"Jeder hat vor etwas Angst": So unterschiedlich wie die Gründe ihrer Furcht, so unterschiedlich sind auch die vier Kinder Madeleine, Theo, Lulu und Garrison. Die "furchtlosen Vier" werden ihren Sommer auf Summerstone verbringen, wo sie von ihren Phobien kuriert werden sollen. Doch Summerstone und seine Bewohner sind derart skurril, dass man zu Recht bezweifeln kann, ob dies der geeignete Ort ist, um seine Ängste loszuwerden.
Madeleine würde sich lieber in der Schule einsprerren lassen, als ihre Ferien an einerm geheimen "Phobinasium" anzutreten, das ihre Eltern für sie ausgesucht haben. Sie soll dort lernen, ihre tiefe Angst vor Insekten zu verlieren. Diese Angst ist so massiv, dass Madeleine stets verschleiert wie ein Imker und ausgerüstet mit allerlei Insektensprays unterwegs ist. Das Auto der Familie muss zunächst ausgeräuchert werden, bevor Madeleine sich in das Gefährt begibt. Der einzige, der Madeleines schlimmer Phobie etwas abgewinnen kann, ist der Kammerjäger der Familie der sich dank der zahlreichen Aufträge - beispielsweise wegen eines verriten Grashüpfers im Haus der Mastertons - einen Urlaub in der Südsee leisten kann.
Der pummelige Theo terrorisiert seine Familie mit seinen Verlustängsten. Stündlich müssen seine Eltern und Geschwister ihm per Handy Bescheid geben, ob sie noch wohlauf sind. Immerzu die vermeintliche Gefahr im Blick, drängt er seine Familie, auf sich aufzupassen und verlangt ohne Unterlass von ihnen, seine Ängste zu besänftigen. So unter ständiger Kontrolle, wundert es nicht, dass Theo von seinen Geschwistern die Nachricht "tot" per SMS bekommt. Doch das geht für Theo in Ordnung: Tote können schließlich keine SMS schicken.
Die gewitzte Lulu, die sonst so tough ist, würde nie im Leben einen engen Fahrstuhl betreten. Als ein Lehrer auf einem Ausflug dies von ihr verlangt, wird schnell klar, warum Lulu immerzu Handschellen am linken Armt trägt. Sie kettet sich kurzerhand an ein altertümliches Flugzeug, das im Musem ausgestellt ist. Für Lulus leistungsorientierte Eltern, die zu ihrem perfekten Leben natürlich auch perfekte Kinder vorweisen wollen, ist dies kein Zustand und so sind sie froh von Summerstone zu erfahren, der wohl geheimnsten Sommerschule, über die niemand sprechen darf.
Der vierte im Bunde ist Garrison. Garrison ist eine Sportskanone, überaus beliebt, gutaussehend, blond, braungebrannt und eigentlich sehr selbstbewusst. Schließlich hat ihn sein Vater dazu erzogen, kein Baby und schon gar kein Schwächling zu sein. Doch Garrisons Selbstvertrauen hat Risse: Sobald auch nur die Rede von Wasser ist, bekommt er Panikattacken und Schweißausbrüche. Obwohl er so nahe am Meer lebt, kann er niemals mit seinen Freunden einen Tag am Strand verbringen. Auf keinen Fall kann er ihnen eingestehen, dass er so große Panik vor dem Wasser hat, lieber stößt er seinen Freunden vor den Kopf. In seiner Not recherchiert er nächtelang im Internet und wird schließlich auf Umwegen fündig. Der Eintrag ist widersprüchlich, denn ein Dementi des Rechtsanwalt Munchhauser scheint ihm genau das zu bestätigen, was er sich erhofft hat: Es gibt eine Schule, die lehrt, wie man seine Ängste wieder loswird.
Niemand der "Eingeweihten" darf über die Existenz der Schule reden. Sollte dies dennoch geschehen, so würde man es unweigerlich mit Leonard Munchhauser zu tun bekommen, dem höchst unangenehmen Anwalt des "Phobinasiums" und dessen Schulleiterin Mrs. Wellington.
Als sich die Vier am verabredeten Treffpunkt zum ersten Mal sehen, sprüht Madeleine fleißig um sich herum, hat Garrison, der ganz ohne seine Eltern hergekommen ist, seinen ersten Ohnmachtsanfall gehabt, weil er mit dem Bus über einen Fluss gefahren ist, und Theo klammert sich verzweifelt an seine Eltern.
Der ehemalige Sommersitz der Wellingtons - ein Palast, der allerdings arg in die Jahre gekommen ist, liegt auf einem Felsplateau und ist über die Straße nicht zu erreichen. Auch in die Jahre gekommen sind der Hausmeister Schmidty und die Schulleiterin Mrs. Wellington. Schmidty, "Mädchen für alles" mit Turbanfrisur, hält das Haus in Schuss, kocht und ist für Mrs. Wellingtons Make-up zuständig. Mrs. Wellington ist eine ehemalige Schönheitskönigin. Doch wie bei dem herrschaftlichen Haus ist auch ihr Glanz im Laufe der Jahre verblasst. Und doch wird sie nicht müde, den Kindern beizubringen, was Haltung ist - ein zentraler Aspekt ihrer Unterrichtsmethoden. Im Angstlabor sollen sie sich vorstellen, mit ihren Ängsten konfrontiert zu werden und in der recht eigenwilligen "Bibliothek" werden sie mit den furchtbarsten Gerüchen konfrontiert, die man nur archivieren kann. Sie erleben in dem Haus noch allerlei anderes skurriles Zeug, mit dem sie nicht wirklich etwas anfangen können. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich die Vier schon bald überlegen, wie sie von diesem eigenartigen Ort fortkommen können. Keine der fragwürdigen Unterrichtsmethoden, so scheint es ihnen, taugt etwas, um Ängste zu überwinden.
Doch Mrs. Wellington und ihre Helfershelfer haben einen eigenen Plan und ehe sich die Kinder versehen, stecken Madeleine, Lulu, Theo und Garrison in einer rasanten Rettungsmission, die ihren ganzen Mut und ihren Zusammenhalt fordert.
Es ist ja eine alte Binsenweisheit, dass man in der Not hält zusammenhält. Immerhin hat jeder der Vier auch seine Stärken.
Da die vier Kinder allesamt selbst betroffen sind, geben sie einander nicht den Raum, sich allzu sehr in ihre Phobien hineinzusteigern. Haben sie Zuhause oftmals zuviel Rücksichtnahme auf ihre teilweise schrulligen Verhaltensweisen erhalten, müssen sie hier unter der Obhut der verschrobenen Mrs. Wellington und des gutmütigen, aber hinfällig wirkenden Schmidty auf übertriebene Rücksichtnahme verzichten. Nicht länger verhätschelt oder missverstanden, kristallisiert sich mehr und mehr heraus, dass sie einander die besten Therapeuten sind.
Der pummellige Theo, der für sein Leben gerne isst und jeder noch so unwahrscheinlichen Gefährdung eine Statistik entgegenhalten kann, ist naturgemäß sehr vorsichtig und den anderen gegenüber sehr fürsorglich. Doch da ihm seine Weggefährten kein Publikum für seine dramatischen Gefühlsausbrüche bieten, versucht Theo in ihrer Gegenwart seine Weinerlichkeit zu unterdrücken. Insbesondere die resolute Lulu, die stets mitleidslos und mit einem trockenen Spruch auf seine herzzerreißenden Darbietungen reagiert, vermag ihn zu beruhigen und schenkt ihm eine bis dato ungekannte Sicherheit. Und letztlich ist es dem Wissen, dass sie gebraucht wird, zu verdanken, dass sie sich selbst ihrer größten Angst stellen kann.
Am Ende ganz auf sich allein gestellt, unterstützen sie sich gegenseitig so gut es geht, fordern einander heraus und wachsen am Ende sogar über sich selbst hinaus.
Dialogstark und mit viel Witz beschreibt Gitty Daneshavi in ihrem ersten Kinderbuch die Marotten ihrer Hauptfiguren.
Den phobischen Eigenheiten stets getreu, entwickelt sie vier sehr gefällige Charaktere. Es ergeben sich wechselhafte Koalitionen und damit Dialoge, die nicht nur den ganz persönlichen Standpunkt des jeweiligen Angstpatienten verdeutlichen - also wirklich "typisch" sind - sondern auch in ihrer Interaktion zu herrlichen Wortgefechten führen. Dabei agieren die vier überaus intelligent und schlagfertig. Als wahre Spezialisten in eigener Sache gelingt es ihnen wunderbar, einander auszutricksen. Theo ist dabei ein besonders leichtes Opfer. Und der Blick der Erzählerin in die Gedankenwelt des Einzelnen macht es für den Leser umso unterhaltsamer.
Begleitet wird der komische Schlagabtausch und die temporeiche Handlung mit allerlei schrägen Begebenheiten und Einfällen der amerikanischen Autorin. Sie beschreibt Summerstone und ihre Bewohner, den Hund "Makkaroni" eingeschlossen, als einen Ort, der aus der Realität gefallen zu sein scheint. Mit seinen riesigen Hallen und den unzähligen, ganz unterschiedlichen Türen wirkt, "Summerstone", als stamme es aus einem Traum, der nach Deutung verlangt; ein wenig unheimlich wirkt das Gemäuer also schon und Gitty Daneshavis Orts-Beschreibungen sind nicht immer ganz eindeutig. Auch fragt man sich, nach einer weiteren skurrilen Unterrichtsstunde von Mrs. Wellington und angesichts des schon fortgeschrittenen Lesepensums, welchen Verlauf die Geschichte wohl noch nehmen mag, da nicht mehr viele Seiten für ein Ende bleiben. Doch Gitty Daneshvari löst dies auf einen Weise, die zum Gesamtbild der Geschichte passt und nicht wirklich überrascht - aber durchaus Spass macht.
Etwas ernster sind dagegen Gitty Daneshvaris Schilderungen über die innere Panik der Kinder, wenn sie mit ihrer Angst konfrontiert werden. Sie überträgt über das Verhalten der Darsteller - unter anderem auch Mrs. Wellington und "Schmidty" - ihre aufrichtige Anteilnahme. Diese Darstellungen können natürlich keine Lebenshilfe sein; doch merkt man, dass Gitty Daneshv sehr daran liegt, die Ängste und die damit verbundene Not der vier Kinder nicht der Lächerlichkeit preiszugeben. In einem Interview erzählte sie, dass sie selbst unter zahlreichen Ängsten gelitten hat und so auf die Idee zu "Das Geheimnis von Summerstone" kam. Sie hat erfahren, dass man Ängste nur überwinden kann, wenn man sich ihnen im Leben stellt. Diese Erkenntnis vermittelt sie auch mit ihrem Kinderbuch-Debüt.
Fazit:
Vier Helden wider Willen lernen an einem geheimnisvollen Ort, ihren Ängsten zu begegnen, indem sie füreinander einstehen. Mit viel trockenem Humor, einem wunderbaren Blick für das Skurrile und einer ganzen Reihe filmreifer Darbietungen, liefert Gitty Daneshavi ihren Lesern eine herrliche Kombination aus Sprachwitz und Einfallsreichtum. Ein fantastisch-schräges Lesevergnügen für alle Freunde des trockenen Humors.
Deine Meinung zu »Das Geheimnis von Summerstone«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!