06.2009 Die beiden Engländer Chris Riddell und Paul Stewart unternahmen in diesem Frühjahr eine Lesereise durch Deutschland. Paul Stewart faszinierte sein junges Publikum zum einen durch seine Deutschkenntnisse, zum anderen durch seinen leisen Humor, der immer mit einer Prise Ironie gespickt ist. Lebhaft berichtete er von der Entstehung der Twig-Bücher, von Barnaby Grimes, Fergus Crane oder Hugo Pepper, den Heldenfiguren der gemeinsamen Bücher. Chris Riddell zeichnete dazu. Geschickt unterhielt der britische Autor, ohne sich selbst so wichtig zu nehmen, mit witzigen Anekdoten die Zuhörer, die vielleicht noch nie von den beiden Künstlern und ihren Büchern gehört haben. Eigenartig war dann aber, dass die Kinder eher Fragen an Chris Riddell stellen wollten und Paul Stewart immer nur übersetzen musste. Beide Engländer sind ein sympathisches, eingespieltes Team und offenbar gute Freunde. In Deutschland sind sie durch ihre erfolgreichen „Klippenland-Chroniken" bekannt geworden.

Chris Riddell hat sich aber auch durch eigene Bücher einen Namen gemacht. Vor Kurzem erschien sein zweites Kinderbuch „Ottoline und das Schulgespenst" und ebenfalls im Frühjahr neu „Don Quichote" (Sauerländer Verlag), nacherzählt von Martin Jenkins. Mit Martin Jenkins hat Chris Riddell als Illustrator bereits ebenfalls bei Sauerländer die Klassiker „Gullivers Reisen" und „Moby Dick" veröffentlicht.

Ich schreibe für Kinder, da Kinderbücher der beste Ort für Bilder und Worte sind...

Kinderbuch-Couch:
Ottoline ist ein ungewöhnlicher Name für ein kleines Mädchen. Wie kamen Sie gerade auf diesen Vornamen?

Chris Riddel:
Der Name Ottoline hat mir immer gefallen, ich habe ihn zuerst von einer bekannten Sammlerin, sie heißt Lady Ottoline Morrell gehört. Ich fand, das ist ein wirklich grandioser Name und das fand ich schön, ein grandioser Name für ein kleines Mädchen.

Kinderbuch-Couch:
Figuren erfinden, macht Ihnen nicht nur in der Zusammenarbeit mit Paul Stewart Spaß. Sie sind sehr kreativ, wenn es um ungewöhnliche Personen in Ihren Büchern geht. Wie entstand die Idee zu den Ottoline Brown - Geschichten und wer ist eigentlich dieser Mr Munroe?

Chris Riddell:
Jemand hat mich gefragt, ob ich nicht meine eigenen Erinnerungen an meine Kindheit aufschreiben will und ich habe ja gesagt. Ottoline basiert auf meiner eigenen Zeit als junges Mädchen. (lacht laut) Nein, nein nicht in Wahrheit, war ein Witz! Als ich Ottoline geschrieben habe, habe ich an meine kleine Tochter Kate gedacht, als sie acht Jahre alt war.
Ich habe mir aber auch Bücher über ein Mädchen, das Eloise ( Kinderbuch von Thompson Kay) heißt, angesehen. Die Geschichte wurde in den 50er Jahren in Nordamerika veröffentlicht. Dieses altmodische Gefühl im Kinderbuch hatte mir gefallen. Ich habe auch über Matilda ( von R. Dahl) nachgedacht und verschiedene andere Charaktere. Ich war ganz sicher, ich möchte eine Geschichte über ein kleines Mädchen schreiben, das total unabhängig ist und etwas seltsam. Ich glaube, das war das Anfangskonzept für Ottoline Brown. Dann musste ich mehrere Probleme lösen: Warum wohnt sie allein? Warum hat sie nur einen Freund, Mr Munroe? Ich musste diese Welt entdecken und entwickeln. Ich begann mit einer einfachen Zeichnung, einem Mädchen und einer kleinen, haarigen Figur. Ich mag ungewöhnliche Kreaturen, einen Charakter zu zeichnen und dann darüber nachzudenken, was könnte die Geschichte dieser Figur sein. Ich zeichne die ganze Zeit, ich zeichne in Skizzenbüchern, ich zeichne immerzu kleine Bilder. Ich fantasiere gern und das ist dann ein schöner Anfang einer Geschichte. Ich weiß nicht genau, aus welchem Grund ich Mr Munroe gezeichnet habe, in meinem Kopf hatte ich Erinnerungen an alte Charles Addams Bilder, die „Addams Family" und andere komische Trickfilmfiguren. Aber als ich Mr Munroe gezeichnet habe, musste ich seine ganz persönliche Geschichte finden.

Mr Munroe hat früher in einem Sumpf in Norwegen gewohnt, in einem Loch unter der Erde, das war immer sehr nass. Er hatte permanent nasse Füße und hasst den Regen. Mr und Mrs Brown haben ihn entdeckt und adoptiert. Seither verbringt er jede freie Minute mit Ottoline und in den Sumpf nach Norwegen will er auf keinen Fall zurück.

Kinderbuch-Couch:
'Ottolines Eltern spielen in den Büchern keine Rolle. Warum schreiben sie ihrem Kind nur Postkarten?

Chris Riddell:
Ich mag die Idee, dass Ottoline unabhängig ist. Sie kann tun, was sie will und kann ihr eigenes Leben kontrollieren. Aber gleichzeitig ist jemand da, der sich kümmert. Ich wollte die Eltern gern immer irgend woanders haben und der Witz in dem Buch ist aber, dass die Eltern nicht da sind, die Mutter aber immer genau weiß, was los ist. Wenn sie eine Postkarte schreibt, geht sie auf Ottolines Situation ein und weiß, was mit Ottoline passiert ist.

Kinderbuch-Couch:
Auf der Alice-B.-Sanders -Schule suchen alle nach ihren besonderen Fähigkeiten. Welches Unterrichtsfach würden Sie gern belegen?

Chris Riddell:
Ich mag die Rülps-AG und die weinende Arbeitsgruppe, wo man sehr traurige Geschichten liest und weint. Ich mag traurige Geschichten, ich schreibe so viele witzige Geschichten und das ist genau das Gegenteil meiner Arbeit.

Kinderbuch-Couch:
Ottoline ist auf der Suche nach ihren besonderen Fähigkeiten und ziemlich verzweifelt?

Chris Riddell:
Sie ahnt nicht, was sie wirklich gut kann. Die Rolle der Schule ist es, ihre besondere Fähigkeit zu finden. Ihr wahres Talent, das verrate ich jetzt mal, ist eine gute Freundin zu sein.

Kinderbuch-Couch:
Wie viele Ottoline-Bücher sind noch geplant?

Chris Riddell:
Das dritte und letzte Buch ist jetzt gerade fertig geworden. Es geht darum, dass Mr Munroe nach Norwegen reist und Ottoline ihm folgen wird. Es scheint so, als sei Mr Munroe abgehauen, aber in Wirklichkeit steckt etwas anderes dahinter. Ottoline ist sehr besorgt um ihren Freund.

Kinderbuch-Couch:
Wann haben Sie mit dem Zeichnen begonnen?

Chris Riddell:
Als ich fünf Jahre alt war, in den hinteren Bänken der Kirche, in der mein Vater arbeitete. Meine Mutter hat mir Papier und Stifte mitgegeben, damit ich während seiner Predigten ruhig war.

Kinderbuch-Couch:
Warum schreiben und zeichnen sie gern für Kinder?

Chris Riddell:
Ich schreibe für Kinder, da Kinderbücher der beste Ort für Bilder und Worte sind. Das Zusammenspiel von Wort und Bild hat mir schon immer gefallen. Die Bücher, die ich zeichne und schreibe, sind die Art Geschichten, die ich als Kind, glaube ich, gern gelesen und mir angeschaut hätte. Ich denke immer an mein jüngeres Ich, meine Interessen als Kind. Ich glaube, wenn man älter wird, werden die Bilder in den Büchern immer weniger und nach ein bisschen Zeit, muss man Bücher lesen, wo es gar keine Bilder mehr gibt und das macht mich ein bisschen traurig. Ich mag Bücher mit vielen, vielen Bildern. Ich möchte, dass alle Bücher Bilder haben, aber leider ist das nicht der Fall.

Kinderbuch-Couch:
Was nimmt den Schwerpunkt ihrer Arbeit ein, das Schreiben oder Zeichnen?

Chris Riddell:
Meine Figuren entstehen immer zuerst in meinem Skizzenbuch. Ich arbeite an vielen Entwürfen, ehe ich entscheide, wie ein Charakter aussehen wird. Ich zeichne ihn aus allen Perspektiven, oben, unten, 360 Grad und und und. Der Schlüssel für gelungene Illustrationen ist, die Figur mehrmals aus verschiedenen Richtungen zu positionieren, so dass sie dem Leser vertraut wird und das ist die Magie der Illustration. Jemand kann das Buch öffnen, die Bilder sehen und glauben, dass der Charakter echt ist. Ich glaube, Bilder und Text müssen zusammen funktionieren, aber die Geschichte ist der Hauptkern. Für mich entstehen gute Bücher, wenn Bilder und Worte wirklich zusammen passen.

Ich bin immer überrascht, dass ich Geschichten entwickeln kann und dazu noch illustrieren. Niemand hat mich bisher gezwungen, eine normale Arbeit auszuüben. Jeden Tag kann ich zeichnen. Manchmal denke ich, hoffentlich ist das kein Traum und wenn ich aufwache, dann bin ich in Wahrheit ein Steuerberater oder Bankangestellter. Da wäre furchtbar. Mit Paul Stewart gemeinsam habe ich mehrere Bücher veröffentlicht, aber ich habe schon immer meine eigenen Geschichten für jüngere Kinder, Bilderbücher, geschrieben. Für mich ist die Illustration doch sehr wichtig und ich interessiere mich sehr für die Altersgruppe zwischen Bilderbuch und Jugendbuch.

Kinderbuch-Couch:
Welche Technik benutzen Sie bei der Arbeit?

Chris Riddell:
Ich arbeite zuerst mit Tinte. Ich zeichne dann mit einem Pinsel und danach arbeite ich mit Aquarellfarben.

Kinderbuch-Couch:
In englischen Kinderbüchern muss es immer ein bisschen verrückt zugehen? Warum ist das so?

Chris Riddell:
Ich glaube, wir mögen das Exzentrische und den etwas absurden englischen Humor. Ich bin unter dem Einfluss von Monty Python aufgewachsen. Bei uns ist es immer ein bisschen grau und es regnet viel. Wir sind oft gezwungen im Haus zu bleiben und so denken wir uns komische Geschichten aus.

Kinderbuch-Couch:
In welcher Tradition sehen Sie sich als Autor?

Chris Riddell:
In gewisser Weise sehe ich mich in der Tradition von Lewis Carroll und seiner „Alice im Wunderland" und den wunderbaren Illustrationen von John Tenniel. Dann folgen Arthur Rackham und E. H. Sheppards Illustrationen von „Der Wind in den Weiden" oder „Winnie the Pu" von A.A. Milne. Diese Bücher bilden den Hintergrund der Ottoline-Geschichten.

Kinderbuch-Couch:
In diesem Jahr ist im Sauerländer Verlag Miguel de Cervantes „Don Quijote" nacherzählt von Martin Jenkins mit Ihren Illustrationen erschienen. Wie haben Sie die Illustrationen entwickelt?

Chris Riddell:
Ja, erstmal hatte ich den Text. Es ist zwar für Kinder gekürzt, aber immer noch sehr, sehr lang. In vielen Abschweifungen äußert Cervantes seine eigenen Ansichten. Ich war begeistert, wie witzig der Text ist und mir hat gefallen, dass die Geschichte so viele Charaktere hat, die kommen und gehen und die gleiche Person treffen, dann verschwinden und dann nochmal auftreten. Es ist verrückt und sehr clever. Ich wollte es nicht in der klassischen Art illustrieren, ich wollte keine schönen Landschaften oder historische Gebäude zeichnen. Ich konzentrierte mich auf die Leute und war bemüht, ihnen so nah wie möglich zu kommen. Um einem Konflikt zwischen Bild und Text aus dem Weg zu gehen, habe ich entschieden, dass ich meine Illustrationen hinter den Text lege. Der Leser muss dann neben das Wort gucken und kann dahinter visuelle Elemente entdecken. Und das macht es möglich, den Text mit einem Bewusstsein für die Illustrationen zu lesen. Die Illustrationen sind meistens sehr groß und füllen die Seite.

Beim Illustrieren habe ich immer totale Freiheit. Ich plane Seite für Seite, wie der Text und die Bilder zusammenkommen. Ich entscheide über das Papier und wie es gedruckt wird. Ich habe die absolute Kontrolle darüber, wie das Buch am Ende aussehen wird.

Kinderbuch-Couch:
Herzlichen Dank für das Interview.

  

Dieses Interview führte Karin Hahn.

Lesen und Hören
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