Als ich Maria war

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Kinderbuch Couch
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Kinderbuch-Couch Rezension vonNov 2010

Idee

Ein Buch über Toleranz und Nächstenliebe, eingebettet in eine weihnachtliche Geschichte – passende Verknüpfung zwischen Intention und Anlass mit überzeugenden Charakteren.

Bilder

Die sanften und ruhigen Bilder in warmen Farbtönen unterstreichen die zurückhaltende Erzählweise und erzeugen ein stimmiges Gesamtbild.

Text

Distanzierte aber dennoch emotional tiefgründige Sprache, die das Thema sanft an den Leser heran trägt.

Weihnachten - Zeit der Nächstenliebe und Besinnlichkeit. Oder doch nicht? Ein kleines Mädchen, das ausgegrenzt und verspottet wird, kann sich als "Maria" schließlich doch in die Herzen der Anderen spielen.

Ein kleines Mädchen ist mit seiner Mutter neu an den Ort am Fluss gezogen. Es ist Winter und bitterlich kalt, aber das Mädchen darf nicht den Tag im Bett verkuscheln, sondern muss sich anziehen und zur Schule gehen. Dabei mag es die Schule gar nicht, denn die anderen Kinder mögen das Mädchen nicht. Sie wollen nicht neben ihm sitzen und nicht mit ihm spielen. Lieber werfen sie in der Pause Schneebälle auf es und der Lehrer guckt weg. Im Krippenspiel hat das Mädchen daher auch keine Hauptrolle abbekommen, sondern darf nur ein Schaf spielen. Darüber machen sich die anderen Kinder besonders lustig: "Ein schwarzes Schaf...", denn das Mädchen ist dunkelhäutig. Zur Krönung des Übels muss das Mädchen, auf Wunsch des Lehrers, den Schulweg mit Brigitte gehen, die die "Maria" spielen darf. Dabei wäre das Mädchen am liebsten selber Maria. Es kommt der 24. Dezember, der Tag des Krippenspiels in der Kirche. Abgehetzt und kurz vor Beginn des Krippenspiels erreicht das Mädchen die Kirche. Zehn Minuten hat es auf Brigitte gewartet, doch die kommt und kommt nicht. "Du musst Maria spielen! Kannst du den Text?", ruft der Lehrer ihm zu, denn Brigitte ist krank. Und wie das Mädchen den Text kann! "Mucksmäuschenstill" ist es nach dem Krippenspiel in der Kirche. "Und dann fangen sie an zu klatschen, und sie hören überhaupt nicht mehr auf."

Das alljährliche Krippenspiel sorgt jedes Jahr wieder für Aufregung. Wer darf Maria spielen, wer Josef, wer die Heiligen Drei Könige, wer den Hirten? Danach wird mehr oder weniger großzügig aufgefüllt und zur Not noch ein paar Tierrollen verteilt. So passiert es auch dem namenlosen Mädchen im Buch "Als ich Maria war". Dabei hätte sie so gern eine der Hauptrollen gespielt, zumal sie auch sonst überall ausgeschlossen oder maximal geduldet wird. Dabei erfährt der Leser erst nach gut der Hälfte des Buches, warum das Mädchen ausgegrenzt wird. Sprachlich und auch illustrativ wird des Rätsels Lösung lange geheim gehalten. Das Mädchen ist immer nur eingehüllt und von hinten zu sehen, nur auf der zweiten und sechsten Doppelseite blitzt ein schwarzer Kurzhaarschopf hervor. Doch fünf Doppelseiten später wird das Geheimnis gelüftet und es wird ein kleines dunkelhäutiges Mädchen gezeigt, das über sich selbst sagt: "Meine Haut ist überall schwarz, nur unter den Füßen und innen in den Händen nicht." Früher wollte sich das Mädchen mit Schnee rein waschen, um genauso weiß zu werden, wie die anderen Kinder und um dadurch leichter dazu gehören zu können. Dass es etwas ganz Besonderes ist, wie seine Mama sagt, glaubt es nicht und es will auch gar nichts Besonderes sein. Verständlicherweise, denn dieses Besondere hat es bisher nur Ausgrenzung und Ablehnung spüren lassen. Niemand gibt dem Mädchen eine Chance, es kennen zu lernen und so wird ihm auch beim Krippenspiel nur die Rolle des Schafs - bezeichnenderweise ein schwarzes Schaf - zugeteilt.

Weihnachten ist die Zeit der langen Abende, die gern mit dem Lesen von Märchen, Gedichten und Geschichten im Familienkreis verbracht werden. Diese schöne Gepflogenheit aufgreifend, lässt Jutta Richter die Geschichte des kleinen Mädchens fast märchenhaft mit einem impliziten "Es war einmal" beginnen, nutzt diese Anmutung aber, um sie in die rückblickende Perspektive der Erzählerin, des kleinen namenlosen Mädchens, einzubauen. So beginnt die Geschichte mit "Als wir am Fluss wohnten..." und behält diesen leicht verträumten und verklärenden, dabei jedoch distanzierten Tonfall bis zum Ende des Buches bei. Dadurch gelingt es Jutta Richter eine ergreifende Geschichte trotz weniger emotionaler Regungen zu erzählen, die dennoch den Klang der Weihnachtszeit in sich trägt. Sprachlich arbeitet sie mit stimmungsbildenden Wiederholungen und kurzen, unaufgeregten Sätzen, die dennoch die Gefühle der Erzählerin wiedergeben. So werden z.B. die anderen Kinder in der Klasse mit Vor- und Nachnamen benannt, was die Distanz zwischen ihnen und der Erzählerin belegt. Es selbst bleibt namenlos, denn schließlich steht das Schicksal des Mädchens für das vieler anderer Ausgegrenzter (aus welchen Gründen auch immer) und ist daher als Symbol zu verstehen.

Die Stille und Feierlichkeit des Textes wird durch die leisen, sanften Illustrationen unterstrichen. Die Seiten sind als Doppelseiten angelegt, auf denen ganzseitige Illustrationen das jeweils Geschilderte untermalen. Die Farbgebung ist feierlich gedeckt, keine grellen Farben stören das friedliche Bild. Deutlich sind die Pinselstriche zu sehen, mit denen Jacky Gleich den Figuren Lebendigkeit und Dynamik einhaucht.

Das Buch ist trotz der stillen Erzählweise und dem an sich bekannten Thema spannend. Geschickt setzt Jutta Richter kleine Hinweise und Überraschungsmomente ein, die den Leser fesseln und den Spannungsbogen aufbauen. So bleibt das Rätsel um das geheimnisvolle kleine Mädchen bis über die Hälfte des Buches hinaus bestehen. Sobald dieses gelöst ist, greift die Autorin auf die Thematik des Krippenspiels zurück und verdeutlicht dem Leser, wie innig das kleine Mädchen den Wunsch hegt, Maria zu spielen. So innig, dass es ihn selbst dem Weihnachtsmann schreibt, für das nächste Jahr. Und dann geht er plötzlich ganz schnell in Erfüllung und erfüllt das kleine Mädchen und die Leser mit großer Freude.

Nicht nur zur Weihnachtszeit sollte Kindern die Achtung vor anderen Menschen, Toleranz, Respekt und Wertschätzung vermittelt werden. Wie weh es tut, ausgegrenzt zu sein, erfährt man immer nur, wenn man selber darunter zu leiden hat. Da "Als ich Maria war" aus der Perspektive des ausgegrenzten Mädchens geschrieben ist, geht es dem Leser sehr nah und wirkt dadurch umso deutlicher. Insofern ist es eine gute Anregung gerade zu dieser besinnenden Zeit im Jahr das eigene Verhalten gegenüber anderen zu überdenken und Kinder dabei mitzunehmen.

Fazit:

Ein weihnachtlich-feierlich, wunderschönes Buch über Akzeptanz und Toleranz, das kleinen und großen Lesern zeigt, dass die wichtigsten Werte und Eigenschaften im Inneren eines Menschen liegen.

Claudia Goldammer

 

Als ich Maria war

Jutta Richter, Hanser

Als ich Maria war

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