Der kleine Pirat

Der kleine Pirat
Der kleine Pirat
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Kinderbuch Couch
79%1001

Kinderbuch-Couch Rezension vonMai 2012

Idee

Interessante und ausbaufähige Thematik mit einem liebenswerten kleinen Helden, jedoch leider nicht tiefgründig entwickelt.

Bilder

Farbenfrohe und lebendige Illustrationen mit vielen Details untermalen gekonnt die Geschichte und sorgen für Abwechslung und Freude.

Text

Kindgerechte Sprache, die die kleinen Leser auf Augenhöhe anspricht und mit unterschiedlichen Erzählweisen für Abwechslung sorgt.

[ab 5 Jahren]

Das Piratenleben ist aufregend und toll? Findet der kleine Pirat überhaupt nicht. Verzweifelt sucht er nach einem Weg, sein Leben zu ändern...

Der kleine Pirat ist seiner Lebensweise ziemlich überdrüssig. Jeden Tag das Gleiche: morgens aufstehen, Cornflakes essen, in den Mastkorb klettern und nach Schiffen Ausschau halten, darauf zusteuern, überfallen und ausrauben. Am meisten stört ihn daran, dass so wenige Passagiere zumindest versuchen, sich zu wehren und mit ihm zu kämpfen. Die meisten verschwinden spätestens dann, wenn er seine Kanone auf das Boot ausrichtet, unter Deck. Dann schleppt er die Schatzkisten auf sein Boot und zählt sie am Ende des Tages. Das alles langweilt ihn so sehr, dass er eines Tages beschließt, etwas zu ändern.

Von nun an winkt er den Schiffen zu und stellt sich den Passagieren freundlich vor, bevor er sie ausraubt. Doch auch das hilft nichts, keiner will sich mit ihm unterhalten und die meisten Passagiere verschwinden weiterhin verängstigt unter Deck. Völlig frustriert schläft der kleine Pirat eines Abends ein, mit seinem Latein völlig am Ende. Am nächsten Morgen erblickt er ein kleines Boot und fährt schnurstracks hin, um es auszurauben. Wie üblich schreit er: "Alle Mann unter Deck! Piraten greifen an!", doch diesmal erlebt er sein blaues Wunder. Ein alter Mann, die einzige Besatzung an Bord, bleibt seelenruhig an Deck stehen, denn er hat keine Schätze an Bord und ist nur unterwegs, weil es ihm Spaß macht. Er fängt Fische, zählt nachts in der Hängematte liegend die Sterne - also eine ganz andere Art des Unterwegs-Seins, als der kleine Pirat es bisher kannte. Einen ganzen Tag verbringen die beiden miteinander, mit reden und einfach nur aufs Meer schauen. Und obwohl der kleine Pirat an diesem Tag nach Piratenart gar nichts geschafft hat, schläft er am Abend selig ein, noch überlegend, ob er nicht den Beruf wechseln sollte.

Piraten sind cool, furchtlos, unerschrocken und die Schrecken der Weltmeere? Anscheinend nicht immer. In manchem Pirat steckt ein weicher Kern und die Sehnsucht nach Gesellschaft und sozialen Kontakten. Dass der kleine Held im vorliegenden Buch von Kirsten Boie bisher viel zu wenig Kontakt zu anderen Menschen hatte, mag schon sein Name verraten, bzw. der Umstand, dass er gar keinen hat und nur als "der kleine Pirat" bezeichnet wird. Nur auf seinen Beruf reduziert erscheint ihm sein Leben trostlos und leer. Was nutzen ihm die vielen Kisten voller Schätze, wenn er sich doch so sehr nach Gesprächen mit anderen Menschen sehnt?

In seiner Verzweiflung und in seinem Unwissen denkt er, das könnte sich ändern, wenn er nur gar recht freundlich überfällt. Umso bitterer ist die Erkenntnis, dass er auch mit seiner neuen Taktik nicht sehr viel weiter kommt, aber auch nicht den Grund des Übels errät. Doch endlich trifft er auf einen Menschen, der, reich an Lebenserfahrung und arm an Schätzen, ihm endlich erklärt, warum er nicht mit anderen Menschen ins Gespräch kommen kann und ihm Wege aus seiner sozialen Isolation heraus zeigt. Der berühmte Blick über den Tellerrand ist dem kleinen Piraten erst möglich, als ein Fremder ihm die Augen öffnet. Aus sich selbst heraus hätte er es nicht geschafft. Noch unentschlossen, aber sehr glücklich über die neuen Erfahrungen und Erkenntnisse begibt sich der kleine Pirat an diesem Abend zu Bett und wer weiß, vielleicht hängt er seinen alten Beruf ja tatsächlich an den Nagel?

Auch wenn die von Kirsten Boie gewählte Thematik kein klassisches Kinderbuchthema im engeren Sinne ist, birgt sie trotzdem Potenzial. Kleine Leser verstehen die Botschaft recht schnell und können sich instinktiv in die Lage des kleinen Piraten hinein versetzen. Leider ist das Thema aber nicht sehr tiefgründig ausgebaut, sondern bleibt sehr an der Oberfläche. So wirkt die Geschichte teilweise unentschlossen und schwammig, der kleine Pirat teilweise etwas phlegmatisch. Es fehlt die Entwicklung des Charakters und der Problematik, das Potenzial ist vorhanden, wurde aber leider nur sehr wenig aufgegriffen. Selbst der Einsatz von eindrücklichen Wiederholungen: "Denn das ist schließlich die Arbeit der Piraten." unterstützt die thematische Entwicklung nur wenig, hier wäre mehr Nachdruck schön gewesen.

Trotz dieser Defizite ist der kleine Pirat ein sympathischer kleiner Kerl, den keiner um sein einsames Leben beneidet und dessen hilflose Versuche, in Kontakt mit anderen Leuten zu treten, rührend wirken. Kirsten Boie versteht es auch hier wieder, Kinder in ihrer Sprache anzureden. Zusätzlich verwendet sie abwechselnd indirekte und wörtliche Rede und verleiht der Handlung neue Wendungen.

Passend dazu hat Silke Brix die Geschichte humorvoll und farbenfroh illustriert. So trägt der kleine Pirat einen Pyjama mit Totenkopf und gekreuzten Knochen, tagsüber eine quietschgelbe Hose mit Piratenmotiven. In den zahlreichen Schatztruhen verstecken sich nicht nur Ketten, Ringe und Pokale, sondern auch Fußbälle. Mit Aquarelltechnik und grafischen Illustrationen gelingt ihr ein interessantes Wechselspiel, in dem viele liebevolle Details versteckt sind.

Fazit:

Den Horizont erweitern und über den eigenen Tellerrand hinaus sehen - der kleine Pirat macht vor, dass das manchmal gar nicht so einfach ist und guter Ratschläge anderer bedarf.

Claudia Goldammer

 

Der kleine Pirat

Kirsten Boie, Oetinger

Der kleine Pirat

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