Ausgezeichnet mit dem Kinderbuch-Couch-Star*. Kinderbuch des Monats [03.2012]. Welch schreckliche Vorstellung: ans Meer zu fahren und das Meer ist weg. Doch anstatt wütend oder enttäuscht zu sein, begibt sich Emily auf die Suche nach dem Meer und lernt dabei eine Menge.
Emily liebt den Strand, die Sonne und das Meer. Doch eines Tages ist das Meer nicht mehr da, obwohl sie gestern noch darin gebadet hat. "Wer hat das Meer geklaut?", ruft sie und begibt sich auf die Suche. Doch den Möwen ist es egal. Ohne Meer finden sie viel besser leckere Würmer und das ist ihnen wichtiger. Die Seehunde glauben, dass jemand den Stöpsel gezogen hat. Aber der Meeresboden ist doch keine Badewanne?! Die Qualle vermutet, dass die Fischer das Meer einfangen und der Krebs, dass Wale es einfach austrinken. Doch schließlich setzt der Leuchtturmwärter dem ganzen die Krone auf, in dem er behauptet, der Mond habe das Meer geklaut. Emily ist empört und beschließt, selber nachzusehen. Sie läuft den langen, langen Strand entlang, immer dem Meer hinterher. Und plötzlich ist es nass an ihren Füßen. Da ist ja das Meer! Und es wird immer mehr, steigt und steigt, bis zur Brust geht es ihr schon als plötzlich ein Rettungsring neben ihr ins Wasser plumpst. Der Leuchtturmwärter zieht sie aus dem plötzlich sehr tiefen Wasser und erklärt ihr anschließend, dass das Kommen und Gehen des Wassers doch vom Mond verursacht wird. Damit ist er dann als Dieb überführt.
Es ist schon eigenartig am Meer zu sein und das Meer ist gar nicht da. Sofort drängt sich Kindern die Frage auf, wo es denn hin ist? Andrea Reitmeyer hat darauf viele unterschiedliche und sehr charmante Antworten gefunden, die zwar irgendwie plausibel, aber trotzdem (leider) nicht richtig sind. Denn auch Emily begibt sich auf die Suche nach dem Meer und fragt diejenigen, die es eigentlich am besten wissen sollten: seine Bewohner. Doch schnell stellt sich heraus, dass die alle nur in ihrem eigenen Horizont denken und keine richtige Erklärung dafür haben, was mit dem Meer passiert sein könnte. Lustig und einfallsreich sind diese Erklärungen trotzdem allemal. Die Krone setzt der Suche schließlich der alte Leuchtturmwärter auf, der doch glatt behauptet, der Mond habe das Meer gestohlen. Das ist doch gar zu absurd?! Doch Emily lernt schnell und am eigenen Leib, wie recht der Leuchtturmwärter hat und dass das Meer, auch wenn es nicht da ist, tückisch sein kann.
Begleitet wird die amüsante Erzählung von einem zauberhaften und detailreichen Illustrationsstil in farblich sehr abgestimmten Tönen. Blau, Grün, Rot und Weiß dominieren und lassen ein herrliches Sommergefühlt aufkommen. Für zusätzliche Abwechslung sorgen die unterschiedlichen Perspektiven der Bilder: mal ganz dicht vom Meeresboden aus Sicht der Würmer pickenden Vögel oder der Qualle gezeichnet, mal nah in das Maul des Wales hinein, spielt Andrea Reitmeyer mit verschiedenen Ansichten. Besonderer Clou ist die Darstellung des Leuchtturmwärters auf seinem Leuchtturm oder seinem Boot. Ist das Buch sonst als Querformat angelegt, wechselt die Autorin an diesen Stellen zu einem doppelseitigen Hochformat, auf das der Leuchtturm bzw. das Boot des Leuchtturmwärters (inkl. Mast, Fahne und Möwe) gerade so draufpassen. Und zwischen all dem begibt sich Emilys liebenswerter knallroter Schopf ernsthaft und mit ausgeprägtem Forscherdrang auf die Suche nach des Rätsels Lösung. Die liebevollen Ideen sind auch zeichnerisch humorvoll in Szene gesetzt, wenn z.B. ein Kugelfisch den Meeresbodenstöpsel im Maul hält oder der Mond als gewiefter Dieb mit tief in die Stirn gezogener Mütze, Augenklappe und Beutesack zu sehen ist.
In kurzen und unterhaltsamen Sätzen gelingt es Andrea Reitmeyer nicht nur, die amüsante Suche nach dem Meer zu schildern, sie behält diesen prägnanten Stil auch dann bei, wenn der Leuchtturmwärter Emily den Zusammenhang zwischen Meer und Mond erklärt und alle Leser so anschaulich die Entstehung der Gezeiten erklärt bekommen. Dabei schafft sie es, die Leser direkt in ihrer Gedanken- und Gefühlswelt abzuholen, ohne dabei infantil zu erzählen. Überzeugend stellt sie die manchmal bestechende Komik der kindlichen Logik dar, die auch erwachsene Leser zum Lachen bringen kann. Als besonderen Zusatz enthält das Buch eine Gezeitenkarte als Bausatz, die das Geschriebene noch einmal bildlich darstellt und das Zusammenspiel zwischen Mond und Meer auf einen Blick erfassbar macht.
Für sehr küstenaffine Leser ist "Emily und das Meer" auch in einer plattdeutschen Version erhältlich.
Fazit:
"Emily und das Meer" ist eine charmante und unterhaltsame Geschichte über die Entstehung der Gezeiten. Andrea Reitmeyer gelingt es wunderbar, eine sehr unterhaltsame, einfallsreiche und ausgesprochen schön illustrierte Geschichte zu erzählen, die gleichzeitig spielerisch den komplexen Entstehungsprozess von Ebbe und Flut erklärt.
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