Nie ist ganz schön lang
- Bloomsbury
- Erschienen: November 2011
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[ab 11 Jahren]
Die zwölfjährige Meta weiß schon wie das ist, wenn ihre Mutter verliebt ist. Wieder denkt ihre Mutter, es wäre der "Richtige", der sie endlich glücklich macht - und wieder einmal endet es in einer großen Enttäuschung. Doch da tritt der Isländer Bjarni in ihr Leben und zum ersten Mal scheint zumindest für Meta alles anders.
Meta ist in Sachen "Mamas Freunde" schon ziemlich abgeklärt. Und es nervt sie, wenn die Männer in Unterhosen in der Wohnung herumlaufen und sich in ihr Leben einmischen. Als Metas Mutter hoffnungsvoll mit dem Naturburschen Bjarni um die Ecke kommt, ist Meta sich ziemlich sicher, dass auch diese Beziehung wieder in einer Enttäuschung endet, kein Mann war bisher der richtige für ihre Mutter.
In der ersten harmonischen Zeit schlägt Bjarni vor, dass Mutter und Tochter in ihren Ferien mit ihm durch sein Heimatland Island reisen sollen. Normalerweise fahren Meta und ihre Mutter immer gemeinsam nach Südfrankfreich und Meta ist alles andere als begeistert.
Mit Geländewagen, Zelt, Schlafsack und Wanderschuhen geht es schließlich nach einem Stopp bei Bjarnies isländischer Familie los. Bald schon stellt Metas Mutter, Anne, fest, dass gar nichts los ist. Die karge isländische Landschaft geht ihr aufs Gemüt und auch Meta, auf dem Rücksitz, ist skeptisch. Noch halten die beiden erwachsenen verliebt Händchen. Doch irgendwie spürt Meta bereits, dass Spannungen in der Luft liegen. Anne, die Bjarni zunächst dafür bewundert hat, dass er ein "Macher" ist, wirft ihm nun vor, dass er alles allein entscheiden wolle. Bjarni spürt, dass der ganz besondere Reiz seines Heimatlandes bei seinen niederländischen Begleiterinnen keinen Anklang findet. Er versucht sein Bestes, damit es wenigstens für Meta zu einem echten Abenteuer wird. Und er erreicht sie. Er erzählt ihr von alten isländischen Sagen, von dem Kämpfer Grettir - dem stärksten Mann Islands. Meta findet die Geschichten spannend, Anne hingegen zu brutal. Der erste Streit vor Meta entbrennt.
Während sich Meta immer mehr für das abenteuerliche Leben in der rauen Natur begeistern kann und sich zunehmend besser mit Bjarnie versteht, der ihr nicht nur mit seinen Geschichten etwas zutraut, sondern auch während ihrer Ausflüge, zieht Anne sich zurück. Meta, die sonst immer sehr kontrolliert ist, entdeckt ihre wilde, ungestüme, mutige Seite und fühlt sich glücklich. Letztlich sitzt Meta im Auto vorne, bei Bjarni, und Anne auf der Rückbank. Die Streitereien können nicht länger vor Meta verborgen werden. Meta bemüht sich, gute Stimmung zu verbreiten. Doch es gelingt ihr einfach nicht. Als sie in einem Streit zwischen Bjarni und Anne mitanhören muss, dass Anne die Reise abbrechen und sich von Bjarnie trennen will, läuft sie in ihrer Verzweiflung einfach in die Wildnis, ohne an die Gefahren zu denken. Beim Überqueren eines Flusslaufs wird sie von den Wassermassen fortgerissen und kann sich gerade noch an Land retten. Es ist bitterkalt - und wäre Bjarni nicht rechtzeitig dagewesen, wäre sie erfroren. Er wärmt sie in seinen Armen und hält sie ganz fest, bis Rettung kommt.
Dieses Erlebnis schweißt beide noch mehr zusammen. Als die Rückreise nicht mehr abzuwenden ist, verbringen Bjarni und Meta einen letzten, gemeinsamen Tag zusammen und sagen sich die Dinge, die sie miteinander verbinden. Die Weiten, die Berge, Flüsse und Vulkane, die vielen fremden Eindrücke - Bjarni - wird Meta nie vergessen, da ist sie sich sicher, auch wenn Bjarnie findet: "Nie ist ganz schön lang."
Kinder müssen zunehmend in Patchwork-Familien und im Alltag mit alleinerziehenden Eltern ihren ganz eigenen Weg finden. Dabei büßen sie aber nicht selten das ein, was eine Kindheit begleiten sollte: Halt und Geborgenheit.
Die zwölfjährige Meta, die schon davon genervt ist, wenn die neuen Freunde ihrer Mutter sie distanzlos "Meetje" nennen, ist schon ziemlich abgeklärt für ihr Alter. Sie betrachtet die verliebte Blauäugigkeit, die ihre Mutter immer wieder aufs neue befällt, ganz nüchtern. Diese Abgeklärtheit schützt sie aber auch vor ähnlichen Enttäuschungen, die sie ja immer wieder bei ihrer Mutter beobachten muss. Nur dieses eine Mal gewinnt auch sie einen Menschen lieb, der in ihre kleine Familie kommt.
Die raue Einsamkeit Islands spielt in Marjolijn Hofs Roman eine große Rolle. Eingebettet in einer Landschaft, die aus nichts als Weite, Vulkanen und wilden Flüssen besteht, schickt sie ihre 12-jährige Protagonistin auf eine außergewöhnliche Reise. Im Kopf begleiten Meta die alten isländischen Sagen, die in unwirklichen Umgebung für sie lebendig werden. Dabei flicht die niederländische Autorin in ihre Erzählung ebenso einige isländische Ausdrücke ein, die sie in einem abschließenden Glossar erklärt, wie sie auch die für Island so bekannten Naturschauplätze beschreibt. Vor dieser beeindruckenden Kulisse reduziert sich alles auf seine Essenz - auch das Konstrukt, das die drei Reisenden hier her gebracht hat. In dieser Einsamkeit und Weite so auf sich selbst zurückgeworfen, dreht sich die Situation.
Die eine findet heraus, dass sie für das einfache Leben nicht gemacht ist und die andere spürt, dass es genau das ist, was sie braucht. In all dem Ursprünglichen, Ungezähmten findet Meta neue Grenzen, kann sich in der rauen Natur erspüren und ausprobieren. Gleichzeitig findet an der Seite von Bjarni Halt und Geborgenheit. Auf einmal ist da jemand, der weiß, wo es lang geht, der sich sicher ist, was als nächstes getan werden muss und zu seinem Wort steht. Umgekehrt traut Bjarni ihr etwas zu und stärkt ihr Selbstbewusstsein. Ehe Meta sich ihre Sehnsucht selbst eingestehen kann, erzählt sie einem gleichaltrigen Jungen, dass Bjarni ihr Vater sei. Sie hat sich noch nie zuvor gewünscht, einen Vater zu haben.
Während Anne noch immer mit dem Pegel sinkenden ihres Glückszustandes beschäftigt ist, kann sie ihre Tochter bei dem drohenden Verlust nicht trösten. Was ihren Lebensentwurf angeht, weist Anne kaum die Reife auf, die Meta gerade auf der Schwelle zum Erwachsenwerden so dringend braucht. Das, was ihre Mutter bei Bjarni als Bevormundung empfindet, ist für Meta eine Entlastung, die jedoch durch eine andere Belastung neu aufgeladen wird. In dem Bestreben, die Beziehung der beiden Erwachsenen zu retten, nimmt sie zu viel auf ihre Schultern.
Marjolijn Hof zeigt mit ihrem Roman "Nie ist ganz schön lang" die Perspektive eines Kindes in diesen schwierigen Umständen auf und bleibt dabei ganz in der Wahrnehmung ihrer Protagonistin. Auf geschickte Weise lässt sie ihre jungen Leser nachempfinden, was Meta widerfährt und versteht es mit dem wenigen, was sie über Metas Perspektive vermittelt, die zunächst unterschwelligen Konflikte anzudeuten. Dabei vermeidet sie stereotype Darstellungen ihrer Protagonisten und erreicht durch ihre einfache, aber einfühlsame Sprache eine Vielschichtigkeit, die frei von Schuldzuweisungen einer irgendwie übergeordneten Instanz ist. Sie bleibt in ihrer Darstellung, so weit es durch die Perspektive Metas möglich ist, neutral und überlässt es ihren Lesern, die Geschehnisse einzuordnen. Die humorvollen, knappen Betrachtungen Metas nehmen der Geschichte die Schwere und verhindern gleichzeitig, dass es belehrend oder zu bedeutngsschwer daherkommt.
Anders als in Marjolijn Hofs Debüt "Tote Maus für Papas Leben" strebt dieses Buch keinen dramatischen Höhepunkt an, sondern bleibt weitestgehend in ruhigem Erzählfluss. Selbst als die Protagonistin in Lebensgefahr gerät, wechselt der Tenor nicht ins Dramatische - was auch logisch ist, da Meta nicht ahnt, in welcher Gefahr sie schwebt.
Auch die Tatsache, dass sie für ihre jungen Leser kein leicht verdauliches Happy End liefert, scheint dem wahren Leben näher zu kommen, als jede noch so schön konstruierte Idylle. Dennoch findet sie eine versöhnliche Ausgangsbasis, die zeigt, dass das Eingehen Bindungen einen ganz individueller Prozess ist, für das es nun einmal kein Patentrezept gibt.
Fazit:
Behutsam und mit viel Gefühl entwickelt Marjolijn Hof ihre Beziehungs-Geschichte inmitten der rauen isländischen Natur. In ruhigem Ton beschreibt sie aus der Perspektive der zwölfjährigen Meta, wie schwierig es für ein Kind ist, wenn ihre Eltern auf der Suche nach dem großen Glück immer wieder neue Bindungen eingehen, die nicht halten. "Nie ist ganz schön lang" ist ein Buch, das nicht anklagt aber dennoch nachdenklich macht.
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