hackt Karl, Karl lässt seinen Ärger an Hamfrie aus und Hamfrie wendet sich gegen Lotte! So trifft es immer wieder die Kleinsten. "Lotte ist lieb" schildert das Dilemma einer kleinen Haubenmeise, die ständig geärgert wird, sich aber nicht traut nach Hilfe zu rufen - weil sie ja nicht petzen will! Die Freundschaft mit der Eule und das Gefühl, dass diese sie braucht, geben ihr aber schließlich die Kraft sich endlich dem großen dicken Raben Hamfrie gegenüber zu behaupten und sich aus der Unterdrückung zu befreien.
"Lotte ist lieb (...aber Hamfrie!)" wurde 1998, im Todesjahr der Autorin und Illustratorin Annegert Fuchshuber, erstveröffentlicht und ist 2011 in einer neuen Auflage erschienen. Die Geschichte könnte als Fabel bezeichnet werden, die anhand der Geschichte der kleinen Haubenmeise Lotte, die sich gegen ihren größeren Bruder - den großen dicken Raben Hamfrie - durchzusetzen lernt. Die Fabel nimmt die Machtstrukturen unter Kindern in den Blick und macht konkrete Lösungsvorschläge.
Das kleine Piepmätzchen Lotte findet eine funkelnde Glasscherbe: einen Schatz! Gleich darauf endet ihr Glück. Der fiese Riese Hamfrie knüpft es ihr wieder ab. Lotte ist traurig, traut sich aber nicht sich der lieben Eule Olla anzuvertrauen, weil Hamfrie doch gesagt hat, dass sie nicht petzen dürfe! Lotte versteckt sich sogar vor Olla. Sie hat Angst vor ihr, weil sie Angst vor ihren Fragen hat. Schließlich muss Lotte ja ihren Schnabel halten! Selbst von Größeren drangsaliert, lässt Hamfrie bei nächster Gelegenheit wieder Dampf bei Lottchen ab. Weil sie nichts hat, was sie ihm geben könnte, degradiert er sie aufs Äußerste: er nimmt ihr die Haube weg, die sie doch einzig zur Haubenmeise macht.
"Nun ist sie ein Niemand" steht als einsamer Satz neben der kleinen Meise, die auf der leeren weißen Seite wie ein verlorener Punkt wirkt. Dann bietet Olla Lotte ihre Freundschaft an, mehr noch: sie sagt, dass sie alleine sei und Lotte als Freundin brauche. Endlich kann Lotte reden, denn "mit einer Freundin kann man alles besprechen" und das Gefühl gebraucht zu werden verleiht ihr ungeahnte Kräfte. Sie geht zu Hamfrie und fordert ihren Schatz und ihre Haube ein. Aus Angst vor der größeren Eule gibt Hamfrie die Dinge zurück. Er ist wütend, aber er lässt Lotte jetzt in Ruhe. Zufrieden im Arm der mütterlichen Freundin stellt Lotte vergnügt fest: "seit du meine Freundin bist, habe ich vor nichts auf der Welt mehr Angst."
"Lotte ist lieb (...aber Hamfrie)" kann Kindern Zuversicht und Kraft geben, sich gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung zu wehren. Gleichzeitig beinhaltet das spielerisch im Wassermalfarben-Stil gezeichnete Bilderbuch Passagen, die starke Behauptungen aufstellen, die - von den kleinen Lesern verinnerlicht - auch negative Wirkungen zeigen könnten. Zumindest wenn sie nicht von jenen, die die Bücher vorlesen, thematisiert werden. Der Satz "Lügner werden bestraft" beispielsweise sticht heraus und wird nicht relativiert. Hier könnten Kinder - die ja oft einmal verspielt die Unwahrheit sprechen - sich eingeschüchtert fühlen. Etwas vage bleibt der Umgang mit der Frage des "Petzens". Was gilt überhaupt als Petzen und was wird fälschlicher Weise so bezeichnet um Druck zu erzeugen? Diese Frage wird in "Lotte ist lieb" nicht direkt gestellt. Gilt es als Petzen, wenn man Eltern oder Erzieherinnen erzählt, dass man verletzt wurde oder Dinge weggenommen wurden? Oder macht es nicht vielmehr nur dann Sinn von "Petzen" zu reden, wenn man Geschehnisse, die einen selbst eben nicht negativ betreffen, nur "petzt", damit ein anderer Ärger bekommt? Darüber sollten Vorleser und Kinder gemeinsam sprechen.
Die Gesichter der Vögel erlauben nur eine ein geringes Mienenspiel, so dass für die Kinder ein sehr nahes Thema in eine gewisse Distanz gerückt wird. Es geht nicht darum die Ängste von Lotte nachzuempfinden - sich einzufühlen -, sondern darum zu verstehen, wie es dazu kommt, dass sich Menschen einander wehtun, Dinge wegnehmen, und sich gegenseitig unterdrücken. Es geht darum zu begreifen, dass eine Änderung der Situation nur von einem selbst ausgehen kann und dass es nicht nur um die physische Stärke geht, sondern um das eigene Selbstbewusstsein und Auftreten. Und es geht darum zu vermitteln, dass es wichtig ist seine Ängste zu teilen, Freundschaft zu schließen, und sich gegenseitig zu helfen - auch wenn es sich "nur" um eine emotionale Unterstützung handeln sollte. Diese Vermittlung leistet "Lotte ist lieb" und stellt einen geeigneten "Aufhänger" für ein Gespräch dar, auch innerhalb einer Gruppe.
Fazit:
"Lotte ist lieb (...aber Hamfrie)" ist ein gelungenes Bilderbuch, das die Hilflosigkeit der Kleinsten gegenüber den Größeren und das Gefühl des Ausgeliefertseins anregend thematisiert, so dass sich ein offenes Gespräch entwickeln kann.
Annegert Fuchshuber, Annette Betz
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