Hamburg 2050: Wir begleiten den 12-jährigen Leon durch die Hamburger Hafencity, in der so manche Gefahr auf den Schüler wartet. Vor allem aber sind es die "Sharks", die ihm das Leben schwer machen. Mittlerweile erwischen sie ihn jeden Tag und nehmen ihm seine Sachen ab. Leon beschließt, dass sich das ändern muss.
Dabei lernt er nicht nur neue Freunde und Verbündete kennen, sondern schließt sich mit ihnen zu den "Underdocks" zusammen. Beim Experimentieren mit einer Tarntinktur findet Leon heraus, dass er durch Wände gehen kann. Diese unglaubliche Tatsache ergänzt sich wunderbar mit den Fähigkeiten seiner beiden neuen Freunde: Pepito kann Miniaturpfeile zielgenau abschießen und damit überall, selbst im Nacken einer ihrer Shark-Feinde, seine Kameras platzieren. Linda kann mit ihrer Kraft und ihrer Spezialausrüstung die Wände hochgehen und sogar unter der Decke hängen, wie eine Fliege. Im Laufe der Geschichte werden sie zu echten Spezialagenten, denen es aufgrund ihrer besonderen Fähigkeiten und ihrer Cleverness immer irgendwie gelingt, die Sharks auszutricksen. Die Sharks - eine ebenso kriminelle wie skrupellose Jugendbande - haben sogar Lehrer und Schulleitung fest im Griff. Niemand traut sich mehr, ihnen entschlossen entgegen zu treten.
Doch dazu müssen sie erst einmal das Hauptquartier der Sharks ausfindig machen. Es gilt, einen Sender so geschickt zu platzieren, dass er sie dahin führt, wo die Sharks die gestohlenen Sachen verstecken. Tatsächlich gelingt es ihnen dem Anführer der Sharks, "Tjark", ein silbernes Etui unterzujubeln, in dem eine wahre Sensation enthalten ist - Zigaretten. Der Sender führt sie direkt in das unterirdische Labyrinth, in dem die Sharks ihr Hauptquartier haben. Doch bei ihren mutigen Recherchen vor Ort entdecken die Underdocks geheime Türen, verborgene Gänge sowie Labore, die unmöglich von den Sharks stammen können. Hier müssen Erwachsene am Werk gewesen sein. Und tatsächlich: Sie entdecken weitaus skandalösere Dinge, in die die Sharks verwickelt sind; viel schlimmer, als den Mitschülern Sachen zu stehlen. Es beginnt damit, dass Leo einen Jungen entdeckt, der schon seit längerer Zeit vermisst wird. Als er tiefer in die Laboratorien vordringt, einen Jungen, der leblos in einer Art Tiefkühltruhe liegt. Mit jedem neuen Detail wird klar: Die Sharks helfen einer kriminellen Bande von Wissenschaftlern Kinder zu entführen.
In den Versuchsreihen geht es um viel Geld, denn die Auftraggeber dieses fragwürdigen Experiments wollen sich für die Zukunft einfrieren lassen. Doch vorher wollen sie natürlich sicher gehen, dass sie später auch wieder aufwachen. Dies müssen die ahnungslosen Kinder mit ihrem Leben unter Beweis stellen. Ihre Erinnerungen werden am Ende der Versuchsreihe gelöscht, so dass sie niemandem davon berichten können wo sie die Zeit über gewesen waren.
Nach einer turbulenten Jagd und mutigen Erkundungen der Underdocks in dem unterirdischen Versuchslabor, schließen sich ihnen noch zwei weitere Mitstreiter an, beides unfreiwillige Probanden. Kevin, der jedes Schloss knacken kann und seine Schwester Tanja, die zwar ohne Ende redet aber einen unfehlbaren Orientierungssinn hat. Auch der entführte Timor und der immer noch bewusstlose Junge aus der Tiefkühltruhe müssen aus dem unterirdischen Gefängnis befreit werden.
Mittlerweile sind ihnen nicht nur die Sharks auf den Fersen, sondern auch die Wächter-Roboter - und dann ist da immer noch das Feuer, das Kevin durch einen seiner Pfeile ausgelöst hat, damit die Sharks abgelenkt sind. Werden die Underdocks es schaffen, sich aus dieser verzwickten Lage zu befreien und die skrupellosen Täter ihrer gerechten Strafe zuführen?
Schon beim ersten Blick auf die schwarzen Außenkanten der Buchseiten und das Cover mit Mauerdurchbrüchen, die einen spannenden Einblick in die Geschichte bieten, weckt das Buch von Andreas Schlüter die Aufmerksamkeit seiner Leser/innen. Der Autor der Level 4-Serie zeigt auch mit diesem Roman für Jungen und Mädchen ab 10 Jahren seine Affinität für die Technik der Zukunft, verknüpft mit einer spannenden Kriminalgeschichte. Dabei ist die meiste Technik, die er hier vorstellt, bereits heute Realität - wie zum Beispiel die GPS-Brille Leons, mit der er stets seinen Standpunkt und die aktuellen Stadtpläne vor Augen hat. Neueste Miniatur-Kameratechnik, multifunktionale Kleidung und eine innovative Kletterausrüstung, wie sie den Insekten abgeguckt wurde, sind in seiner Zukunftsversion eine Selbstverständlichkeit. 2050 gehören ganz normale Hosen oder Pullover ohne Funktion zu den Antiquitäten. Dafür gibt es Gleitgelschuhe, mit denen man den Boden nicht mehr berührt oder computervernetzte Jacken, die im Regen nicht einmal mehr nass werden.
Doch allen angenehmen Errungenschaften zum Trotz ist die Zukunftsvision, die Andreas Schlüter hier entworfen hat, keine sehr angenehme. Vor allem für Kinder nicht. Sie werden noch nicht einmal in dem Maße geschützt, wie man in dieser Zeit die Müllcontainer bewacht. Das Maß an gebotenem Schutz richtet sich nach dem monetärem Nutzen, dann kommt erst der Mensch an sich. Der Unterschied zwischen Arm und Reich, den Schlüter hier anschaulich beschreibt, ist in der Zukunft noch offenkundiger. In der Hafencity, wo Leon wohnt, können sich nur die Reichen eine Wohnung leisten. Leons Familie kann sich sogar zwei Roboter leisten, die ihnen alle unangenehme Hausarbeit abnehmen, während Leons Mutter bequem in ihrem Wohnzimmer sitzt und 3-D-Konferenzen mit ihren Geschäftspartnern abhält. Alles in allem macht es nicht den Anschein, dass Leons Eltern viel von der Realität außerhalb ihrer luxuriösen Festung mitbekommen. Am allerwenigsten scheinen sie zu erkennen, welchen Herausforderungen sich Leon jeden Tag stellen muss. Doch auf diese Weise kann er selbst unbemerkt ein Hauptquartier unter den Docks des Hafens einrichten, wo er seine Experimente durchführen und Pläne schmieden kann.
Außerhalb der reichen und überplanten Hafencity sieht die Welt ganz anders aus und genau dahin müssen schließlich Leon und seine Freunde, um sich die Sharks endlich vom Hals zu halten.
Dass hier die Welt ganz und gar nicht in Ordnung ist, dürfte nicht überraschen. Doch auch wenn es in unseren Großstädten heute schon zur traurigen Realität gehört, finde ich den Konsum von legalen Drogen in einem Kinderbuch schon irritierend. So beschreibt Schlüter wie der Anführer der Sharks genüsslich die Zigaretten, die Leon besorgen konnte, raucht. Dabei trinkt er, wie auch die anderen seiner Gang, im Hauptquartier reichlich Bier. Natürlich grenzt er unsere Helden, die Underdocks, von diesen Jugendlichen ab; doch ich finde, man hätte auch darauf verzichten können, damit gar nicht erst der Eindruck entsteht, dass es cool ist.
Scheinbar endlos müssen die Underdocks sich von einem zum anderen Gang flüchten - wobei besonders die Fähigkeit Leons, durch Wände gehen zu können, sehr spannend eingesetzt wird. Zu Anfang wird sehr viel Information kompakt vermittelt. Die technischen Standards der Zukunft, die dadurch bedingte ungewöhnliche Wortwahl sowie der manchmal verschränkte Satzbau fordern die Leser schon heraus und verlangen ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit und Kombinationsfreude. Aufgrund der großen Schrift und den zahlreichen Illustrationen ist es jedoch eindeutig ein Kinderbuch, das gerade Neun- bis Zehnjährige ansprechen dürfte. Sofern sie über eine gewisse Leseroutine verfügen, stellen diese Anforderungen sicherlich kein Problem für sie dar. Ebenso könnte ich mir gut vorstellen, dass auch Jungen und Mädchen ab 11/12 Jahren gut mit den Underdocks unterhalten werden.
Alles in allem ist dem neuen Krimi- und Science-Fiction-Roman von Andreas Schlüter ein hohes Maß an Originalität zu bescheinigen. Auch seine Begeisterung, Dinge, die bereits heute unseren Alltag beherrschen, in die Zukunft weiter zu denken, ist spannend und unterhält bestens. Seine Charaktere hat er gut skizziert und sie mit ihren Fähigkeiten zu einem Team zusammengebracht, das sich ideal ergänzt. Er entwickelt lebendige Dialoge und auch wenn manche Dinge, wie die Auswirkungen des Feuers in den "Katakomben" der Sharks etwas unrealistisch wirken, liegt ihm sehr daran, jedes Detail genau und logisch zu erklären. Das macht seine Zukunftsgeschichte zu einem großen Teil glaubwürdig und ich könnte mir gut vorstellen, dass die Underdocks noch weitere spannende Abenteuer in der Zukunft erleben.
Zu der anfangs erwähnten außergewöhnlichen Ausstattung gehören auch die zahlreichen schwarz-weiß Illustrationen von Yannik Lüdemann. In Licht- und Schattenschraffuren durch verschiedene Techniken angelegt, gelingt es ihm eine lebendige Szenerie zu entwerfen. Meist relativ dunkel gehalten, passen sie hervorragend in die Zukunftsvision des Autors. Und obwohl sie eher flächig und zart wirken, haben sie eine besondere Dramaturgie, die auch durch kleine Comic-Sequenzen in den zumeist ganz- bis doppelseitigen Illustrationen unterstützt werden.
Fazit:
Originell und spannend in die Zukunft gedacht, das sind "Die Underdocks" von Andreas Schlüter. Für lesebegeisterte Science-Fiction-Fans, die Freude an außergewöhnlichen Kriminalfällen haben, genau das richtige Lesefutter.
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