Die Erde zählt laut Bordcomputer zu den 12 dämlichsten Planeten des Universums, was vor allen Dingen an deren Bewohnern liegt, die allesamt dumm und hochnäsig sind. Gerade hier ist der Sprit der Raumkapsel leer und die Brüder Ibu und Winston müssen auf der Flucht vor ihrer verrückten, dreiköpfigen Lehrerin notlanden. Ähnlich turbulent wie die Notlandung, wird auch der Aufenthalt in der Milchstraße 17a...
...denn hier lebt Linus Michalski mit seinen Eltern in einer gepflegten Reihenhaussiedlung. Und das nicht eben besonders gerne. Ständig ist er den Stänkereien von Angeber-Bodo aus dem Nachbarhaus ausgesetzt. Linus selbst hat keine Freunde, weder in der Reihenhaussiedlung noch in der Schule. Das ändert sich erst als die beiden Außerirdischen Ibu und Winston mit ihrer Raumkapsel im Vorgarten der Familie landen.
Das Buch beginnt mit einer absurd-komischen Situation und auch Linus ist so richtig baff: Als er am Morgen aus dem Fenster schaut, steht dort ein Haus, was am Abend vorher noch nicht da gestanden hat. Und das in der ordentlichen Reihenhaussiedlung, wo sonst über das Aufstellen eines Papierkorbs erst monatelang abgestimmt wird. Dem nicht genug: Zwei Jungen, die sich später als Winston und Ibu vorstellen, mit Unterhose auf dem Kopf, Gummistiefeln an den Händen und die Beinen tief in die Ärmel eines Pullovers vergraben, sind die neuen Nachbarn.
Zwischen Winston und Linus entwickelt sich schnell eine außerirdisch komische Freundschaft. Während sich die beiden Jungs von Erde und All aufeinander einlassen, sind die meisten der Anwohner nicht gerade glücklich über die neuen Nachbarn. Die chaotischen Neulinge wollen sich einfach nicht den strengen Regeln des nachbarschaftlichen Zusammenlebens unterwerfen. In einer Nacht- und Nebelaktion mopsen sie den Sand vom strengen und unangenehmen Herrn Erdmann, der Kinder sowieso nicht ausstehen kann, und bauen sich eine der größten Sandkisten des ganzen Universums. Alles nur um Angeber-Bodo eins auszuwischen. Der Ärger ist groß. Selbst eine friedenstiftende Grillparty geht nach hinten los und kann die Nachbarschaft nicht versöhnen.
Bei alledem hat Linus seine ganz persönlichen Sorgen: Das Schulsportfest naht. Ein Tag, an dem Angeber-Bodo ihn so richtig fertig machen will, wie schon in den letzten Jahren. Eins ist klar: Wer der König beim Sportfest wird, ist auch King der Siedlung!
Auch Winston plagen Nöte: Seine Lehrerin Tietsch 3.0 ist ihnen auf den Fersen und er braucht dringend neuen Sprit für die Raumkapsel, um vor der Paukerin mit den drei Köpfen zu fliehen.
Das sind eine Menge Herausforderungen für die frische Freundschaft zwischen Linus und Winston, über der auch immer die Frage schwebt: Wie lange wird Winston noch auf der Erde bleiben? Wird Linus am Ende wieder allein sein?
Dem Autor Christian Tielmann merkt man seine langjährigen Erfahrungen beim Schreiben an: Über 40 Kinder- und Jugendbücher hat er bereits verfasst, darunter einige Sachbücher. In "Notlandung in der Milchstraße 17a" schafft er es, die Geschichte durch die Vernetzung dreier Erzählstränge in Schwung zu halten. Es wechseln in jedem Kapitel die Erzählperspektiven. Zum einen erzählt Winston aus der Sicht eines Außerirdischen. Und zum anderen berichtet ein Erzähler und treibt die Geschichte voran. Die Kapitel in den Winston berichtet sind dabei dunkel hinterlegt, so dass auch jüngere Selbstleser den Perspektivwechsel gut erkennen. Dazu kommt ein dritter Strang, eine Art Ratgeber für "Nicht-Menschen. Hier sind Ratschläge gesammelt, wie man sich auf der Flucht in eine andere Galaxie zu verhalten hat. Diese urkomischen Tipps kommen ebenfalls aus dem Munde von Winston. Der "Fluchtratgeber" ist für die eigentliche Handlung nicht notwendig, aber eine kuriose Ergänzung mit all den Fallen, in die man nicht hinein tapsen sollte, wenn man sich auf der Flucht - vor was auch immer- befindet.
Durch den Perspektivenwechsel gelingt es Tielmann sehr gut, die Verwunderung eines Außerirdischen über das Leben auf der Erde mit der Berührungsangst der Menschen gegenüber den ungewohnten Wesen zu kombinieren. Dem gegenüber sind zwei Reaktionen gestellt: Zum einen die Ablehnung des Fremden. Auf der anderen Seite das Interesse daran und das Bedürfnis, sich auf Neues einzulassen. Hier wird Linus zu einer Art Vorbild, der uns zeigt, was Unvoreingenommenheit für Chancen eröffnen kann. Spießervorgarten trifft auf Chaosraumkapsel: Ein schönes anschauliches Bild für die unüberwindbar scheinenden Kluft zwischen Andersartigen und wie es Kindern oft viel einfacher fällt, diese zu überwinden.
Eine weitere Hürde nimmt der Autor scheinbar spielerisch: Mögen manche Situationen und Figuren absurd sein, so schafft es Tielmanns Sprache das Gefühl zu vermitteln, als wäre alles das normalste der Welt. Was ist schon dabei, wenn eine Raumkapsel im Garten landet oder jemand seine Unterhose auf dem Kopf trägt?
Markus Spang bringt mit seinen schwarz-weißen Illustrationen, weitere Abwechslung in das Buch. Da sind zum einen die überzeichneten Illustrationen der Reihenhausbewohner als Dokumente menschlichen Lebens. Zum anderen kann der Leser mit verfolgen, was auf dem Bordcomputer erscheint. Das sind beispielsweise erklärende Hinweise im Umgang mit den Menschen auf der Erde, in denen sich immer wieder Anspielungen auf die Eigenheiten menschlichen Lebens finden lassen. Die große Vielzahl an meist sogar einseitigen und zweiseitigen Illustrationen lädt zum Entdecken ein.
Fazit:
Notlandungen müssen nicht per se eine Katastrophe sein. Hier lässt sie zwei Welten aufeinandertreffen, die gegensätzlicher nicht sein können. Dass Freundschaft aber auch dies überwinden kann, das beweisen Winston und Linus. Der Leser darf sich derweil amüsieren, wenn das schräge Leben zweier Außerirdischer auf kleinkarierte Reihenhausbewohner treffen.
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