Wunderlicht

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  • Erschienen: Juli 2012
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Kinderbuch Couch
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Kinderbuch-Couch Rezension vonJul 2012

Idee

Eine vielschichtige und berührende Geschichte – aus zwei Perspektiven, ungewöhnlich inszeniert und fesselnd erzählt.

Bilder

Bleistiftzeichnungen mit atmosphärischer Dichte transportieren Spannung und Dramatik. B. Selznick streut viele Hinweise für seine Leser, macht sie neugierig und zieht sie immer weiter in das Geschehen.

Text

geradlinig und leichtgängig erzählt mit sauber eingefädeltem Plot, was die machnmal etwas langatmigen Passagen wieder wettmacht.

Kinderbuch des Monats [07.2012]. Wenn Brian Selznick ein neues Buch veröffentlicht, dann erzählt er seine Geschichte nicht nur mit Worten: Er überlässt es vor allem seinen atmosphärischen Schwarz-Weiß-Zeichnungen, seine Leser in faszinierende Welten zu entführen. "Wunderlicht" schildert zwei Lebensgschichten, die zunächst keinerlei Berührungspunkte zu haben scheinen. Und doch es ist von Anfang an spürbar, dass sie irgendwie zusammengehören...

In "Wunderlicht" stehen zwei Geschichten zunächst ganz für sich - Bens Geschichte wird mit Worten erzählt, die von Rose in Bildern.

Es ist das Jahr 1977, als Ben seine Mutter verliert. Seinen Vater hat er nie kennen gelernt und seine Mutter hat ihm nie etwas über ihn erzählt. Ben lebt seit dem Tod der Mutter bei der Familie seiner Tante in Gunflint Lake, Minnesota. Hier gibt es Wölfe, sehr viel Natur und nur wenige Menschen. Ben fühlt sich wohl in der unberührten Natur. Er sammelt für sein Leben gerne "Schätze", die er überall finden kann. In einer kleinen Kiste hebt er sie liebevoll auf. Nur seine Mutter, eine Bibliothekarin mit wachem Verstand, konnte seine Begeisterung für seine "Artefakte" teilen. Ben vermisst sie sehr. In einer stürmischen Gewitternacht geht er hinüber zu seinem alten Zuhause und findet im Zimmer seiner Mutter Hinweise auf seinen Vater. Ben nimmt kurzentschlossen den Telefonhöhrer in die Hand und wählt die Nummer, die sein Vater einst seiner Mutter gegeben haben muss. Doch genau in diesem Moment, da er sich den Hörer an das gesunde Ohr hält, schlägt der Blitz schlägt ein. Ben, der auf einem Ohr bereits seit seiner Geburt taub ist, verliert das Gehör vollkommen.

Als er in der Kinderklinik von Duluth aufwacht, ist er fest entschlossen seinen Vater zu suchen. Er hat nur wenige Anhaltspunkte und sie alle führen nach New York...

Wie in einem Stummfilm beginnt die Geschichte von Rose, die sich im Oktober 1927 in Hoboken, New Jersey ereignet.
Aus Nahaufnahmen von Zeitungsausschnitten, die Rose in ihren Händen hält gehen die Illustrationen immer weiter in die Totale. In ihrem Zimmer, um sie herum, dicht an dicht, stehen viele kleine Wolkenkratzer. Wir verlassen das Haus und sehen ein einsames Gebäude an einem Fluss. Ein Auto fährt vor, der Mann klopft an die Tür, Rose schreibt einen Hilferuf, klettert aus dem Fenster, baut aus ihrer Nachricht ein Schiffchen und lässt es unten am Fluss davontreiben. Ein anderes Mal sehen wir Roses´ Entsetzen, als sie lesen muss, dass der Stummfilm nun vertont wird. Warum ist das für sie so erschütternd und was hat es mit der gefeierten Schauspielerin auf sich, über die sie in einem Album sämtliche Zeitungsausschnitte sammelt? Etwas später können wir eine Nachricht lesen, dass sie ein Problem hat und finden dabei ein Buch mit dem Titel "Gehörlosen die Zeichensprache beibringen". Aus den Seiten des Buches baut Rose einen weiteren Miniatur-Wolkenkratzer. Rose packt ihren Koffer und läuft davon. Sie findet die Schauspielerin und wir Leser erfahren, anhand der knappen Botschaften die die beiden sich schreiben, um wen es sich bei der schönen Dame handelt.

Brian Selznick erzählt in "Wunderlicht" abwechselnd die Geschichten zweier Kinder, die Geborgenheit suchen - einen Ort, wo sie zu Hause sind und wo sie sich beschützt und frei zugleich fühlen können. Auf ihrer Suche zeigen sie eine bewundernswerte Entschlossenheit und Stärke, denn beide können mit den hörenden Menschen um sie herum nicht kommunizieren. Nur aus den Gesichtern lesen sie deren Verwunderung, Erstaunen, ja, sogar, wie etwa im Fall der Schauspielerin, tiefe Ablehnung und Verärgerung. Im Gesicht von Rose können wir die Angst und Unsicherheit sehen und ihre Verzweiflung darüber, auf so viel Ablehnung zu stoßen.

Bens Geschichte wird zunächst ganz über die sprachliche Ebene vermittelt, die im späteren Verlauf mit Illustrationen unterstützt wird. Etwas langatmig sind die Schilderungen über die Historie der Wunderkammern, die aus dem Buch "Wunderlicht" zitiert werden. Dieses Büchlein, das Ben in den Sachen seiner Mutter findet, verbindet beide Protagonisten auf vielfache Weise. Dennoch kann es hier zu vorübergehenden "Ermüdungserscheinungen" bei jüngeren Lesern kommen. Auch verwendet Brian Selznick in Bens Schilderung seiner Geschichte nur sehr wenig wörtliche Rede, was natürlich in der Natur der Sache liegt, da Ben bereits zu Beginn sein Gehör völlig verliert. Ist es zunächst etwas schwierig, diesen Übergang - Bllitzschlag, Krankenhaus, Fahrt nach New York - zu rekonstruieren, kann man auch jungen, kombinationsfreudigen Lesern ruhig zutrauen, dass sie nach und nach die Ereignisse in die logische Reihenfolge bringen. "Wunderlicht" eignet sich selbst für jüngere Leser zum Vorlesen, da die illustratorisch erzählten Passagen sich bestens zum Austausch von Fragen, Meinungen und Einschätzungen anbieten. Hier können Ideen darüber ausgetauscht werden, was wohl passiert sein mag, welche Verbindungen es geben mag, die Selznick wie Hinweise für den Leser streut.

Anders als in dem Vorgänger "Hugo Cabret", bei dem der filmische Erzählbogen in den Illustrationen seine logische Fortführung gefunden hat, spiegelt Brian Selznick in "Wunderlicht" Roses´ stille Welt wider. Selznick schildert die ganze Dramaturgie über die Spannung der Bildausschnitte. Er wechselt dabei aus der ganz nahen Perspektive, wie zum Beispiel die ängstlichen Augen der Protagonistin, in die Totale und wieder zurück. Dadurch erzeugt er, ähnlich wie in einem Stummfilm, eine klare und zugleich fesselnde Dramaturgie.

Es ist bemerkenswert wie es Brian Selznick wieder gelingt, diese reichhaltige Mischung aus Illustration und Text überaus geradlinig und leichtgängig zu komponieren. In beiden Geschichten passieren Dinge gleichzeitig, scheinbar zeitgleich - Der Blitz, das Unwetter, ihre Ankunft im hektischen New York, die Suche nach der Schauspielerin bzw. dem Vater, der erste Blick auf das altehrwürdige Naturkunde-Museum und ihre Entdeckung der Wunderkammer. Obwohl sich die Geschehnisse nach fünzig Jahren auf geheimnisvolle Weise wiederholen, scheint es doch gleichzeitig zu geschehen. So, als wäre es noch immer Roses´Zettel, den Ben auf dem Meteoriten findet.

Selznick lässt mit jeder Seite erkennen, dass jede einzelne der so plastisch schraffierten Zeichnungen ein wichtiges Element der ganz eigenen Faszination und Logik des Buches ist. Und er versteht es erneut, mit einem sauber eingefädelten Plot abzuschließen.

Fazit:

Wie durch ein "Wunderlicht" geleitet, finden Ben und Rose, deren Geschichten fünfzig Jahre auseinanderliegen, ihren Weg. Wie sie ihr Leben als Gehörlose meistern und schließlich ein Zuhause finden, erzählt Brian Selznick in einer spannenden Abfolge von Illustration und Text, die sich zu einem logischen und spannenden Plot vereinen. Für neugierige und kombinationsfreudige Kinder ein Buch mit Sogwirkung.

Stefanie Eckmann-Schmechta

 

Wunderlicht

Brian Selznick, cbj

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