Einmal in einer großen Halle in einem eleganten Kleid ein Klavierkonzert geben, das ist Zoes größter Traum! - In Wirklichkeit aber besitzt sie eine Heimorgel, hat seltsame Eltern und ist nicht besonders cool. Außerdem will ihre beste Freundin Emma Dent plötzlich nichts mehr von ihr wissen und der Schulraudi Wheeler Diggs geht täglich bei ihr ein und aus. Ihr Leben ist also alles andere als perfekt, aber sie versucht das Beste daraus zu machen.
Seit Zoe Elias eine Sendung über Wladimir Horowitz im Fernsehen gesehen hat - in ihren Augen der beste Pianist der Welt - möchte sie auch so toll spielen können wie er. Wladimir Horowitz, so wurde in der Reportage berichtet, sei ein Wunderkind, weil er schon mit 17 Jahren ein eigenes Konzert gab. Zoe ist fast elf Jahre alt, also hat sie noch ein paar Jahre Zeit, um so gut zu werden wie Horowitz. Leider steht ihren Zielen ein kleines Problem im Weg: Sie hat eine Orgel und kein Klavier... Und das kam so: Zoes Vater kann nicht nur großartig backen, er belegt auch regelmäßig Kurse an der Fern-Uni, die so klangvolle Namen tragen wie "Goldene Handschuhe - als Boxtrainer reich werden", "Mit Einklebebüchern Freunde finden und Geld verdienen" oder "Alles Roger, Whiskey, Over and Out - Fliegen lernen wie die Profis". Sobald Mr. Elias jedoch die Vertrautheit des eigenen Zuhauses verlassen muss, was er äußerst selten tut, gerät er völlig in Panik. So kaufte er einmal 432 Klopapierrollen, weil es im Supermarkt so viele Leute und Geräusche gab, und ein Blaulicht auf das tolle Angebot hinwies. Auf ähnliche Weise kam auch die Heimorgel Perfectone D-60 ins Haus. Im überfüllten Einkaufszentrum sprach ein netter Verkäufer Zoes verwirrt wirkenden Vater an, und führte ihm vor, was die Perfectone D-60 alles Tolles kann und da wurde sie auch schon geliefert.
Als besonderes Extra erhält Zoe ein halbes Jahr Orgelunterricht bei Mabelline Person. Sie ist eine sehr eigenwillige Person, die immer Gingerale trinkt, die Perfecton D-60 heiligt und auch sonst ein wenig schrullig ist. Außerdem will sie Zoes außerordentliches Talent einfach nicht erkennen, wo Zoe selbst doch davon überzeugt ist, ein Wunderkind zu sein.
Neben ihren Unmut über die Orgel und ihrem neurotischen Vater läuft auch sonst in Zoes Leben kaum etwas so, wie es sollte. Ihre Mutter muss ständig Überstunden schieben und verpasst deshalb sogar Zoes Geburtstag. Ihre beste Freundin Emma Dent, die in einem besonders großen Haus in East Eastside (nicht einfach nur in Eastside) wohnt, beschießt nach den Weihnachtsferien, sich eine neue beste Freundin zu suchen. Denn Zoe trägt keins von den coolen neuen "Fratz"-Shirts und verschenkt zum Geburtstag Socken statt eines Lipgloss oder hippen CDs. Von ihren Eltern hingegen bekommt Emma Dent einen glänzend neuen, weißen Flügel geschenkt und keine Perfectone D-60!
Zu allem Überfluss ist Wheeler Diggs, der verlottert wirkende Schlägertyp aus ihrer Klasse, plötzlich fast jeden Tag bei Zoe zuhause, weil ihr Vater so tolle Plätzchen backt.
Von ihrem würdevollen Leben als gefeierte Konzertpianistin ist Zoe also sehr weit entfernt. Sie ergibt sich ihrem Schicksal und übt mit ihrer seltsamen Lehrerin auf der Orgel - mal mit viel Enthusiasmus, mal will sie alles hinschmeißen. Und irgendwann bemerkt auch Mabelline Person, das Zoe Talent hat - nicht zu einem Wunderkind, aber eine musikalische Begabung entdeckt sie doch sowie Zoes Willen, besser zu werden. Und so meldet sie Zoe zum Perfectone Orgelwettbewerb an. Während Zoe das Lied "Forever in Blue Jeans" fleißig für den Wettbewerb übt, belegen Wheeler und ihr Vater nun gemeinsam einen Backkurs an der Fern-Uni, was natürlich in der Schule keiner wissen darf.
Der Orgelwettbewerb selbst wird sehr aufregend, weil Zoes Mutter arbeiten muss und deshalb nicht fahren kann, weshalb ihr Vater ran muss. Wheeler belegt alle Kurzwahltasten von Mr. Elias Handy mit den wichtigsten Notfallnummern, zum Beispiel die vom Wetterdienst, vom Zoo oder von der Rettungsschwimmervermietung - man weiß ja nie was kommt. Wie zu erwarten, passiert auch beim Wettbewerb noch so einiges; doch zu guter Letzt, soviel sei hier verraten, kommt doch alles wieder in geordnete Bahnen.
Mit ihrem Debüt "Das Leben ist kein Klavier" zeigt Linda Urban auf witzige und ironische Weise, dass das Leben manchmal nicht so läuft wie man es sich gewünscht hätte. Und Zoes Leben ist nun mal alles andere als perfekt: Ihr Wunsch eine gefeierte und elegante Pianistin zu werden steht mit der Realität leider auf Kriegsfuß. Die Geschichte wird aus Zoes Sicht geschildert und ist in kurze Kapitel mit sehr treffenden Überschriften unterteilt. Das Buch beginnt mit dem Titel "Wie es sein sollte", worin Zoe sehr ausführlich erklärt, was für ein wunderschönes und edles Instrument doch das Klavier sei. Das zweite Kapitel "Wie es ist" besteht dagegen nur aus drei Sätzen: "Ich spiele Orgel. Eine schnaufende, keuchende Heimorgel aus Holzimitat mit einer Sitzbank aus Plastik. Die Perferctone D-60."
In dieser Manier ist das ganze Buch gehalten. Zoe sieht wie das Leben sein könnte, hat konkrete Wünsche und beschreibt dies blumig, um kurz darauf äußerst trocken die Realität darzustellen. Außerdem baut sie oft sehr positive Redewendungen oder Ausdrücke in die Schilderung ihres Lebens ein, die sie gelesen oder von ihren Eltern gehört hat, wodurch genau das Gegenteil erreicht wird. Zum Beispiel stellt sie ein Glas auf das "fantastisch natürlich wirkende Nussbaumfurnier der Perfectone D-60" - was natürlich im Geiste des Lesers sofort das Bild von einem absolut hässlich und künstlich wirkenden Holz hervorruft. Um beim Lesen ganz in den Genuss des besonderen Humors zu kommen, sollten Kinder schon ein gewisses "Ironieverständis" entwickelt haben, was in der Regel im Alter von 10-12 Jahren der Fall ist.
Neben dem besonderen Schreibstil lebt die Geschichte von ihren skurrilen Charakteren, die Zoe das Leben manchmal ganz schön schwer machen und ihr nicht selten auf die Nerven gehen. Am auffälligsten ist wohl ihr neurotischer Vater, der vermutlich unter Agoraphobie leidet, einer Krankheit, bei der bestimmte Orte oder Situationen zu Unwohlsein und Angstzuständen führen. Für Mr. Elias werden schon alltäglich Dinge, wie Einkaufen, zu einer enormen Herausforderung. Und ein Fern-Uni-Diplom mit dem Titel "Back dir einen Weg zur Bank - Wie man aus Keksen Bares macht" ändert auch nichts daran, dass Zoes Vater sie nicht regelmäßig zu Freundinnen fahren kann. Dabei ist die Interaktion zwischen den verschiedenen Charakteren sehr amüsant zu beobachten: Wenn aus dem verwahrlosten Kerl aus der letzten Bank plötzlich ein lammfrommer Bäckersmann wird, der sich äußerst fürsorglich um den verängstigten Stubenhockervater einer Freundin kümmert, führt das beim Leser hin und wieder zu einem vergnügten Schmunzeln. Gerade auf Grund des ungewöhnlichen Zusammentreffens der verschiedenen Charaktere entwickeln sich die vier Hauptpersonen im Laufe der Handlung zum positiven: Sie wandeln Schwächen in Stärken um, wachsen näher zusammen und sind füreinander da.
Besonders gut hat Linda Urban auch die Gefühlswelt in der Vorpubertät dargestellt. Zoe schwebt in einem Stadium zwischen Kind sein und dem Erwachsen werden: Manchmal geht sie noch sehr naiv an bestimmte Situationen heran. Nachdem sie zum Beispiel die Reportage über Horowitz gesehen hat, ist sie davon überzeugt, dass ein ebensolches Talent auch in ihr schlummert, obwohl sie niemals auch nur einen Finger auf eine Klaviertastatur gelegt hat. Andererseits geht sie (zumindest meistens) äußerst verständnisvoll mit den Problemen ihres Vaters um und akzeptiert es, wenn sie seinetwegen auf vieles verzichten muss. Außerdem werden für sie Jungs langsam interessant. Colton Shell, ein beliebter und gutaussehender Junge, macht ihr auf kindliche Weise den Hof, indem er in der Schulcafeteria an ihren Tisch kommt und ihr eine Geburtstagskarte überreicht. Zoe wird rot, wenn jemand zu ihr sagt, Colton sei ihr Freund, obwohl sie das gar nicht so sieht. Ihre Freizeit verbringt sie jedoch hauptsächlich mit Wheeler. Als ihre Mutter sie fragt, ob sie einen Freund hätte, denkt sie zuerst an Wheeler, ist sich aber ziemlich sicher dass er nicht ihr Freund ist. Sie ist also ein wenig verwirrt, was ihre Gefühle angeht.
Gerade Kinder in Zoes Alter können sich vermutlich mit ihr gut identifizieren, weil sie das ein oder andere ihrer Problem auf ähnliche Weise erleben. Die Geschichte gibt ihnen dabei eine sehr gute Weisheit mit auf den Weg, ohne dabei zu deutlich mit dem moralischen Zeigefinger zu wackeln: Manchmal ist das Leben nicht einfach und läuft selten genau so ab, wie man es geplant hatte. Aber es kann trotzdem überaus spannend und schön sein, wenn man nur das Beste aus dem Status Quo zu machen vermag.
Fazit:
Linda Urbans Debüt ist ein Lesegenuss für alle, die Ironie mit einer Prise Sarkasmus mögen. Mit ihrer Geschichte über Zoe bringt sie auf den Punkt, dass das Leben nicht immer ein Klavier, sondern manchmal eben auch eine Heimorgel sein kann. Ihre eigenwilligen Charaktere und eine Hauptfigur, die mit den Problemen des Alltags und des Erwachsenwerdens kämpft, lassen die Geschichte lebendig wirken und bringen dem Leser immer wieder ein amüsiertes Lächeln auf die Lippen.
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