Anton taucht ab
- Beltz & Gelberg
- Erschienen: Februar 2010
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[ab 9 Jahren]
Kinderbuch des Monats [02.2010]. Anton ist tough, in der virtuellen Welt der Computerspiele und Chatrooms gut bewandert und nie um einen guten Spruch verlegen. Doch der Campingurlaub mit seinen Großeltern stellt ihn vor eine seiner größten Herausforderungen. Hier gibt es statt eines blauschimmernden Pools nur einen "Ekel-See" mit Fröschen und hinterlistigen, glitschigen Schlingpflanzen. Und hier soll Anton Ferien machen? "Hallo, geht´s noch?"
Schon beim ersten Blick auf den Badesee schüttelt es Anton. Da er es ist, der von seinem Abenteuer erzählt, seine Zuhörer einlädt, es sich mit Chips auf dem Sofa bequem zu machen und einfach gespannt zuzuhören, stellt er auch die Frage: "Warum ist Seewasser schwarz und warum ist Swimmingpoolwasser schön blau? Eben." Auf keinen Fall wird er auch nur einen Fuss in diese "Drecksbrühe" setzen, die, seiner Meinung nach, voller Schlamm, Schlingpflanzen und glipschigen Fischen ist. Die Kinder auf dem Steg, die mit ungebrochener Begeisterung wieder und wieder in das Wasser springen, kann er beim besten Willen nicht verstehen. Und überhaupt: Man hätte ihn lieber im Wohnwagen lassen sollen, da hätte er einen Actionfilm gucken können. Aber Antons Großeltern haben nicht locker gelassen. Um sie zu beruhigen, geht er dann doch mit an den See. Ja, der Anton weiß, wie er seine Großeltern austrickst - auch wenn es zunächst den Anschein macht, er würde nachgeben.
Die erste Begegnung mit den Kindern vom Steg verläuft dann auch weniger gut. Marie, die sich darüber wundert, dass der Neuankömmling in voller Bekleidung - also ohne Badehose- am See auftacht, ist ja noch ganz nett. Aber schnell wird klar, dass der ältere Junge mit der lächerlichen Frisur Ärger macht. Anton nennt ihn kurzerhand Pudel. Und der Pudel will sich mit ihm prügeln. Für Anton kommt das gar nicht in Frage. Er hat sich geschworen, niemals Gewalt anzuwenden.
Missmutig hält er sich am nächsten Tag bei seinen Großeltern auf - er trägt heute seine Badehose, bleibt aber im Schatten in der Nähe von der Zitronenlimonade, während sein Opa darauf wartet, dass ein Fisch beisst. Opa will Anton das Angeln beibringen. Zum Schein geht Anton darauf ein, findet das Ganze aber zeimlich eklig. Zwischen sich und den Fischködern und Würmern möchte er so viel Abstand wie möglich halten. Dann fängt Opa einen Fisch. Einen Barsch. Aber er ist viel zu klein, um als Abendessen in Frage zu kommen. Nun sitzt Anton in der Zwickmühle: Wenn er sich noch eine Zitronenlimo holen will, muss er an dem Fisch im Eimer vorbei. Doch ein Blick genügt und Anton freundet sich mit dem zu klein geratenen Raubfisch an. Er spielt den ganzen Nachmittag mit ihm, lässt ihn im Eimer eine Runde nach der anderen drehen und bewundert dessen Manövrierkünste. Als Opa den Fisch als Köder für den nächsten Tag verwenden will, protestiert Anton lautstark. Nein, auch in den See will er ihn nicht wieder kippen. Und so bleibt Piranha, wie Anton ihn nennt, bei ihm. Schließlich erkundet Anton gemeinsam mit Piranha, den er in einem Gurkenglas auf seinen ferngesteuerten Geländewagen geschnallt hat, den Campingplatz und zeigt dem Fisch die Welt der Menschen.
Da Piranha ein echter, hungriger Raubfisch ist, muss Anton sich überwinden, mit Würmern und Maden zu hantieren. Währenddessen bekommt er eine klare Kampfansage vom Pudel und muss seine Großeltern belügen, die merken, dass mit Anton irgendetwas nicht stimmt. Doch Anton will ein guter Enkelsohn sein und behauptet in Marie und dem Pudel Freunde gefunden zu haben. Er gibt vor, mit der Taucherbrille, die ihm Oma geschenkt hat, im See zu tauchen. Dabei trägt er das lästige Ding, das ihm doch nur ganz genau die eklige Unterwasserwelt des Sees zeigen würde, ständig mit sich herum. Anton schämt sich für diese dreisten Lügen. Er entschuldigt sich bei Piranha. Und wir erfahren, dass Anton einfach Angst hat - vor dem Wasser und vor Kindern außerhalb des Chatrooms, die ihm im wahren Leben viel näher kommen. Er sei eben ein Versager, gesteht er Piranha, der ein guter Zuhörer ist. Dabei erinnert er sich an den häufigen Satz seines Vaters "Das kapierst Du niiiee!" Piranha findet das auch doof. Und als Anton weinen muss, wendet sich der Fisch rücksichtsvoll ab.
Im Waschhaus des Campingplatzes kommt es dann zu der unvermeidlichen Auseinandersetzung zwischen Anton und dem Pudel. Anton muss sich entscheiden, ob er seinen Fisch-Freund verteidigen oder lieber seinem Ehrenkodex, niemals Gewalt anzuwenden, treu bleiben will. Wie Anton herausfindet, dass nur das echte Leben stark macht und wie aus "Starflashman" Anton-unter-Wasser wird, sei hier nicht verraten. Nur eines: Es wird noch hochspannend!
Milena Baisch, die sich bereits durch zahlreiche Kinderbücher und als erfolgreiche Drehbuchautorin für Film und Fernsehen einen Namen gemacht hat, schildert mit Antons großem Abenteuer am See eine wunderbar eigenständige, witzige aber gleichzeitig auch sehr tiefgründige Geschichte. Diese etwas andere Sommergeschichte, die vielen Jungs sicherlich ganz aus dem Herzen sprechen wird, schildert die Entwicklung eines Jungen, der verlernt hat, mit der echten Welt umzugehen. Anton hat nur wenig Mut und Selbstbewusstsein, doch er ist sehr klug. Und genau diese Cleverness verhilft ihm dazu, jedem und allem mit einem flotten Spruch zu zeigen, dass er, Anton, einfach entscheidet, wie und was er machen will. Wirken seine Schilderungen zunächst ziemlich tough und witzig, so werden sie doch im Verlauf der Geschichte merklich verzagter - bis er vor seinem stummen Freund seine Versagensängste offen zugibt. Milena Baisch schafft es ohne große Gefühsduselei direkt zu berühren, indem sie aus Antons Sicht die ambivalente Haltung der Eltern zu ihrem Sohn schildert. Dazu benötigt sie nur wenige, aber umso aufschlussreichere Worte. Einerseits sehr liebevoll, andererseits aber auch sehr abwertend in ihrem Verhalten, setzen sie Anton einer Unsicherheit aus, der er durch den Rückzug in virtuelle Welten begegnet. Hier fühlt er sich sicher und stark. Und so erfahren wir in dem Moment, da Anton sich endlich der Realität stellt, was damals Antons Weigerung ausgelöst hat, sich zur Wehr zu setzen.
Intelligent und in ihrer Wortwahl unglaublich nahe an ihrer Zielgruppe, finden sich Jungs in Anton wieder, sie erkennen sich selbst, auf der Schwelle zum eigenständigen Erforschen ihrer Möglichkeiten und ihres Horitzonts. Dieser Abnabelungsprozess findet in Milena Baischs leichter und doch so gehaltvoller Sommerlektüre wunderbare Gleichnisse, wie etwa die Freilassung von Piranha in seine angestammte Heimat, den See. Oder etwa Antons "umschalten" vom kleinen Anton zum großen Beschützer seines zu klein geratenen Raubfisches. Milena Baisch verwendet Begriffe aus der Lebenswirklichkeit der Kinder und würzt dies alles mit wunderbar lakonischen Kommentierungen des Jungen.
Der Plott des Buches, der fast beiläufig wirkt, aber wie so vieles in diesem Buch nachhallt, gibt dem Buch noch eine weitere, berührende Komponente. Auch wenn der letzte Satz der Geschichte gelesen ist, sie ist noch nicht zu Ende. Nichtsdestotroz, das sei hier verraten, entlässt Milena Baisch ihren witzigen Wortakrobaten in eine hoffnungsvolle Zukunft. Die Erlebnisse haben ihn stärker gemacht und es ist keine Frage, dass Anton auch im nächsten Jahr wieder dort sein wird, um mit "Karamba!", in den See zu springen und Piranha zu besuchen.
Fazit:
Mit "Anton taucht ab" ist Milena Baisch ein kleines Meisterstück gelungen, denn es vereinigt auf ganz lockere Weise Attribute, die ein richtig gutes Buch ausmachen: Es ist intelligent, witzig und zugleich bedeutungsvoll. Jungen werden sich mit diesem Sommerabenteuer köstlich amüsieren, aber auch die leisen Töne zwischen den Zeilen bemerken. Und zweifellos werden sie sich in Anton wieder erkennen; in dem schrägen, überaus sympathischen und gleichzeitig unsicheren Helden, der ihnen Mut macht, sich auf das echte Leben einzulassen.
Milena Baisch, Beltz & Gelberg
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