Kinderbuch des Monats [05.2010]. Lust auf ein künstlerisches Bilderbuch über eine ungewöhnliche Freundschaft? Die Geschichte startet wenig harmonisch. Wenn Kleine aber ganz groß rauskommen, dann wird es richtig spannend.
Am Rande der Stadt stemmt eine Maus ihre, von Menschen sorglos liegengelassenen, Essensschätze ahnungslos Richtung Mauseloch. Doch diesmal ist der Eingang durch den dicken Hintern eines Tigerkaters versperrt. Der ist offensichtlich hungrig und leckt sich gierig die Schnauze. Da hat die Maus eine rettende Idee."Wenn Du mich leben lässt, zeige ich Dir ein paar Weltwunder!" Überrascht aber neugierig hält der Kater inne und willigt ein sie zu verschonen, sollte sie Wort halten.
Zunächst sorgt die schlaue Maus dafür, dass der Kater nicht mehr hungrig ist und verschafft ihm einen frischen Fisch aus dem Fischladen. Für den hungrigen Stubentiger ein Wunder, denn für ihn gibt es nichts auf der Welt, das leckerer schmeckt. Gemeinsam überqueren Sie einen schier unüberwindbaren Zaun, um sich die größte Katze der Welt anzusehen. Tief beeindruckt vom Tiger im Zoo, machen sich die beiden wieder aus dem Staub. Bei einem gemütlichen Päuschen unter der Parkbank offenbart der Kater Nikodemus seinen ungewöhnlichen Namen und obwohl die Maus ihn schön findet, einigt man sich auf Niko. Niko schnurrt, weil er seine neue Freundin Luzili nennen darf. Danach verführt Luzili den Kater zu einer Achterbahnfahrt, die sie wunderbar findet, aber Nikodemus vor lauter Angst ganz grün im Gesicht werden lässt. Er hat genug von Weltwundern. Nun ist Luzili dran und darf Nikodemus´ ganz persönliches Wunder erleben. Er trägt sie ganz vorsichtig im Maul auf das Dach eines Hochhauses und schaut mit ihr gemeinsam und überglücklich in die Sterne.
Wer erwartet, aufgrund des Titels mehr über die Pyramiden von Gizeh oder den Koloss von Rhodos zu erfahren, der irrt. Denn die mutige Maus zeigt dem Kater ihre ganz persönlichen Weltwunder. Manchmal steht man vor Dingen und man kann sich gar nicht vorstellen, dass es etwas Schöneres, Größeres oder Leckereres gibt. Egal ob Chinesische Mauer oder Panamakanal - es grenzt an ein Wunder dass es sie gibt. Und in der Tat empfindet Nikodemus die Dinge, die er von Luzili gezeigt bekommt, als wunderbar.
So entsteht eine enge Freundschaft, die zunächst von beiderseitiger Unsicherheit geprägt ist, denn die Katze befürchtet, dass ihr die Nahrung wegläuft und die Maus fürchtet gefressen zu werden. Es entwickelt sich Vertrauen und dadurch eine Bindung, die das offenbart, was Freundschaft ausmacht. Als es Nikodemus schlecht geht, ist die kleine Maus für den völlig desolaten Kater da, bewacht und beschützt ihn. Im Gegenzug führt der Kater die Maus an einen Platz, den sie alleine nie erreicht hätte und verschafft ihr so das wunderbare Gefühl, dem Himmel ganz nah zu sein. Schließlich gibt es nichts Besseres, als Schönes mit Jemandem zu teilen.
Diese schöne Geschichte wird eingebettet in die fabelhaften, doppelseitigen Illustrationen von Jochen Stuhrmann. Stuhrmann hat sich perspektivisch sehr viel einfallen lassen, um den größenmäßig dominierenden Kater je nach Entwicklung der Geschichte von bedrohlich über neugierig bis schließlich auf Augenhöhe mit der Maus wirken zu lassen. Mit Hilfe von Lichteinfall und Blickwinkel entwickelt sich Nikodemus so von der Raubkatze über den schnurrenden Stubenkater bis hin zum gleichwertigen Partner.
Aber auch Mimisch sind die erdigen Zeichnungen voller Atmosphäre sehr stark. Mit zartem Pinselstrich entsteht dabei der unglaublich angstverzerrte Blick des Katers in der Achterbahn und sein elender, grünlich schimmernder Gesichtsausdruck danach.
Nicht zu vergessen sind die wenigen, aber dafür umso gelungeneren Nebenschauplätze in den Bildern. Als die beiden sich unter der Bank näherkommen und Namen austauschen, werden sie von einem eifersüchtigen, kleinen Dackel beäugt, der sich den Hals verdreht um zu lauschen. Und auf dem Dach sind sie nicht die einzigen Nachtschwärmer. Auch ein Frosch schaut sich vom Dachfirst aus in aller Ruhe ein Fußballspiel im Stadion an.
Wer wissen möchte, warum der Kater Nikodemus heißt, dem sei gesagt, dass dies im Christentum der Name eines Pharisäers war, der sich gegen seine Mitstreiter für Jesus stark gemacht hat. Also ebenso bereit war, eine ungewöhnliche Freundschaft mit dem alten Gegner einzugehen.
Textlich ist das Buch schon für aufgeweckte 4 -Jährige geeignet, wenn man bereit ist, ein paar Wörter zu erklären und sich an ein paar Weltwunder erinnert. Der Text besteht hauptsächlich aus dem einfachen, aber lebendigen Dialog zwischen den Tieren und ist gut zu verfolgen. Trotzdem sollte man sich Zeit beim Lesen lassen, um die starken Bilder in aller Ruhe gemeinsam zu entdecken.
Fazit:
Eine großartige Bilderbuch-Fabel zum Thema Freundschaft zwischen zwei ungleichen Partnern. Die wundervolle und sehr spannende Reise zu ganz persönlichen Weltwundern wird durch perspektivisch ungewöhnlichen Einblicke in die Welt von Katz und Maus zu einem echten Leckerbissen.
Deine Meinung zu »Nikodemus und das Mäusewunder«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!