04.2009 Der Vormittag ist für Beate Dölling (Jahrgang 1961, geboren in Osnabrück) heilig, wenn sie nicht auf Lesereise ist oder einen Workshop leitet. In den Morgenstunden wird regelmäßig und konzentriert geschrieben. Bisher hat die Berliner Autorin mehrere Bilderbücher, Erstlesebücher, Kinder- wie Jugendbücher erfolgreich bei Beltz & Gelberg, im Sauerländer Verlag, im Thienemann Verlag, bei dtv und beim Duden Verlag veröffentlicht. Dazu gehören Titel wie „Wirbel um Cello", „Auch zwei sind eine Bande", „Sommerglück und Idiotenpech", „Kaninchen bringen Glück", „Anpfiff für Ella", „Franzi und das falsche Pferd", „Jim Knopf und der Halbdrache Nepomuk" oder „Ein Bär reißt aus".
Viele Jahre hat Beate Dölling in der Uckermark, in einem einsamen Dorf gewohnt und lebt nun wieder in Berlin-Kreuzberg. Wer mehr über Beate Döllings Leben, ihre Bücher und die Zusammenarbeit mit Didier Laget erfahren möchte, kann alles auf ihrer Website www.beatedoelling.com nachlesen.
Freundschaft ist ein Thema mehr denn je, denn ich weiß ja, dass viele Kinder heutzutage doch sehr einsam am Computer sitzen und vorgeben jemand anders zu sein...
Kinderbuch-Couch:
Hat dein neues Kinderbuch „Sommerglück und Idiotenpech" einen realen Hintergrund?
Beate Dölling:
Ja, die Geschichte spielt in Brandenburg, ein Dorf wird mal genannt und das Schiffshebewerk Finow, aber der Ort der Handlung könnte auch woanders sein. Aber es soll doch im Osten spielen, denn da werden ja ganz viele kleine Schulen zugemacht. Und meine Tochter Paula war auf so einer kleinen Schule, die war allerdings nicht so schön wie in dem Buch. Das war so ein richtiger DDR-Kasten, aber es gab diesen Spielwald, den Gemüsegarten und da konnte man einfach nachmittags hingehen. Es waren kleine Klassen, 7 Kinder in der 1./2.Klasse. Für meine Tochter war das eine ganz tolle Sache, denn alles ist übersichtlich und für Schulanfänger einfach ideal. Die Schule sollte dann geschlossen werden. Diese ganze Aktion u.a. mit der Versammlung, die im Buch auch beschrieben wird, das haben wir alles mitgemacht. Und der Spruch „Kurze Wege für kurze Beine." ist leider auch nicht von mir, sondern von jemandem aus dem Dorf. Man hat den Schulleiter mit ins Boot gekriegt, aber der kann ja nicht allein entscheiden. Die Schule wurde dann nach einem halben Jahr geschlossen. Es ist schon schade, dass es diese kleinen Schulen nicht mehr gibt. Der Arbeitstitel war dann ja auch „Rettet die Schule", aber das gefiel Beltz & Gelberg nicht. Der Teich und die Badestellen, auch das gibt es alles wirklich. Das ist einfach die Landschaft, die ich kenne, die für Kinder toll ist.
Kinderbuch-Couch:
Berührend geradezu ist die Freundschaft zwischen den drei Kindern, die sich einen Pfannkuchen oder eine Aprikose teilen, Freud und Leid immer gemeinsam erleben. Wie wichtig ist in deinen Büchern das Thema Freundschaft?
Beate Dölling:
Oh, ganz wichtig, auch geschlechterübergreifend, weil ich denke, Mädchen müssen nicht nur mit Mädchen und Jungen mit Jungen zusammen sein. Freundschaft ist ein Thema mehr denn je, denn ich weiß ja, dass viele Kinder heutzutage doch sehr einsam am Computer sitzen und vorgeben jemand anders zu sein. Sie können sich weder auf sich, noch auf jemand anders einlassen. Das finde ich ganz schlimm, deswegen ist Freundschaft so wichtig. In meinen Büchern ist immer ein guter Freund oder eine gute Freundin dabei. Gerade für das Alter, da können die Kinder ja noch nachvollziehen, wie wichtig das ist einen guten Freund zu haben und vielleicht auch dafür zu kämpfen, dass man mit jemandem zusammensein darf, der aus einem ganz anderen Elternhaus kommt. Jemandem trauen, auch im Sinne von Vertrauen, das finde ich als Erfahrung im Kinder- und Jugendbuch sehr notwendig.
Kinderbuch-Couch:
Leonie, Johan und Flora verbringen außerhalb der Schule fast jede freie Minute miteinander. Ist das nicht ein Idealbild, im Vergleich zu den verplanten und von der Schule gestressten Kindern heute?
Beate Dölling:
Klar, ist das ein Idealbild, das gibt es auf dem Land so nicht. Meine Tochter wohnt auf dem Land, die hat zwar die tolle Landschaft, aber sie kann nirgendwo allein hingehen, weil es dort so einsam ist. Da lasse ich sie alleine in Berlin herumlaufen, aber da eben nicht.
Meine Erfahrung ist auch, dass Kinder, die sich aus dem Kindergarten kennen und aus verschiedenen Gesellschaftsschichten stammen, nie in Kontakt bleiben. Eltern unterbinden in diesen Dorfgemeinschaften oftmals, dass Jungen mit Mädchen spielen, auch wenn sie es wollen. Wenn du so blöde Eltern hast, wird das einfach gekappt. Das wäre auch nochmal ein Thema für ein Kinderbuch.
Kinderbuch-Couch:
Gibt es diese verfallenen Schlösser oder Herrenhäuser noch in Brandenburg?
Beate Dölling:
Ja, ein Schloss oder ein Herrenhaus gibt es in fast jedem Dorf. Sie stehen meist leer oder werden von irgendeiner Stiftung hübsch ausgebaut. In meinem Kinderbuch ist das Schloss ein Tummelplatz für die Kinder, voller Geheimnisse und Abenteuer - allerdings auch ohne richtige Heizung, was Leonie ja doch zu schaffen macht.
Kinderbuch-Couch:
In deinen Kinderbüchern „Auch zwei sind eine Bande" oder „Kaninchen bringen Glück" spielt das Leben auf dem Land eine Rolle. Warum kehrst du zu diesem Thema immer wieder zurück?
Beate Dölling:
Ich wohne zwar in der Stadt, ich könnte ohne Stadt auch nicht sein, aber ich liebe das Landleben. Ich habe ja nun auch acht Jahre genau in dieser Gegend, im Osten, gewohnt. Im Kinderbuch „Auch zwei sind eine Bande", das spielt ja in der gleichen Ecke, war mir das Thema Osten allerdings noch wichtiger. Ich fand immer als Kind, ist das ganz toll auch in so einer verwilderten Ecke aufzuwachsen. Das ist ja nicht gestiltes Land wie im Westen, was ich so kenne, sondern es ist ja wilde Landschaft. Ich habe diese Landschaft immer vor Augen und auch diese Personen, die ich beschreibe. Und das ist ja das Gute an der schriftstellerischen Arbeit, man nimmt sich aus fünf Personen, das was man braucht und formt daraus dann eine eigene Figur für sein Buch.
Kinderbuch-Couch:
Als Autorin hat man sicher einen sehr geschulten Blick, wenn es um das Beobachten von Kindern geht und vor allem um ihr Wohlergehen. Wie sollte eine glückliche Kindheit heute aussehen?
Beate Dölling:
Es kommt immer darauf an, wie viel Spielraum ein Kind hat. Dieses selber entscheiden, wann man das Haus verlässt, das bringt auch eine große Selbstsicherheit mit sich. Das habe ich beobachtet. Tiere sind unheimlich wichtig, Katzen, Hunde und dann kann sich so ein Kind selbst entfalten, ist im Garten, entdeckt überall irgendwie irgendwas, spielt, klettert. Es kann die ganze Fantasie ausleben. Auch wenn man ein schönes, großes Zimmer hat, man kann nicht die Welt erkunden und ich glaube, drinnen und draußen ist für Kinder ein großer Gewinn, wenn Kinder selbst entscheiden können. Das kann man in der Stadt auch haben, ich will das gar nicht schwarz - weiß sehen. Auf jeden Fall ist es wichtig, dass Kinder sich mit anderen Kindern auseinandersetzen, das finde ich ganz wichtig. Dieses Sitzen am Computer und zu den anderen Kontakt übers Internet aufzunehmen, finde ich so einsam.
Kinderbuch-Couch:
Du sparst keine sozialen Konflikte aus, ob es sich nun um Gewalt in der Familie, Alkoholismus, Arbeitslosigkeit oder das Vernachlässigen von Kindern handelt?
Beate Dölling:
Ja, das kriegt man auf dem Dorf ja viel mehr mit als in der Stadt, wenn nicht so eine kinderreiche Familie im Haus lebt. Es wird oftmals schlecht über diese großen Familien geredet, aber auf der anderen Seite haben die Kinder die Chance sich eine eigene Meinung zu bilden. Die Eltern, z.B. auch von Leonie, sprechen ja auch mit ihrem Kind über diese Familien und deren Kinder, die so wenig Entfaltungsmöglichkeiten haben. Das ist für mich auch ein wichtiges Thema, den Lesern klar zu machen, dass Kinder in bestimmten sozialen Konstellationen gar keine Wahl haben, von ihren Eltern abhängig sind.
Kinderbuch-Couch:
Interessant ist, dass in deinen Geschichten die Kinder, wenn sie in Schwierigkeiten stecken, nicht alles allein und erfolgreich regeln. Sie fordern von ihren Eltern, dass sie Partei für sie ergreifen und helfen. Das ist oftmals in Kinderbüchern, die die reale Welt spiegeln, nicht so?
Beate Dölling:
Ja, das kommt auch auf den Verlag an. Ich finde das sehr unrealistisch, wenn Kinder alles selber schaffen, nichts gegen die „Drei ???" oder Enid Blyton. Und da ich ja Kinderbücher mit realem Hintergrund schreibe, möchte ich auch bei der Wirklichkeit bleiben. Kinder können sich in vielen Situationen gar nicht wehren. Ich möchte auch, dass Kinder Erwachsene enttarnen und erkennen, auch Eltern machen nicht immer alles richtig.
Kinderbuch-Couch:
Was hat dich auf die Seite der Kinder gebracht? Warum schreibst du für sie?
Beate Dölling:
Ich hatte damals sehr viel beim Rundfunk mit Kindern zu tun. Damals hatten wir noch Sendezeiten von einer Stunde und somit habe ich wirklich sehr lang mit Kindern über ganz viele Themen gesprochen. Ich weiß noch, dass ich viel Zeit in Kinderzimmern verbracht habe und währenddessen haben irgendwelche Meerschweinchen mir auf die Hose gepinkelt und das Kabel von meinem Aufnahmegerät angeknabbert. So habe ich viel erfahren, denn damals hatte ich noch kein eigenes Kind. Ich fand das so interessant. Ich habe Sendungen über Mütter und Väter gemacht und dadurch ist mein allererstes Buch entstanden „Mama verliebt". Das ist diese Geschichte über Patchwork-Familien. Es gab dann so viele Geschichten, die ich einfach für Kinder und Jugendliche aufschreiben wollte und immer noch will.
Kinderbuch-Couch:
Hast du im Kinderbuch jetzt verarbeitet, was dich bewegt, aber nicht das, was du als Kind gern gelesen hättest?
Beate Dölling:
Doch, das was ich geschrieben habe, das hätte ich als Kind auch gern gelesen. Es müssen schon realistische Sachen sein, aber keine pure Fantasyliteratur mit Parallelwelten. Das gefällt mir gar nicht. Ich habe als Kind gar nicht viel gelesen. Ich komme aus einem Haushalt, da wurde nicht gelesen. Aber geschrieben habe ich schon immer. Ich habe hier auch meine Tagebücher, da schaue ich auch immer wieder mal rein, um einen bestimmten Ton für meine Charaktere zu finden. Ich habe immer geschrieben und dann ja eigentlich spät veröffentlicht, denn kein Verlag wollte meine Bücher haben.
Dann war ich bei einem Seminar in München und habe intensiv an meinen Texten in größeren Zeitabständen mit dem freien Lektor Frank Griesheimer gearbeitet. Das war so der Durchbruch, denn danach wurde „Mama verliebt" bei dtv und „Hör auf zu Trommeln, Herz" bei Beltz & Gelberg veröffentlicht. Aber ich habe auch viel ausprobiert und auch für Reihen geschrieben. Aber das muss ich auch machen, denn von meinen Büchern, die ich schreiben will, kann ich gar nicht leben.
Kinderbuch-Couch:
Wie Kinder miteinander reden, hat sich im Laufe der Zeit verändert. Wie fängst du diesen Tonfall auf?
Beate Dölling:
Ja, ich möchte ihn nicht nachahmen, aber ich möchte schon nah dran sein. Und ich belausche Kinder, stehe an der Bushaltestelle und schreibe mir alles auf. Worum es geht, welche Themen und wie was benannt wird, das interessiert mich auf jeden Fall. Vieles muss ich auch recherchieren.
Kinderbuch-Couch:
Besteht nicht die Gefahr, wenn man Jugendsprache aufgreift, dass man sich dann Moden unterwirft?
Beate Dölling:
Zu Anfang habe ich mich geweigert, cool zu schreiben, aber man kommt da einfach nicht mehr drumrum. Man muss ja nicht jedes moderne Wort übernehmen. Es kommt drauf an, wie man es einsetzt. Dass man bestimmten Personen diese Sprache in den Mund legt, um sie zu charakterisieren, das ist eine Variante.
Kinderbuch-Couch:
Worüber ich auf jeden Fall mit dir sprechen wollte, das sind die Bilderbücher, die beim Thienemann Verlag erschienen sind. Du schreibst kurze Geschichte nach Motiven aus dem beliebten Kinderbuch von Michael Ende „Jim Knopf und Lucas der Lokomotivführer"?
Beate Dölling:
Ja, das wollte der Thienemann Verlag und die Ende-Erben. Diese Geschichten sollten kleineren Kindern zugänglich gemacht werden. Das Schöne ist, ich bin da sehr frei, ich kann mir eine Geschichte ausdenken und die Personen aus dem Buch dann dazu nehmen. Es muss nur alles passen. Es muss im Stil, auch die Illustrationen, und im Ton am Original bleiben. Das ist eine wunderbare Arbeit, jedes Jahr erscheint ein Buch.
Kinderbuch-Couch:
Einige deiner Bücher sind durch die Zusammenarbeit mit dem französischen Autor Didier Laget entstanden, z.B. aktuell das Erstlesebuch „Ein Bär reißt aus" ( Duden Verlag). Wie schreibt ihr gemeinsam an einem Buch?
Beate Dölling:
Das ist total verrückt und fantastisch, weil es gut tut, ein Projekt mit jemandem erstmal durchzusprechen, das würde ich ja sonst mit dem Lektor machen. Für uns ist das eine gegenseitige Bereicherung. Dann fangen wir an zu schreiben und teilen auf, wer welche Szene schreibt. Keiner bedient nur einen Charakter. Und man merkt hinterher auch nicht, dass hat er geschrieben und das habe ich geschrieben. Zudem kommt ja noch hinzu, dass er Franzose ist und ich kein französisch spreche. Wir sprechen also Englisch und er schreibt auf Französisch und übersetzt alles ins Englische und ich übersetze seine Parts ins Deutsche.
Diese Überarbeitungen kosten Zeit, sind aber auch wichtig. Für ihn ist es natürlich blöd, er kann ja seine Bücher nicht lesen. Naja, dann muss er halt schneller deutsch lernen. (lacht).
Kinderbuch-Couch:
Verfolgst du eigentlich die Kinder-und Jugendbuchszene und liest, um auf dem aktuellen Stand zu sein?
Beate Dölling:
Nein, leider gar nicht. Es ist eher sporadisch. Aktuell habe ich „Charlottes Traum" von Gabi Kreslehner gelesen, sprachlich fand ich das sehr interessant. Bart Moeyaert mag ich sehr gern und was ich ganz toll finde, ist Guus Kuijer. Diese Polleke-Bücher, die liebe ich. Ich mag seinen Stil. Das ist alles sehr realistisch, er spricht alle Themen an und behandelt diese in einer zärtlichen, tollen Weise. Ich mag aber auch z.B. Bücher von Patrice Kindl „Anna in der Wand", diese Mischung aus Realem und doch Fantastischem.
Kinderbuch-Couch:
Herzlichen Dank für das Interview.
Dieses Interview führte Karin Hahn.
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