Räuber, Schattengeister und ein Karpfen im Mühlteich
- Jungbrunnen
- Erschienen: März 2011
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[ab 9 Jahren]
Kurt Lamprecht, kurz "Kutte" genannt, ist ein echter Großstadt-Junge. Seine Straßen kennt er in- und auswendig und mit ihnen, alle Menschen, die dort leben. Dann gibt es eine Überraschung: Er fährt mit seinen Eltern zum ersten Mal in den Urlaub. Doch statt exotischer Ziele wird ihm ein Zelturlaub auf dem Land in Aussicht gestellt. Kutte kann sich so einen Urlaub beim besten Willen nicht vorstellen. Aber vorher passiert noch etwas ganz anderes...
... denn Kutte beobachtet, wie beim Juwelier Thorens, direkt gegenüber, eingebrochen wird. Kutte wird zu Sherlock Holmes, Miss Marple und Nick Knatterton in einer Person und merkt sich alles: Das Fabrikat des Fahrzeuges, das Kennzeichen, die Farbe - sogar den Namen eines Diebes kann er aufschnappen. Kuttes Hinweise führen schließlich zur Verhaftung der beiden Täter und durch die Presse wird Kutte vorübergehend berühmt. Sogar der sonst so mürrische Frisör Stöppler begrüßt ihn freundlich. Als Finderlohn bekommt Kutte vom Juwelier eine tolle Ausrüstung für seinen Zelturlaub: Ein Kompass, ein Fernglas, eine Taschenlampe und ein Schweizermesser gehören zu seiner neuen Überlebensausstattung. Die muss er natürlich sofort ausprobieren. Er kann es kaum erwarten, bis sie endlich in den Urlaub fahren. Vom Warten derart mürbe, hält Kutte zu guter Letzt noch alle Uhren in der Wohnung an und will so der Zeit ein Schnippchen schlagen. Opa Heini, der schon die ganze Welt bereist hat, schenkt Kutte dazu noch zwei Wochen ohne Waschen und Zähneputzen (mit Urkunde). Es ist, als hätte Opa Heini bereits geahnt, WAS für ein Urlaub Kutte erwartet - denn an Waschen und Zähneputzen wäre sowieso nicht zu denken!
Naja, höchstens im Notfall. Aber wie es dazu kommt, das hat mit dem Stau auf der Autobahn zu tun, mit dem Mühlteich, mit Georg Ochsenreiter und zwei zu allem entschlossenen Kühen ...
Hermann Mensing, Autor zahlreicher Kinder- und Jugendbücher wie "Der zehnte Mond" oder "Sackgasse 13", erzählt mit seinem neuen Kinderbuch eine an sich unspektakuläre Geschichte - zumindest wenn man es mit den spannungsgeladenen Fantasy-Abenteuern vergleicht, die ebenfalls um die Gunst der jungen Leserschaft buhlen. Und dennoch ist seine Geschichte so einprägsam, dass vieles von Kuttes Erlebnissen haften bleibt.
Das wird auch in den Schilderungen von Kuttes Alltag deutlich, die voller humorvoller Einzelheiten stecken. Mit Sätzen wie "Lampe kommt, Licht aus!", das Kinder sofort wegen Kuttes Nachnamen bestens einzuordnen wissen, zieht er seine Leserschaft spontan auf seine Seite. Und spätestens bei der Schilderung der Ereignisse um den Juwelier-Einbruch kann er sich ihrer ungeteilten Aufmerksam sicher sein - denn seine Leserschaft, das sind zweifellos Jungs.
Mit Kutte können sie darüber philosophieren, ob man auf dem Land wirklich Urlaub machen kann, was "ans Messer liefern" eigentlich bedeutet, ob der Kompass ein Sendeturm-Anzeiger ist - und ob ein kleines Unglück wirklich ein großes verhindern kann. Die Idee hat zumindest Herr Lamprecht, Kuttes Vater, der heilfroh darüber ist, dass ihn beinahe ein Porsche beim Beladen des Familienvehikels überfahren hätte; andernfalls wäre ja der Aufzug kaputt gegangen (bevor sie die Unmengen Gepäck nach unten bringen konnten). Und dann sind da auch noch die Freunde und Erzfeinde in Kuttes Königreich, das aus zwei Straßenzügen besteht, denen er Dank seines Weltenbummler-Opas einiges voraus hat, zumindest was Tasmanische Teufel oder Australien angeht. Ob es aber wirklich hilft, Regenwolken mit Pfeil und Bogen zu beschießen, das wird allerdings nicht beantwortet.
Es sind die großen und kleinen Momente, das vermeintlich Unspektakuläre, die "Räuber, Schattengeister und ein Karpfen im Mühlteich" zu einem intensiven Lese-Erlebnis machen. Wenn Kutte zum ersten Mal, ganz allein und von nichts anderem umgeben als der Natur, einen Sonnenaufgang erlebt, dann verstehen wir sein Staunen darüber.
Für Kutte Lamprecht ist es, als wäre er auf einem anderen Planeten gelandet und er mag kaum schlafen, um bloß nichts von dieser kraftvollen und gleichzeitig so fragilen Welt zu verpassen. Mensing verweist im Rahmen der Handlung ganz unauffällig auf den Wert des Lebens und auf die Notwendigkeit, Respekt vor der Natur und ihren Geschöpfen zu haben. Das verpackt er allerdings - wie alle wichtigen Aussagen in seinem Buch - mit Kuttes Sicht auf die Dinge.
Hermann Mensing denkt nicht wie ein Erwachsener, der Kindern etwas beibringen will. Er kann sich ganz und gar in ein Kind hineinversetzen und versteht es, dessen Gedanken und Motive wiederzugeben. Manchmal erzählt er einfach drauflos und erklärt später das Warum. Ein anderes Mal stürzt er sich wie ein Kind mitten ins Leben, in den Mühlteich, in den Wald, in die Welt.
Seine abwechslungsreiche, pointierte Erzählweise sowie seine melodische Sprache laden geradezu dazu ein, das Buch vorzulesen. Gemeinsam in Kuttes Abenteuer einzutauchen, mit ihm das pure Leben, die Freiheit zu erleben, das macht nicht nur den jungen Zuhörern Spaß - und die können schon ab 7 Jahren folgen - auch Erwachsene werden einiges aus diesem leisen und doch so starken Kinderbuch mitnehmen. Nicht wenige von uns werden sich wohl im Verlauf fragen, ob unseren Kindern wirklich noch genug Freiraum bleibt, um sich frei zu entwickeln und alles mitzunehmen, was das Leben für sie bereit hält.
Beinahe zufällig, so scheint es, taucht ein Gedanke auf, der aufmerken lässt. Hermann Mensing stellt ihn in den Raum, ohne wirklich die Frage zu stellen: Was bedeutet vollkommenes Glück? Freiheit, Wildheit, der allerbeste Freund, unendlich viel Zeit und keine Regeln, Feuer machen, selbst gefangene Forellen essen...?
Er lässt seine Geschichte darauf antworten.
Fazit:
Hermann Mensing erzählt so lebendig, dass es von der ersten bis zur letzten Seite ein Vergnügen ist, gemeinsam mit "Kutte" auf Entdeckungsreise zu gehen. "Räuber, Schattengeister und ein Karpfen im Mühlteich" ist ein wunderschönes Buch für Jungs: Ehrlich, authentisch, spannend und wunderbar (vor) zu lesen!
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