Zahlen, Gemälde, Gucklöcher - darum geht's, das ist mit einem Blick auf den Titel klar. Klingt gut - und ein bisschen bildungsbeflissen. Weil aber das Ganze oft mehr ist als die Summe seiner Teile ist dieses Buch in Wahrheit selbst ein kleines Kunstwerk.
Wenig lassen wir heute unsere Kinder machen, nur weil sie es einfach möchten. Ein Haustier? Prima für die Sozialkompetenz und schützt gegen Allergien. Frei verfügbare Zeit zwischen Klavier und Ballett? Ist wichtig, damit sich das Gelernte besser sortieren und setzen kann. Und ein gutes Buch? Ist um so besser, wenn es die lieben Kleinen spielerisch an Wissen, Kultur und Kunst heranführt.
Auf den ersten Blick ist dies genau so ein Buch: als "Spaziergang durch die Kunst" bewirbt es der Verlag, zehn Gemälde gelte es zu entdecken und weil die fortlaufend nummeriert seien, "lernt man dabei auch noch zählen".
Tja, stimmt nicht. Lediglich Maler und Titel sind jeweils bescheiden vermerkt; keine Epoche, keine Maltechnik wird was das Kind hinterher als Wissen präsentieren können. Auch das Zählen steht hier nicht gerade im Vordergrund.
Dieses Buch führt nicht heran. Und das ist gut so!
Denn es fängt ein - und zwar mit den Gucklöchern, die es ja auch noch hat.
Aber im Einzelnen: Je zwei Doppelseiten bilden eine Einheit. Zuerst kommt die Seite mit den Gucklöchern, die fortlaufend eines mehr werden und ein wenig vom Gemälde erkennen lassen, das dann auf der nächsten Doppelseite folgt. Das Umblättern ist immer eine kleine Überraschung: die lächelnden Augen werden zu einer ganzen Frau (der Mona Lisa übrigens), ein paar bunte Kleckse zu witzigen Fußballmännchen (von Picasso), die Rosenblüten sind Teil eines aus Blumen und Gemüse zusammengesetzten Frühlings-Mann (von Arcimboldo). Kinder, Sterne, Kanarienvögelchen tanzen über die Seiten (von Gauguin, van Gogh, Klee), und insgesamt hat die Autorin eine bunte abwechslungsreiche Folge zusammengestellt: von Gegenständlichem wie der kleinen Louise und ihrer dicken Katze über Hafen- oder Dschungellandschaften bis zu Grafisch-Buntem. Die jeweilige Anzahl der Gucklöcher steht auch jeweils auf der Seite und sieht aus wie aus dem folgenden Gemälde geschnipselt. Welcher Ausschnitt ist es denn nun genau? Auch das muss noch entdeckt werden, also vor- und zurückgeblättert werden.
Übrigens sind auch die Guckloch-Doppelseiten schön anzuschauen: Jede ist einheitlich und satt grundiert, entweder Ton in Ton mit dem durchs Guckloch schauende Kunstwerk oder als harmonischer Kontrast: himmelblau, lavendel, ocker, violett, knallgelb. So bereiten sie schlicht und professionell die Bühne für den großen Auftritt der großen Meisterwerke.
Links auf jeder Doppelseite beschreiben Reime, was durch die Gucklöcher zu sehen ist und dann, nach dem Umblättern, auf dem Gemälde. Die Wörter und Sätze nehmen Form und Farbe der Kunstwerke auf und spiegeln sie wider, abstrahiert, versteht sich; ein Satz zieht sich geschwungen wie Mona Lisas Lächeln übers Papier, andere kreiseln sich um die Löcher.
Der Text selbst ist oft nur Mittelmaß: die Wörter sind banal, die Reime sind oft mit Auslassungen und Anhängsel passend gemacht, "spiel´n", "blüh´n" und auf "Woche" muss sich dann eben "Mauseloche" reimen. Leider, denn zu diesen großartigen Bildern wären großartige Reime schön gewesen. Reime, die im Ohr bleiben.
So wie die Bilder im Kopf.
Fazit:
Dieses Buch ist ein optisches Gesamtkunstwerk, ideal für wimmelbuch-geplagte Eltern und für Kinder, die viel schauen und weniger auf eine spannende Geschichte aus sind. Und das sind oft schon deutlich Jüngere als die vom Verlag empfohlenen Vierjährigen. Auch nach der Bilderbuchphase sollte man das Buch unbedingt im Regal behalten: denn in der Grundschule interessieren sich Kinder tatsächlich für Kunst und Künstler und blättern wieder gerne darin herum, diesmal mit einem anderen Blick.
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