Keentied - oder die Kunst, ins Glück zu fliegen

Wertung wird geladen
Kinderbuch Couch
88%1001

Kinderbuch-Couch Rezension vonMai 2010

Idee

Eine kleine poetische Geschichte, über das Glück. Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute ist so nah. Ein Buch, welches sich für Erwachsene wie für Kinder gleichermassen eignet.

Bilder

Nordseestimmung pur. Edle Aufmachung mit Goldprägung und mit vielen humorvollen versteckten Details.

Text

Der Text ist kurz, leicht verständlich und begleitet die Bilder direkt.

[ab 5 Jahren]

Keentied - wie der Name es schon sagt - hat keine Zeit. Er ist ein Sanderling, ein Zugvogel von der Waterkant, kurz vor dem großen Abflug in den Norden. Er verpasst jedoch den Anschluss und bleibt allein zurück. Keentied gibt nicht auf und macht sich auf den Weg. Es ist eine Geschichte über die Kunst, auf ungeplanten Wegen schließlich doch noch zu seinem Glück zu kommen.

Das Buch beginnt mit einem schönen Zitat von Berthold Brecht: "Ja, renn nur nach dem Glück, doch renne nicht zu sehr! Denn alle rennen nach dem Glück, das Glück rennt hinterher." Keentied rennt seinem Glück hinterher, zumindest eine Weile, bevor er aufgibt.

Er verpasst den Abflug mit seinen Artgenossen, obwohl er sich nie von seiner goldenen Taschenuhr trennt, die ihm stets die genaue Stunde anzeigt. Traurig bleibt er am Pier zurück. Aber nicht lange, denn er will nicht allein bleiben und fliegt los. Nach einer kurzen Verschnaufpause auf einer kleinen Insel (auf der er Federn von seinen Kameraden entdeckt) fliegt er zielorientiert weiter. Ein mächtiger Sturm zwingt ihn zur Landung auf einem Kutter. Er bleibt zunächst nur mit der Uhr, dann aber ganz im Fischernetz hängen. Eine liebe Maus kann ihm helfen. Er ist nun wieder frei, aber auch müde und enttäuscht. Letztendlich treibt er ziellos auf einem Holz in den Wellen.

In der Ferne taucht plötzlich seine "alte" Insel wieder auf und er entdeckt einen kleinen weißen Punkt auf dem Steg.

In der Zeitung ist zwei Wochen später die Sensationsnachricht zu lesen: "Ein Vogelpaar der Sanderlinge ist den Sommer über an der Nordseeküste geblieben und brütet vier Eier aus - der Standort wird zum Schutz der Vögel aber nicht verraten."

Keentied: ein wunderbarer und so passender Name für den kleinen Zugvogel. Dieser Name entstand an der Nordseeküste, da dieser kleine Vogel mit seinen schnellen, den Wellen ausweichenden Schritten leicht hektisch wirkt - eben so, als wenn er keine Zeit hätte.

Auch mit diesem Buch spürt man die Liebe der Autorin zur Nordsee. Statt des langen "Deichformates" von "Fiete Anders", ihrem Debütwerk, hat sie sich dieses Mal für ein quadratisches Format
entschieden, in dem sie wieder einmal mit ausdrucksstarken, klaren Illustrationen die Atmosphäre der Nordsee einfängt.

In ihren Bildern arbeitet sie Collagen - Fotos vom Meer, von Wellen und Felsen - ein, die sie überarbeitet und zum Teil auch überzeichnet. So findet man beispielsweise gezeichnete Seepocken auf den fotografierten Steinen der Nordsee. Auch die Farbgebung, überwiegend im Meeresblau und Sandbeige lassen die Leser Nordseeluft schnuppern.

Gekonnt setzt sie auch das Stilmittel des häufigen Perspektivenwechsels ein. Mal ist man ganz dicht am Geschehen und mal sieht man alles von weit oben aus der Vogelperspektive (hier im wahrsten Sinne des Wortes aus der Sicht von Keentied). Dieser häufige Perspektivenwechsel symbolisiert den Weg Keentieds und die typische Art der hektisch wirkenden Sandlinge.

Die klare Darstellung dieser Sandlinge in Grösse und Farbe gibt ein naturgetreues Bild dieser Zugvögel wieder. Neben den Möwen wirken sie klein, unruhig und sehr wendig. Mit seinen hellgrauen Flügeln, seinem weissen Körper, dem langen schwarzen Schnabel und den dürren flinken Beinen, entsteht also ein ziemlich genaues Bild von ihm. Zudem vermag die Autorin und Illustratorin dem Protagonisten mit einer scheinbar leichten Linienführung Leben einzuhauchen. Als Beispiel hier kann man sehr schön die Traurigkeit Keentieds ablesen, die fast spürbar ist, so traurig sitzt er zu Anfang auf dem Steg: in sich zusammen gesunken, mit herunterhängender Stirnlocke und zerknitterten Augenringen.

Geschickt zeigt Miriam Koch die Gegensätze der Nordsee auf: die Ruhe auf der einen Seite wird unterbrochen von stürmischen Zeiten auf der anderen Seite. Da sehen wir die beschaulichen Landschaftsbilder, dann Keentied`s fliegende Beine, der Wind verziert Wellen mit Schaumkronen, Federn und römische Zahlen der Uhr wirbeln durch die Luft ... und dann meint man wieder fast das beruhigende Wellenplätschern am Strand zu hören.

Viele kleine beachtenswerte Details machen dem Betrachter Spaß. Immer wieder entdeckt man winzige Mücken an den lustigsten Orten: Mücken, die hinter dem Holzsteg verstohlen hervorschauen oder vor herausspringenden Fischen die Flucht ergreifen.

Der "Running-Gag" in diesem Buch aber ist sicherlich der Zettel mit: "Wir konnten nicht länger auf Dich warten und sind gestartet". Dieser ist immer mal wieder zu entdecken. Er segelt durch so manches Bild oder schwimmt als Papierschiffchen neben Keentied auf dem Meer. Zudem findet der aufmerksame Leser einen Verweis der Autorin auf ihr erstes Buch, indem sie Fiete Anders als Flaschenpost an Keentied vorbeischwimmen lässt.

Vor umweltkritischen Anspielungen macht Miriam Koch nicht Halt: Sie zeigt im Fischernetz alte Dosen und Stiefel sowie ein leckes, altes Altölfass auf dem Kutter mit dem Hinweis, dass der Inhalt sehr stark wassergefährdend ist. Diese Kritik verstärkt sie durch fast farblose Bilder.

Die kurze, fast schon poetische Geschichte und die stimmungsvollen Illustrationen machen dieses Buch zu etwas Besonderem. Das Happy End versöhnt Keentied und den Leser gleichermassen.

Fazit:

Ebenso wie schon das Debütwerk von Miriam Koch (Fiete Anders) ist auch "Keentied" ein sehr empfehlenswertes Buch - nicht nur für alle grossen und kleinen Liebhaber der Nordsee. Sicherlich werden alle ihren Spaß an den wunderschönen Zeichnungen und der edlen Aufmachung haben.

Sylke Wilmer-Gruchmann

 

Keentied - oder die Kunst, ins Glück zu fliegen

Miriam Koch, Gerstenberg

Keentied - oder die Kunst, ins Glück zu fliegen

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Keentied - oder die Kunst, ins Glück zu fliegen«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Lesen und Hören
mit System

Lesestifte und Audiosysteme für Kinder.
Der große Test.

mehr erfahren