James ist ein ängstliches Kind, das sich gern Geschichten ausmalt und nach seiner Mutter sehnt. Er flieht aus der Schule und hofft, in einem alten Haus ein bisschen Ruhe zu finden. Doch drei ältere Jungen halten James fest und zwingen ihn einen Hund zu entführen, damit sie ihn gegen Finderlohn der Besitzerin wieder abgeben können. James muss seine Ängste überwinden, denn der Weg nach Hause ist weit.
"James Douglas wacht auf und hat Angst." So lautet der erste Satz und er verheißt nichts Gutes. Es ist November in Brooklyn und der Junge fürchtet sich vor der Schule, besonders vor Buddy, der ihn bedroht. Seine drei alten Tanten kennen kein Erbarmen. Schule muss sein. James lebt unter beengten, ärmlichen Verhältnissen, Tür an Tür mit Junkies, es ist laut und er wünscht sich immer, dass Tante Paul ihm eine Geschichte erzählt. In der Schule nutzt James die erste Gelegenheit, auch ohne Jacke den Unterricht zu verlassen. Der Zehnjährige möchte allein sein. In seinem Kopf spulen sich ständig Geschichten ab, Erinnerungen an die Mutter, die auch wie die Tante als Putzfrau gearbeitet hat, bevor sie ins Krankenhaus gekommen ist. James Vater ist fortgegangen und nun lebt der Junge bei den Schwestern des Vaters. James träumt davon, dass seine Mutter in Wirklichkeit in Afrika ist. Er wünscht sich Turnschuhe und findet aber nur einen einfachen Ring auf der Straße, der von seiner Mutter, so denkt er, extra für ihn dorthin gelegt wurde. Die Mutter hat ihrem Sohn von der Sklaverei erzählt und ihm gefällt die Vorstellung, dass die Mutter übers Meer gefahren ist und er ein Prinz sein könnte.
Im alten verfallenen Haus verspürt James ebenfalls Angst und bemalt zum Schutz sein Gesicht. Zwei Jugendliche, Stick und Blue, beobachten und erschrecken ihn. Sie beschließen, dass er für sie, sie kommen von Coney Island, und einen dritten Jungen, Gino, arbeiten soll. Sie werfen den Ring in die äußerste Ecke des Kellers. James erhält den Befehl, einen kleinen Hund auszuführen, der in eine Kiste passt. Der Junge kapiert nicht, was das soll. Die Jungen suchen ein Haus am Park aus, in dem wohlhabende Leute wohnen. Irgendwie muss James am Pförtner vorbei und einen guten Eindruck machen, damit die Leute ihm auch einen Hund anvertrauen. James erfüllt seine Aufgabe und kann eine ältere Frau überreden, ihm den kleinen Hund Gladys anzuvertrauen, damit er ihn gegen Lohn im Park spazieren führt. Der Junge mag keine Hunde, aber Gladys tut ihm Leid. Die Jungen erzählen James nun, was sie mit dem Tier vorhaben. Sie warten ein paar Tage und dann hoffen sie, dass die Hundebesitzerin in der Zeitung für ihren Liebling einen Finderlohn verspricht. Dann bringen sie den Hund zurück und teilen die Beute. Mehrmals versucht James zu fliehen, aber die Jungen halten ihn fest. Sie fahren mit ihm nach Coney Island, wo er zum ersten Mal das Meer spürt. James unternimmt immer wieder Fluchtversuche, wird aber jedesmal erwischt und getreten. Die kleinen Ganoven haben sich auf einem Rummelplatz eingenistet. Weitere Hunde sind in ihrer Gewalt, alles Rassenhunde. Stick ist der brutale Bestimmer der kleinen Bande. Er gibt die Befehle. Die Jungen müssen sich vor der Polizei in Acht nehmen. Als ein Polizist die Runde macht, schließt er die Jungen in ihrem Verschlag ein. James findet den Weg nach draußen, aber die Jungen holen ihn wieder ein. Sie sind Straßenkinder, die kein Zuhause haben und sich über Wasser halten müssen. Die Jungen können kaum lesen. Die Bande geht mit den Hunden und James zurück zum alten leerstehenden Haus.
James vermag es so lang wachzubleiben, bis alle Jungen endlich schlafen. Er schnappt sich Gladys und bringt sie zu dem Haus zurück, wo ihre Herrin wohnt. Den Portier weckt das Tier und James weiß, dass die Hündin in Sicherheit ist.
Die Tanten sind schon aufgeregt und haben sich Sorgen um den Jungen gemacht.
James größte Hoffnung erfüllt sich, seine Mutter ist wieder da.
Ohne Sentimentalität erzählt die amerikanische Schriftstellerin Paula Fox, die auch die "Virtuosin des emotionalen Realismus" genannt wird, in ihrem 1967 erschienenen Kinderbuch vom Leben der farbigen Kinder auf der Schattenseite New York Citys. Paula Fox ist an keinem Sozialdrama mit positivem Ausgang gelegen. Sie betrachtet die Tatsachen realistisch. Aus der Perspektive von James, der ein Träumer ist und weiß, dass sich hinter einer Geschichte immer noch eine zweite verbergen kann, betrachtet der Leser seine kleine Welt. James Leben ist ärmlich und doch versucht der Junge, mit seiner Fantasie und seinen Geschichten Farbe ins tägliche Grau zu bringen. Angst ist ein Wort, dass in vielen Momenten immer wieder auftaucht.
Das geschäftliche Gebaren der skrupellosen Straßenkinder Stick, Gino und Blue berührt, auch wenn sie James zu etwas zwingen, was er nicht möchte. Sie müssen irgendwie überleben. Niemand kümmert sich um das, was sie anstellen, wenn sie nicht der Polizei in die Hände fallen. Ihre Hunde-GmbH floriert und so betreiben sie ihre Geschäfte - ohne einen festen Wohnsitz, eine Familie oder Sicherheit. James fühlt sich mit allen seinen Ängsten ihnen ausgeliefert und er übernimmt die Verantwortung für den kleinen Hund, den er der vertrauensseligen Besitzerin abgenommen hat. Eine unsichtbare, untergründige Spannung verbirgt sich hinter allem, denn weder James noch der Leser wissen, wohin die Reise geht. Dabei zeichnet Paula Fox keine einseitigen Charaktere. Für die harten Jungen, so scheint mir, hat sie Empathie. In einer leisen, poetischen Sprache erzählt Paula Fox meisterlich vom inneren, emotionalen Konflikt ihrer Hauptfigur. Durch die Beschreibung des Hauses, des ungestümen Meeres, das James noch nie gesehen hat und dessen Sandstrand ihn fasziniert, entstehen innere Bilder beim Lesen, mal beruhigend, mal bedrohlich, die James Gefühlswelt offenbaren. "Er kam sich vor wie am Rand einer Klippe." heißt es und kein Wort mehr muss geschrieben werden.
Die Sehnsucht nach der Mutter begleitet James in jeder Sekunde - als er sich im Haus verbirgt, den Jungen ausgeliefert ist und den Weg nach Hause findet. Sie ist seine innere, unsichtbare Stütze. Sie gibt ihm Hoffnung, ein Gefühl, dass die auf der Straße lebenden Kinder nicht kennen und auch nie kennenlernen werden.
Der mittlerweile sehr bekannten Schriftstellerin Paula Fox, die selbst auf eine schwierige, lieblose Kindheit zurückblickt, geht es in ihren Kinderbüchern immer um reale Konflikte, die Kinder mit sich und ihrer Umwelt austragen müssen. Aber sie entwirft kein jammervolles Bild, sondern lotet die kindlichen Gemütstiefen feinfühlig aus. Auch wenn das Kinderbuch über 40 Jahre alt ist, berührt diese Geschichte durch ihre Intensität und Wirklichkeitsnähe.
Fazit:
Paula Fox schreibt Bücher für Kinder, die langsam lesen und innehalten können. Die Autorin konzentriert sich in ihrem schmalen Roman auf die Sicht ihres Protagonisten und erzählt einen kurzen entscheidenden Abschnitt aus seinem Leben. Mit der Kraft der Gedanken überwindet der Junge seine Ängste, die ihn nicht überwältigen, aber immer da sein werden.
Deine Meinung zu »Wie weit ist es bis Babylon?«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!