Interview mit Maria Cepeda Rendón
Die Angst ist Schwarz; erst wenn ich Lösungsmöglichkeiten schaffe, entwickle ich einen Regenbogen - aus der Dunkelheit in das Licht.
Kinderbuch-Couch:
Liebe Frau Cepeda Rendón, Sie sind nun schon seit 24 Jahren Erzieherin und seit 12 Jahren Leiterin einer KiTa in Münster. Sicherlich haben Sie bereits viele persönliche Erfahrungen mit dem Thema "Wenn Kinder Angst haben" gemacht und können uns einige interessante Einblicke in ihre Arbeit mit Kindern dieser Altersgruppe gewähren.
Maria Cepeda Rendón:
Grundsätzlich halte ich es für wichtig, dass die Angst eine positive und gesunde Schutzfunktion des Körpers ist. Die wir ernst nehmen und als Hilfe annehmen sollten.
Kinderbuch-Couch:
Sie betreuen Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren. Welche Ängste treten bei den Kindern im Laufe der Kindergartenzeit am häufigsten auf?
Maria Cepeda Rendón:
Da gibt es zum einen die Trennungsangst. Sowohl bei den Kindern als auch bei ihren Eltern. Aber auch die Angst vor neuen Situationen – das ist ein weites Spektrum: Es gibt die Alltagsangst, die in uns in unserer Entwicklung reifen lässt, wenn wir sie meistern. Alltagsangst ist zum Beispiel die Angst keinen Freund zu finden - und natürlich gibt es auch die Angst der Eltern, die ihr Kind hier im Kindergarten lassen und sich sorgen, ob ihr Kind gut versorgt wird. Häufig stellt sich Kindern im Kindergartenalltag die Frage, ob ihr Freund an diesem Tag auch kommen wird. Eine weitere Befürchtung kann sein, dass das Kind sich Sorgen macht, ob es den Kindergartentag überstehen kann. Wir greifen dann Rituale auf, die dem Kind Sicherheit vermitteln, damit geregelte Abläufe und Verlässlichkeiten entstehen.
Kinderbuch-Couch:
Kommen gewisse Ängste noch einmal wieder, wie etwa die Trennungsangst? Wenn ja, unter welchen Bedingungen - oder ist dies im Verlauf der kindlichen Entwicklung ganz normal?
Maria Cepeda Rendón:
Je weniger die Scherheit und das Vertrauen da sind, desto größer ist die Angst. Jede neue Situation bringt etwas Fremdes und nicht Kalkulierbares. Wir verlassen dann, so nenne ich es, unser "Sicherheitspolster". So läuft aber jede gesunde Entwicklung und dadurch können wir auch wachsen. Es trifft auf jeden Mensch zu, egal in welchem Alter.
Kinderbuch-Couch:
Wie erkennen die Erzieher/innen, dass ein Kind unter Ängsten leidet? Welche typischen Verhaltensmuster können beobachtet werden?
Maria Cepeda Rendón:
Verneinung, Verschlossenheit, Verkrampfung, Panik, Weinen, Klammern, Augen mit den Händen verdecken, weglaufen - es gibt viele Formen, wie ein Kind unmissverständlich seine Angst zeigt.
Kinderbuch-Couch:
Wie reagieren Sie als Erzieherin, wenn sie bemerken, dass das Kind unter Ängsten leidet?
Maria Cepeda Rendón:
Signalisieren, ich bin immer für Dich da und ich nehme Dich ernst. Und das auf ganz unterschiedliche Weise. So indivduell wie die Kinder, so verschieden sind auch die Hilfsangebote. Das kann der Körperkontakt sein – dazu gehört aber gegebenenfalls auch, dem Kind Abstand und Zeit zu geben. Es kann auch tröstend sein, wenn das Kind sein Kuscheltier bzw. das Schnuffeltuch im Arm halten kann. Bei anderen Kindern sprechen ganz stark die Sinne an, auf Musik, Düfte oder auf einen besonderen Ort ...
Kinderbuch-Couch:
Wie können die Eltern Sie bei dieser Arbeit unterstützen?
Maria Cepeda Rendón:
Der Umgang miteinander sollte offen und vertrauensvoll sein. Dann sind wir auch Vorbild für die Kinder und können im Sinne der Kinder den optimalen Nährboden schaffen. Eltern sollten sich an die Erzieher/innen wenden, wenn sie sich Sorgen machen, ob ihr Kind sich altersgerecht entwickelt – dabei können wir in einem persönlichen Gespräch schon viele Sorgen nehmen. Oder wir verweisen sie an spezialisierte Fachleute, die sie dann kompetent beraten.
Kinderbuch-Couch:
Haben sich die Kinder im Laufe der letzten zehn? Jahre verändert – und damit auch ihre Ängste? Wenn ja, wie schätzen Sie persönlich diesen Wandel ein und welche Strategien hat Ihre Einrichtung entwickelt?
Maria Cepeda Rendón:
Die heutige Gesellschaftstruktur erlebe ich persönlich schon als verändert. Aus meiner Sicht gesehen, gibt es nicht mehr so häufig die Grundfamilie wo Mama zu Hause ist und Papa arbeitet, wo Oma einspringt und Opa die "Männerrolle" mitgestaltet. Es gibt wesentlich mehr Einrichtungen die familienergänzend vieles aufgreifen, manchmal ein Stück weit Familie ersetzen können und trotzdem eine gesunde Entwicklung ermöglichen. Dabei ist es ganz wichtig, dass die Einrichtung ihren Kompetenzbereich in der heutigen Gesellschaftsform als familienergänzend ausübt, um den Auftrag aller Erziehungsverantwortlichen gut auszuüben.
Kinder haben heute einen anderen Stellenwert als früher. Das ist zum einen positiv aber auch manchmal problematisch. Alles hat auch seine Kehrseite: Früher waren die Kinder sicherlich unbedachter und gelöster. Heute kommen die Kinder viel "kopflastiger" in den Kindergarten und müssen sich mit vielem befassen, das Generationen vor ihnen noch nicht so beeinträchtigt haben wird.
Kinderbuch-Couch:
Welche "Fehler" machen Ihrer Meinung nach noch viele Eltern im Umgang mit den Ängsten ihrer Kinder bzw. welche Tipps können Sie Eltern generell mit auf den Weg geben?
Maria Cepeda Rendón:
Aus meiner Sicht ist der grösste Fehler der Eltern, wenn sie aus mangelnder Sicherheit nicht authentisch sind. Das wichtigste ist, immer seinem "Bauchgfühl" zu trauen und dem nachzugehen. Wenn ein Elternteil unsicher ist, hilft es, wenn er sich innerlich vorbereitet und sich Situationen ausmalt, die auf ihn zukommen könnten und wie er am besten damit umgehen würde. Aus der Distanz heraus bewahrt man einen kühleren Kopf und kann schwierige Momente mit dem Kind wesentlich klarer lösen.
Kinderbuch-Couch:
Wann ist ein Kind auffällig – sprich, wenn es nicht ";nur"; um die ganz natürliche, anfängliche Trennungsangst handelt. Was kann der Kindergarten da tun, welche Möglichkeiten stehen ihm zur Verfügung?
Maria Cepeda Rendón:
Sehr auffällig wäre ein Kind, wenn es sich kurz vor der Einschulung nicht traut, zum Nachbarskind zu gehen. Oder wenn es sich sträubt, kleinere Aufträge zu erledigen, wie zum Beispiel nebenan anzuschellen und nach Milch zu fragen. Es ist sowohl von Seiten des Kindergartens als auch vom familiären Bereich aus wichtig, dem Kind ein gesundes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen zu vermitteln. Dazu gehört, dass das Kind stolz sein und "nein" sagen kann - und darf. Auch sollte ihm unter allen Umständen die Spielfreude erhalten bleiben, um immer wieder neugierig auf Neues zu sein.
Ein weitaus ernsterer Fall ist das Trauma. Ein Trauma ist eine extrem bedrohliche Situation, die das Kind erlebt hat. Oft fallen diese Kinder auf, weil sie ganz große Verlustängste entwickeln, plötzlich Bettnässen oder sehr an dem/der Erzieher/in klammern. Ein Trauma kann jedoch nur durch psychologische und andere Therapiemassnahmen aufgearbeitet werden. Wir, im Kindergarten, werden diese therapeutische Arbeit dann so gut es geht unterstützen.
Kinderbuch-Couch:
Wie hilfreich sind Bücher über das Thema Angst generell bei Ihrer Arbeit mit den Kindern?
Maria Cepeda Rendón:
Bücher bieten den Schutzraum zur Verarbeitung bzw. zur Vorbereitung aufkommender Situationen. Aus der Distanz kann Durchlebtes bearbeitet werden. Aus diesem Austausch mit dem Kind können dann Schlüsse gezogen werden, was das Kind beschäftigt und an welcher Stelle wir ansetzen können. Ganz wichtig ist die Tatsache, dass Kinder über die Bücher lernen, ihre Ängste zu verbalisieren. Bücher sind der erweiterte Schlüssel zur Sprachentwicklung. Es ist von zentraler Bedeutung, dass Kinder ihre Gefühle und ihre Gedanken benennen können.
Kinderbuch-Couch:
Wünschten Sie sich mehr Kinderbücher zu diesem Thema?
Maria Cepeda Rendón:
Die Normalität mit dem Umgang mit dieser Thematik ist noch immer nicht vorhanden. Scheinbar auch nicht bei den Verlagen und den Autoren. Es wäre schön, wenn es mehr gute und sehr vielfältige Kinderliteratur zu diesem Thema gäbe, so dass sich auch ganz verschiedene Charaktere darin wiederfinden und verstanden fühlen können.
Kinderbuch-Couch:
Vermissen Sie Bücher zu speziellen Themen der Angst?
Maria Cepeda Rendón:
Es gibt zum Thema Trauerbewältigung, was ja auch sehr viel mit Angst zu tun hat, nicht viel Literatur. Da würde ich mir mehr gute Bücher wünschen, die Kinder in ihrer Welt abholen und Gespräche anstossen können.
Kinderbuch-Couch:
Herzlichen Dank für das Interview.
Das Interview führte Stefanie Eckmann-Schmechta.
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