Das größte Haus der Welt
- Beltz & Gelberg
- Erschienen: Mai 2010
- 0
Eine kleine Schnecke mit einem Haus so groß wie ein Kürbis? Das geht doch gar nicht, oder? Doch die kleine Schnecke will unbedingt das größte Haus der Welt haben und dient am Ende als abschreckende Geschichte für eine andere kleine Schnecke mit demselben Wunsch...
Auf einem saftigen Kohlblatt sitzt eine kleine Gruppe Schnecken und lässt es sich gut gehen. Da verkündet eine kleine Schnecke, dass sie eines Tages, wenn sie erwachsen ist "das größte Haus der Welt" haben möchte. Ihr Vater, der diesen Wunsch hört, ist zufällig ein sehr kluger Schneckerich und weiß, welche Probleme große Schneckenhäuser mit sich bringen. Deshalb erzählt er der kleinen Schnecke eine Geschichte: Sie beginnt, in dem eine kleine Schnecke ihrem Vater von ihrem sehnlichsten Wunsch erzählt, nämlich, wenn sie groß ist, dass größte Haus der Welt zu haben. Ihr Vater rät ihr dringlich davon ab, doch diese kleine Schnecke hört nicht auf ihn. Sie übt und übt und schließlich entdeckt sie, wie sie ihr Schneckenhaus wachsen lassen kann. Und es wird größer und größer und als es schließlich so groß wie ein Kürbis ist, lässt sie zusätzlich kleine Türmchen und Buckelchen darauf wachsen. Und obwohl die anderen Schnecken ihr schon längst bestätigt haben, dass sie wohl das größte Haus der Welt habe, hat die kleine Schnecke noch nicht genug und verziert die Buckelchen und Türmchen in leuchtenden Farben und Mustern. Ein Schmetterlingsschwarm, der über sie hinwegflattert, denkt, er wäre über eine Kirche oder einen Zirkus hinweg geflogen, aber ein Schneckenhaus erkennt er nicht. Eine Froschfamilie, die an dem Kohlkopf vorbei kommt, zeigt sich auch tief beeindruckt und berichtete der Verwandtschaft später, die kleine Schnecke habe "ein Haus wie ein Geburtstagskuchen" gehabt. Die kleine Schnecke ist natürlich mächtig stolz auf ihr großes und schönes Haus. Doch schließlich haben die Schnecken den ganzen Kohlkopf kahl gefressen und machen sich auf den Weg zu einem anderen Kohlkopf. Doch die kleine Schnecke mit dem größten Haus der Welt kann nicht mitkommen, denn ihr Haus ist viel zu schwer. So bleibt sie allein auf dem kahlen Strunk zurück und ihr "Hunger wurde immer größer, und sie wurde immer weniger" bis eines Tages nur noch ihr Haus übrig war und schließlich auch dies nach und nach zerfiel. Diese Geschichte stimmt die "richtige" kleine Schnecke sehr traurig, doch schließlich besinnt sie sich auf ihr eigenes Haus und beschließt, es so klein zu lassen, wie es ist. Mit diesem kleinen Haus zieht die kleine Schnecke eines Tages los, erkundet die Welt und entdeckt die Schönheit und Vielfalt der Natur: dünne Blätter, schwere Blätter, Pilze und Blumen, Tannenzapfen und Farne, Kieselsteine und Sand, Flechten und Rinde, Knospen und Morgentau. Die kleine Schnecke ist mit ihrem Leben sehr glücklich und immer, wenn sie jemand auf ihr kleines Haus anspricht, erzählt sie die tragische Geschichte von der kleinen Schnecke mit dem größten Haus der Welt.
Leo Lionni, der am 5. Mai 2010 100 Jahre alt geworden wäre, ist vielen Eltern und Kindern durch sein weltberühmtes Buch "Frederik" bekannt, das mittlerweile Kultstatus erreicht hat und fast zur Standardausstattung im Kinderzimmer-Buchregal gehört. Zwei Jahre nach der Geschichte um die kleine Maus "Frederik" entstand schon im Jahr 1969 "Das größte Haus der Welt" (Original: The biggest house of the world). Auch diese Tierparabel über eine kleine Schnecke und ihrem Wunsch, das größte Haus der Welt zu besitzen, beschäftigt sich mit einem zeitlosen und nach wie vor aktuellen Thema: Warum manches klein besser ist als groß und das Bescheidenheit eine Tugend ist und eine Bereicherung sein kann, erfahren die kleinen Leser in dieser poetischen und mit viel Liebe erzählten Geschichte um eine kleine Schnecke.
In knappen, aber klugen Sätzen schildert Lionni die Geschichte der beiden kleinen Schnecken, die der einen, die trotz aller Warnungen ihr Haus immer größer und größer wachsen ließ und am Ende deshalb starb und die der anderen, die sich die Geschichte der ersten zu Herzen nimmt und mit ihrem kleinen Haus sehr glücklich die Welt erkundet. Diese klare Aussage verdeutlicht Kindern spielerisch, dass das Streben nach "mehr Besitz" nicht immer auch mehr Glück verheißt. Indem die Moral der Geschichte in der vom Vater wiedergegebenen Erzählung versteckt liegt, wird sie ohne erhobenen Zeigefinger vermittelt, aber dennoch eindringlich in einer sehr klugen, stillen und leisen Art und Weise transportiert.
Einen weiteren Aspekt, den Lionni am Ende der Geschichte verdeutlicht, ist die Unbeschwertheit, mit der man, ohne viel zu haben, glücklich sein kann, frei und ungebunden und - im Fall der kleinen Schnecke - auf einer Entdeckungsreise durch die Welt wertvolle Erfahrungen macht. Diese kann einem keiner mehr nehmen und das Erleben der Schönheit der Natur ist unbezahlbar. Hier gibt Lionni Anstöße, darüber nachzudenken, wie viel Besitz wirklich gebraucht wird und ob "mehr" nicht auch behindert und den Blick auf das Ursprüngliche und die Möglichkeiten des Lebens verbaut.
Kurze Sätze und übersichtliche Textmengen auf den einzelnen Seiten (teilweise nur ein Satz) ermöglichen, dass auch kleine Kinder dem Erzählfluss gut folgen können. Die ruhige und unaufgeregte Erzählweise passt hervorragend zur stillen und langsamen Welt der Schnecken, ohne dabei jedoch langweilig zu sein. Die inhaltliche Aussage wird auch in diesem Buch wunderbar durch die großflächigen Bilder in ruhigen und gedeckten Farben unterstrichen. Einzige Ausnahme sind die satten, im Vergleich zu den anderen Bildern fast grellen, Farben der Muster auf den Türmchen und Buckelchen auf dem größten Haus der Welt Die inhaltliche Überspitzung spiegelt sich hier auch in der Illustration wieder. Gegen Ende des Buches wechselt Lionni den Fokus der Illustration. Stand bisher die Schnecke im Vordergrund, gibt es plötzlich zwei Doppelseiten, auf denen sie nur klein zu sehen ist, die Natur aber, in der sie sich bewegt, überwiegt.
Durch die ganze Geschichte hinweg konzentriert sich die Bildsprache auf das Wesentliche, begleitet den Text und überfrachtet die kleinen Leser nicht. Wie auch schon bei "Frederik" verwendet Lionni wieder collagenartig gestaltete Bilder: so vereinen sich Zeichnungen, Drucke und unterschiedliche aufgeklebte Materialien zu einem stimmungsvollen Geschichtenhintergrund.
Fazit:
Leo Lionni ist auch mit der Geschichte über das größte Haus der Welt ein Kleinod gelungen. Mit prägnanter aber zurückhaltender Sprache vermittelt er die Tugend der Bescheidenheit und gibt somit den kleinen Lesern auf subtile und ergreifende Weise einen wichtigen Rat mit auf ihren weiteren Lebensweg.
Deine Meinung zu »Das größte Haus der Welt«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!