Das Wende-Bilderbuch
- Coppenrath
- Erschienen: Februar 2010
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Der Osten, der Westen, die Mauer, DDR, BRD,... Was war die DDR? Warum gab es sie? Wie lebte man dort? Heutige Kinder haben die DDR nie erlebt und wissen nur aus Erzählungen, dass es einmal zwei Staaten mit dem Namen Deutschland gab. Anlässlich des zwanzigsten Jahrestages des Mauerfalls hat der Coppenrath Verlag das "Wende-Bilderbuch" herausgegeben.
Anni und Janosch, zwei allerbeste Freunde, wachsen im Osten von Berlin auf, zu einer Zeit, da der zweite Weltkrieg erst ein paar Jahre vorüber ist. Sie wohnen nebeneinander und spielen jeden Tag zusammen.
Am liebsten liegen sie im Gras beobachten am Himmel über Berlin Wolkentiere. Und einmal entdecken sie sogar ein Wolkenherz. Janosch denkt, wie schön es wäre, immer so nah bei Anni zu sein. Aber das ist leider nicht möglich.
Eines Tages ist Janosch weg - er zieht mit seinen Eltern vom Ost- in den Westteil der Stadt. Die Pläne der Besatzungsmächte und die schwieriger werdenden Lebensbedingungen im Osten treiben Janoschs Familie zur Flucht. Den Freunden bleibt keine Gelegenheit sich zu verabschieden. Bald darauf wird die Mauer gebaut. Anni, in der DDR, und Janosch, in der Bundesrepublik, denken oft aneinander, aber sie wissen nicht mehr, wie es dem Anderen geht.
Das Besondere: Wenn man das Wende-Buch umdreht und es von der anderen Seite liest, wird die Geschichte der beiden Freunde aus zwei Perspektiven erzählt. Und so erfährt man, wie der Alltag der beiden Freunde in den ganz unterschiedlichen politischen Systemen gelebt wird. Es werden positive, wie negative Seiten beider Staaten angesprochen. Anni und ihre Nachbarn halten eng zusammen, freuen sich, dass jeder Arbeit hat. Doch sie werden heimlich von einem Mann mit einem Fernglas beobachtet - ein Stasi-Spitzel?
Janosch freut sich, dass er überall auf der Welt reisen kann. Aber er ist auch neidisch auf das schicke Auto des Nachbarn und er macht sich Sorgen wegen der Arbeitslosigkeit.
Immer denken die Freunde aneinander, fragen sich, was der Andere gerade macht. Und immer wieder träumen sie von der Freiheit: Sie wollen die Mauer im Heißluftballon oder im unsichtbaren Flugzeug überwinden.
Janosch geht auf das Gymnasium, studiert und ergreift seinen Traumberuf - Ingenieur. Anni muss sich in der Schule erzählen lassen, wie toll der Sozialismus ist. Sie darf trotz guter Noten kein Abitur machen und somit auch nicht studieren. Sie wird Verkäuferin und darf keine Jeans tragen.
Erst als durch die beharrlichen friedlichen Demonstrationen vieler DDR-Bürger die Grenze geöffnet wird, sehen sich die Freunde wieder. Am 09.September 1989 passiert das Sensationelle: Die Mauer fällt. Endlich haben sich die Bürger der DDR aus ihrer Unterdrückung befreit. Und auch die beiden Freunde aus Kindertagen fallen sich in der Nacht des Mauerfalls in die Arme. Es sind keine unsichtbaren Flugzeuge oder Heißluftballons, die den Bürgern der DDR helfen, die Grenze zu überwinden. Es sind andere unsichtbare Kräfte: Mut, Hoffnung, Zusammenhalt und der Glaube an Freiheit.
In dem meisterhaft gestalteten Kinderbuch schildern die Autoren Susanne Vogt und Harriet Grundmann ein wichtiges Stück deutscher Geschichte. Die gundlegenden Unterschiede beider Staaten werden leicht verständlich und auf Augenhöhe vermittelt.
Kurze Zusatztexte geben Hintergrundinformationen über die politische Situation in Deutschland zur Zeit der Teilung. Hier finden die Leser/innen ab sechs Jahren interessante Antworten und Einblicke in das jeweilige System und seine Auswirkungen auf die Lebensumstände. So wird unter anderem die Sicherheitszone - den sogenannten "Todesstreifen" - der Mauer beschrieben, die Planwirtschaft erklärt, aber auch die Rolle der Stasi und der Medien. Eine Chronik des Mauerfalls gehört ebenfalls dazu.
Lars Baus hat zu den Texten Illustrationen geschaffen, die noch viel mehr Details aus der Kindheit in zwei Staaten verraten. Direkt, wenn man das Buch aufklappt, sind die ersten Seiten mit vielen kleinen bunten Klischees der Ossis und Wessis gezeichnet. Da sehen wir auf der Ostseite das Sandmännchen, einen Trabbi, Spreewaldgurken, Brause und vieles mehr. Auf der Westseite sehen wir Bananen, Cola, VW Autos und Legosteine. Daraus ergibt sich ein wunderbarer Gesprächsstoff zwischen Eltern und Kindern. Besonders ausdrucksstark ist die Darstellung eines durch Stacheldraht geteilten Buches, in dem Anni und Janosch Listen angelegt haben. Janoschs Lieblingsband sind die "Beatles", Anni liebt "Carat". Janosch mag im Fernsehen "Die Hitparade", Anni "Ein Kessel Buntes". Janosch liebt Spaghetti, Anni Gemüseeintopf.
Nicht nur illustratorisch übt dieses Buch einen Reiz auf Kinder aus und macht sie, nicht zuletzt durch die Erzählweise als Wende-Buch, neugierig. Auch sprachlich ist es auf seine junge Zielgruppe ausgerichtet. Dies geschieht nicht nur über die direkte Ansprache - indem die Kinder mit "du" angesprochen und so immer wieder in die Geschichte geholt werden - sondern auch über die klare Ausdrucksweise, die die oftmals komplizierten Sachverhalte ganz einfach und, häufig aus dem Lebensalltag heraus, nachvollziehbar transportiert. Wie für uns alle, wird auch für Kinder die Geschichte durch Einzelschicksale erst richtig begreifbar.
Die beiden Geschichten treffen sich in der Buchmitte beim Mauerfall; diese Seite ist aus der Vogelperspektive zu betrachten. Der Leser schaut von oben auf die beiden Hauptfiguren herab, das soll noch einmal verdeutlichen, wie Anni und Janosch immer davon geträumt haben, die Grenze mit einem Heißluftballon oder einem unsichtbarem Flugzeug zu überqueren.
"Das Wende-Bilderbuch" lädt zur Diskussion ein sowie es anregt, auch mal in der eigenen Familie nach den Erfahrungen der Wende zu fragen. Auf jeden Fall ist es sinnvoll einen kompetenten Gesprächspartner an der Seite zu haben.
Fazit:
Das aufwändig gestaltete Bilderbuch über den Mauerfall regt Kinder an, sich mit der deutschen Geschichte auseinander zusetzen. Sie können sich in die beiden Hauptdarsteller hineinversetzen und erleben durch die zweigeteilte Perspektive, wie unterschiedlich der Werdegang der beiden verlaufen ist. Welche Risiken es in ihrem Leben gab und welche Chancen ihnen eingeräumt wurden. Das wahre Happy-End macht es zu einem positiven Rückblick auf ein wichtiges Kapitel deutscher Geschichte.
Harriett Grundmann, Coppenrath
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