Angelika Bartram und Jan-Uwe Rogge
Viele von Ihnen werden Jan-Uwe Rogge sicher aus Rundfunk, Fernsehen oder auch über seine zahlreichen Veröffentlichungen zum Thema Kinder und Erziehung kennen. In seiner bekannt humorvollen Art hat er so manch ratlosem Elternteil wieder Mut gemacht und gezeigt, dass nicht alles so bitterernst ist, wie wir es oft selbst machen. Darüber hinaus versteht er es sehr gut, sein Augenmerk genau auf den richtigen Punkt zu legen – er durchschaut unsere familiären "Kleinkrisen" und hilft ohne den berühmten, erhobenen Zeigefinger. So wird es allen Beteiligten leicht gemacht, ihre Position mit Humor und etwas mehr Abstand zu betrachten.
Zusammen mit Angelika Bartram, die erfolgreiche und bekannte Autorin für Theater, Hörfunk und Fernsehen hat er nun mit dem Buch ";Kleine Helden – großer Mut, Geschichten die stark machen" das zweite gemeinsame Buch geschrieben. Angelika Bartram ist Mitbegründerin des Kindertheaters Ömmes&Oimel in Köln. Desweiteren arbeitet sie als Autorin für "Lilipuz", eine Kindersendung im WDR-Hörfunk, oder entwickelte für das Fernsehen bekannte Sitcoms und Familienserien. Für die Sesamstrasse erarbeitete sie als Headautorin ein neues Comedy-Konzept.
Es ist wichtig zu begreifen, dass die Angst einen Teil der gesunden Entwicklung ausmacht und dass es im eigentlichen Sinne nicht gesund ist, Kinder angstfrei aufwachsen zu lassen. Jan-Uwe Rogge
Kinderbuch-Couch:
Herr Rogge, Sie arbeiten bereits seit 1985 als Familienberater – Welche Ängste sind bei Kindern typisch im Laufe ihrer Entwicklung?
Jan-Uw Rogge:
Das sind zum einen die "Urängste", wie man sie gemeinhin nennt. Dazu gehört die Angst vor Schmerzen, vor Feuer, vor plötzlichen Geräuschen. Aber es gibt auch entwicklungsbedingte Ängste. Damit meine ich die Angst davor, die Bindung zu verlieren. Man nennt dies "Kontakt-Verlust-Angst" und sie tritt bereits im Säuglingsalter ein. Damit bringt das Baby sein Bedürfnis nach Halt und Geborgenheit zum Ausdruck. Später – etwa im Alter von acht Monaten – kommt das bekannte "Fremdeln" dazu. Die Kinder erkennen bereits ein Stück weit "was tut mir gut – was tut mir nicht gut". Früher war das "Fremdeln" eher als "Achtmonats-Angst" bekannt. Schliesslich kommt die Trennungsangst; das heisst in dem Moment in dem ein Kind laufen lernt, sich verabschieden muss, lernt es, mit Trennungen umzugehen. Zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr kommt eine "Vernichtungsangst" dazu. Das Kind spürt, dass es einerseits stärker geworden ist aber zugleich begreift es, dass es noch Stärkere gibt; das löst logischerweise Angst aus. Um das vierte und fünfte Lebensjahr erfahren die Kinder die Angst vor dem Tod – aber Tod eben nicht in dem Sinne wie wir es verstehen, sondern Tod als ein Inbegriff des Abschiednehmens. Dann kommen häufig Fragen wie "stirbst Du Mama, oder sterbe ich?".
Diese fünf entwicklungsbedingten Ängste wiederholen sich noch einmal zwischen dem sechsten und neunten Lebensjahr und schließlich noch einmal während der Pubertät. Das heisst also, die Kinder werden in ihrer Entwicklung ganz natürlich von Ängsten begleitet. Oder anders ausgedrückt: Mit jedem Reiseschritt den ein Kind macht, mit jedem Übergang, den ein Kind vollzieht, tauchen ganz automatisch Ängste auf.
Übergange heisst immer nach vorne zu blicken – aber auch Abschied zu nehmen. Darin liegt auch stets etwas, das man "Angstlust" nennt: Die Lust auf etwas Neues aber auch die Angst, Vertrautes zu verlieren.
Kinderbuch-Couch:
Manche Kinder teilen sich nicht sofort mit – oder können es aufgrund ihres Alters noch nicht. Wie können Eltern erkennen, dass ihr Kind unter Ängsten leidet?
Jan-Uwe Rogge:
Es kommt ganz darauf an, Ihre Frage spricht zwei Aspekte an: Dass ein extrovertiertes Kind, also ein Kind, das nach Außen gerichtet ist, seine Ängste deutlicher zeigt – nicht nur mit Worten, sondern auch in seinen Handlungen - und dass ein introvertiertes Kind seine Ängste nicht so deutlich zeigt, so dass wir genauer beobachten müssen. Die Art und Weise, wie sich ein Kind ausdrückt, ist sehr vom Charakter und vom Temperament abhängig. Der weitere Aspekt besteht darin, dass, je jünger ein Kind ist, wir lernen müssen, durch genaue Beobachtung zu erkennen, ob die Reaktionen oder Äußerungen mit Angst zu tun haben oder möglicherweise etwas anderes dahinter steckt. Entwicklungsbedingte Ängste sind eben doch sehr klar zu erkennen. Also die "Körperkontaktverlustangst" bei der der Säugling uns seine Arme entgegenstreckt und damit das Bedürfnis nach Geborgenheit und Bindung zum Ausdruck bringt. Das "Fremdeln" erkennt man schnell daran, dass sich das Kind nicht mehr vorbehaltlos in jeden Arm legen lässt. Die "Trennungsangst" zeigt sich, wenn ein Kind traurig ist, wenn wir nicht mehr in seiner Nähe sind und die "Vernichtungsangst" macht sich beispielsweise durch die Angst vor Monstern bemerkbar. Wenn man im engen Kontakt zum Kind ist, dann erkennt man das.
Kinderbuch-Couch:
Wie können wir, als Eltern, ihnen den richtigen Halt und das Verständnis geben, um sie einerseits nicht allein zu lassen, sie aber andererseits an den Herausforderungen wachsen zu lassen, so dass sie lernen, mit ihren Ängsten umzugehen?
Jan-Uwe Rogge:
Für Eltern ist ganz wichtig, die Angst des Kindes nicht auf einen Erziehungsfehler zu reduzieren. Das erachte ich als sehr zentral. Natürlich gibt es auch erziehungsbedingte Ängste, aber Eltern sollten verstehen, dass entwicklungsbedingte Ängste etwas ganz notwendiges für ihr Kind sind. Es ist wichtig zu begreifen, dass die Angst einen Teil der gesunden Entwicklung ausmacht und dass es im eigentlichen Sinne nicht gesund ist, Kinder angstfrei aufwachsen zu lassen. Es ist viel wichtiger, die Angst der Kinder zu akzeptieren und nicht Sätze zu formulieren wie "Du brauchst doch keine Angst zu haben". Mit diesem Satz lassen Eltern ihr Kind allein und nehmen es in seiner Angst nicht an. Auch sollte man Kinder in ihren Ängsten auf keinen Fall vergleichen, etwa indem man sagt "Schau mal, der Paul hat doch keine Angst, warum hast Du Angst?".
Und das dritte ist, was ich auch als sehr wichtig erachte, zu erkennen, wie Kinder ihre Ängste selbst, aus sich heraus, be- und verarbeiten. Es ist nicht Aufgabe der Eltern die Ängste ihrer Kinder stellvertretend zu verarbeiten. Es ist wunderbar zu beobachten, wie ein Kind sich selbst dem Thema nähert und einen Weg findet, mit der Angst fertig zu werden. Hier können wir es nur unterstützen und ermutigen. Das ist ja auch ein Ansatz unserer Bücher, dass die Helden und Heldinnen unserer Geschichten lernen, ihre Angst selbst zu bewältigen und an der Herausforderung wachsen. Das Vorlesen und das anschliessende Gespräch über die Geschichten ist auch eine Form, die Kinder bei der Verarbeitung zu unterstützen.
Kinderbuch-Couch:
Haben sich die Ängste – etwa im Vergleich zur vorherigen Generation, oder zu den vorherigen Jahren verändert? Hat sich da im Verlauf dieser Jahre schon ein gewisser Prozess abgezeichnet?
Jan-Uwe Rogge:
Es kommt darauf an, über welche Art von Ängsten wir reden. Betrachtet man die entwicklungsbedingten Ängste, wird man feststellen, dass man sehr wohl noch auf Literatur zurückgreifen kann, die bereits vor 80 oder 90 Jahren Geltung hatte. Aus den Abhandlungen der Psychologen und Psychologinnen der 20er und 30er Jahre des letzten Jahrhunderts kann man entnehmen, dass vieles noch Bestand hat. Da fällt mir Charlotte Bühler ein, eine wunderbare Analytikerin, die auch schon damals über die gleichen Ängste geschrieben hat, über die ich gerade berichtet habe. Sogar Pestalozzi aus dem 18. Jahrhundert hat schon einige Aspekte dieses Themas treffend aufgegriffen. Bereits in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts erschien von Hans Zulliger, dem schweizer Psychologen, das Buch mit dem Titel "Die Ängste unserer Kinder" - oder das Buch von Riemann "Grundformen der Angst" hat auch heute noch nichts von seiner Aktualität eingebüsst. Natürlich hat man damals andere Begriffe gewählt. Zum Beispiel die "Achtmonats-Angst" wird heute eher als "Fremdeln" bezeichnet, oder die "Trennungsängste" hat man damals "Verlassensängste" genannt. Daran erkennt man ganz deutlich, dass sich die Kinder in ihren entwicklungsbedingten Ängsten nicht verändert haben.
Was ein Stück weit anders geworden ist, ist die Tatsache, dass die erziehungsbedingten oder umweltbedingten Ängste zugenommen haben. Viele Ängste sind für die Kinder sehr abstrakt geworden, denn die Kinder dieser Tage werden schon früh mit unseren gesellschaftlichen Problemen konfrontiert. So hat sicherlich die Angst vor Krankheiten zugenommen, wie zum Beispiel vor AIDS oder der momentan weltweit gefürchteten Vogelgrippe. Auch die Angst vor Krieg, die über die Medien vermittelt wird, hat zugenommen. Kinder machen sich heute sehr viel mehr Gedanken über diese Bedrohungen. Und auch jüngere Kinder werden frühzeitig in diese gesellschaftlichen Zusammehänge einbezogen – sie können die Gefahr, die von diesen Dingen ausgeht, noch nicht abschätzen und das macht ihnen Angst. Das ist sicherlich ein ganz zentraler Punkt, der in Relation zu den vorherigen Generationen eine Qualitätsverschiebung darstellt. Und das zweite, was damit zusammenhängt, ist, dass die Kinder heute einen höheren Stellenwert haben. Man kümmert sich heute ständig und ununterbrochen um ihr Wohlergehen. Auf der einen Seite wollen wir zwar sehr selbständige Kinder haben, aber zugleich wird diese Selbständigkeit eingeschränkt, indem man die Kinder stets im Blick hat, sie ständig umsorgt, sie hegt und pflegt. Und da spüren Kinder sichlichtweg die elterliche Unsicherheit.
Kinderbuch-Couch:
Was sind die deutlichsten Indizien, dass ein Kind seine Angst "instrumentalisiert", d.h. Wenn wir uns durch sie erpressbar machen lassen. Wie sollen wir mit den Äusserungen umgehen, damit wir einerseits das "Spiel" nicht weiterspielen und andererseits aber die Bereitschaft zeigen, dass wir bei echter Angst für das Kind da sind?
Jan-Uwe Rogge:
Wenn ein Kind seine Angst äussert, dann sollten Sie dem Kind die Frage zu stellen, wie es meint, seine Angst bewältigen zu können – auf welche Weise es sich der Angst stellen möchte. Wenn ein Kind darauf aber mit einem "ich weiss es nicht" antwortet und man das Gefühl hat, dass es sich in seiner Angst ganz wohl fühlt - hat es ja so ein Mittel , seine Umwelt unter Druck zu setzen - dann handelt es sich hierbei schon um ein sehr deutliches Indiz. Wenn ein Kind wirklich Angst hat, dann ist es wie ein Märchenheld, dann will es in die Angst hineingehen und es will – im besten Sinne – das Gruseln erfahren und erlernen.
Die Bedeutung, gerade die emotionale Intelligenz zu fördern, rückt immer mehr in den Vordergrund. Angelika Bartram
Kinderbuch-Couch:
Frau Bartram, Sie sind nun schon einige Zeit in der Medienlandschaft "unterwegs" – zeichnet sich hier bereits eine Reaktion auf einen etwaigen Mehrbedarf zu dem Thema Angst bei Kindern ab?
Angelika Bartram:
In der allgemeinen Diskussion, beispielsweise zusammenhängend mit Pisa, ist es mittlerweile ein wichtiges Thema geworden. Es geht dabei hauptsächlich um die Gegenüberstellung von kognitivem und emotionalem Lernen. Ich bin froh, dass jetzt langsam das Bewusstsein für das emotionale Lernen wächst – und dazu gehört auch die kindgerechte Angstbewältigung. Diese Art und Weise für das Leben zu lernen wurde die ganze Zeit und immer wieder zu weit zurückgestellt. Eher wurde das Gewicht darauf gelegt, die kognitiven Fähigkeiten, also das Lesen, Schreiben und Rechnen, zu fördern. Die gesamte Bandbreite des emotionalen Lernens wurde stark vernachlässigt.
Kinderbuch-Couch:
Also die emotionale Intelligenz wurde in den vergangenen Jahrzehnten kaum oder gar nicht gefördert?
Angelika Bartram:
Ja, und die Bedeutung, gerade die emotionale Intelligenz zu fördern, rückt immer mehr in den Vordergrund. Wenn es gelingt, bei den Kindern eine fundierte Basis zu legen, können damit viele, ganz andere und auch schwerwiegendere Probleme angegangen werden. Und man kann durchaus auch sagen, dass bestimmte Geschichten, die im kognitiven Bereich nicht so funktionieren, auch deswegen nicht funktionieren, weil die emotionale Basis nicht stimmt. Und da sind wir an einem Punkt, an dem wir, Jan-Uwe Rogge und ich, eine Bresche schlagen wollen. Wir sollten mit unseren Kindern wirklich ganz früh anfangen, sie ernster zu nehmen. Denn es beginnt damit, das magisch-fantastische Denken der Kinder als echte Chance anzunehmen. Gerade da bestehen ganz große Möglichkeiten, den Kindern wichtige Inhalte und Erfahrungen zu vermitteln, die sie in ihrer eigenen Persönlichkeit stärken. Und wenn die Persönlichkeit stark ist, dann können bestimmte Dinge – perspektivisch gesehen, sogar bis hin zum Drogenkonsum – ganz anders angegangen und verarbeitet werden. Daher auch unser Ansatz, das emotionale Lernen mit den fantastischen Geschichten zu unterstützen; denn das heißt die Kinder ernst zu nehmen in ihrer ganz eigenen Art der Bewältigung von Ängsten.
Kinderbuch-Couch:
Also kann man zusammenfassend feststellen, dass es bei der Auseinandersetzung in unserer Medienlandschaft einer intensiveren Auseinandersetzung mit der emotionalen Thematik bedarf?
Angelika Bartram:
Wir machen immer wieder die Erfahrung, dass wir in dem Moment, in dem wir unser Konzept vorstellen, auf starke Zustimmung stoßen. Aber eben erst dann, wenn wir unsere Herangehensweise erklären – das Bewusstsein ist per se eben immer noch nicht da. Wenn man einmal darüber nachgedacht hat, wie wichtig es ist, auch emotional für das Leben zu lernen, wird die Logik – bzw. bisherige Unlogik, nur auf kognitive Weise für das Leben zu lernen – jedem sonnenklar erscheinen. Wir erfahren jedoch bei unserer Arbeit immer wieder, dass es nicht einfach ist, diese Thematik richtig aufzugreifen. Jede fantastische Geschichte funktioniert nicht automatisch so, dass man sagen könnte, dass sie auf jeden Fall das emotionale Lernen unterstützt. Es ist eben wichtig, mit der Dramaturgie so umzugehen, dass die Abläufe so erzählt werden, dass die emotionale Reise, die die Kinder mitmachen, sie gestärkt aus dem Abenteuer hervorgehen lässt und nicht etwa bedrohliche Aspekte offen gelassen werden. Ganz problematisch wäre es, wenn Emotionen oder Ängste hervorgerufen werden, die die Geschichte nicht mehr zurückholen kann.
Kinderbuch-Couch:
Wie schätzen Sie beide die Bedeutung von Geschichten oder Bücher über das Thema Angst für Kinder ein?
Angelika Bartram/Jan-Uwe Rogge:
Wie man sicherlich schon aus unseren vorangegangenen Ausführungen heraushören konnte, erachten wir Geschichten für Kinder als sehr, sehr wichtig. Und das gilt für alle guten Geschichten, die man mit Kindern liest. Ein bisschen problematisch ist es ja manchmal, wenn wir sagen, dass wir Geschichten über die Ängste von Kindern machen. Viele schreckt es zunächst einmal ab – auch Eltern. Sie bringen uns gegenüber dann so manches Mal zum Ausdruck, dass ihr Kind gar keine Angst habe. Viele denken immer noch, dass es nicht gut sei, wenn ein Kind Angst hat. Sie möchten ihrem Kind natürlich dieses, aus ihrer Sicht, negative Gefühl ersparen – dabei vergessen sie ganz, dass Angst nun einmal zum Leben dazugehört. Wir alle haben auf diese Weise für unser Leben gelernt. Man lernt, indem man vor bestimmten Dingen oder Situationen Angst hat, um dann die entscheidenden Schritte zu gehen, diese Angst zu überwinden. So gesehen, ist Angst die Grundlage eines jeden Lernprozesses im Leben.
Kinderbuch-Couch:
Und wenn ein Kind an dieser Stelle allein gelassen wird, macht die unbewältigte Angst wahrscheinlich ein Leben lang Probleme?
Angelika Bartram/Jan-Uwe Rogge:
Ja, so ist es leider häufig. Wenn Kinder in kleinen Dingen mit ihrer Angst allein gelassen werden, dann wird es letztlich immer mehr. Und deswegen ist gerade der Satz "Du musst keine Angst haben" im Prinzip ein ganz furchtbarer Satz für Kinder. Und das auf mehreren Ebenen: Sie fühlen sich alleingelassen in ihrer Art der Weltauffassung. Ein Kind denkt, dass es doch nun einmal Angst hat und man sagt ihm, dass es einfach keine zu haben braucht. Es glaubt, dass irgendetwas doch nicht mit ihm stimmen kann – es sieht nun einmal das fürchterliche Krokodil hinter der Gardine. Für das Kind ist das eine unverrückbare Tatsache. So ist das Kind gezwungen, seine eigene Wahrnehmung in Frage zu stellen. Wenn Kinder diese Erfahrung des öfteren machen, dann trauen sie sich schließlich gar nicht mehr, über ihre Ängste zu sprechen und so landet diese Angst unweigerlich in anderen Kanälen.
Kinderbuch-Couch:
Also wenn Eltern konstruktiv mit den "Geschichten die stark machen" arbeiten, dann kann es den Eltern helfen, besser auf das Kind einzugehen - und die Einheit Eltern/Geschichte hilft wiederum dem Kind, da es sich in seiner Angst angenommen fühlt?
Angelika Bartram/Jan-Uwe Rogge:
Ja, wir glauben, wenn Eltern einmal über die Geschichte verstehen gelernt haben, was es heißt, auf das Kind einzugehen, wird es wirklich schnell "Klick" machen. Sie werden sich sagen, ja, klar, aus dieser Perspektive habe ich das noch gar nicht gesehen. Sie begreifen damit, in welcher Welt ihr Kind lebt. Aus Sicht des Kindes gehen die Angst-Phantasien und unsere Realität fließend ineinander über. Gerade die jüngeren Kinder ziehen die Grenze zwischen Realität und Phantasie noch nicht und ein erster, sehr wichtiger Schritt ist es, diese übergreifenden Phantasien wirklich ernst zu nehmen.
Kinderbuch-Couch:
Wie kam es eigentlich, dass der bekannte "Experte für Erziehungsfragen" und die erfolgreiche Autorin für Theater, Hörfunk und Fernsehen sich für dieses Projekt zusammenfanden?
Angelika Bartram:
Das hat wirklich eine lange Vorgeschichte. Das Projekt "Spiele gegen Ängste" wollten wir schon vor vielen Jahren zusammen machen. Aber wie das so ist, alles hat seine Zeit. Ich habe ja mit Theater für Kinder angefangen und dann auch sehr viel Comedy im Erwachsenenbereich gemacht. Schließlich holte mich die "Sesamstrasse" als Headautorin, um ein neues Comedy-Konzept zu etablieren. Dort arbeitete ich drei Jahre sehr eng mit den New Yorker Machern der "Sesame-Street". Dadurch hat sich für mich ein Kreis geschlossen und ich habe gemerkt, dass ich die Erfahrungen, die ich im Comedy-Bereich gemacht habe, ganz anders für den Kinderbereich verarbeiten konnte. Und da auch Jan-Uwe Rogge die Sesamstrasse betreut hat, kamen wir nach Jahren an diesem Punkt wieder zusammen. Schnell war die Idee geboren, dass wir etwas zusammen machen und diesen Weg zusammen gehen werden. In der Beschäftigung mit dem Thema wurde es zunehmend klar, wie wichtig es ist, für das emotionale Lernen der Kinder eine Bresche zu schlagen. Wie ich schon sagte, in den vorangegangenen Jahren ist nicht viel in dieser Hinsicht geschehen. Ich denke, es liegt auch daran, dass wir Erwachsene immer darauf gedrillt werden, mit Emotionen anders umzugehen. Man ist so rational, muss funktionieren, und verliert so den anderen Ansatz, der aber für die Entwicklung der Kinder so wichtig wäre.
Kinderbuch-Couch:
Wie ergänzen Sie sich in Ihrer Kompetenz? Salopp gesagt, ist es so, dass Herr Jan-Uwe Rogge viel von seinem Fachwissen einbringt und Sie, Frau Bartram, bringen Ihren Humor und Ihr schriftstellerisches Talent ein?
Angelika Bartram:
Ja, genau. Aber was hier zudem noch ein echter Glücksfall ist, ist die Tatsache, dass Jan-Uwe Rogge schon immer seine Sachen mit sehr viel Humor geschrieben hat. Wir haben den gleichen Humor und können über die gleichen Dinge lachen. Gerade wenn man an einer Sache noch ganz frisch arbeitet, ist es so wichtig, sich auf derselben Ebene zu bewegen. Und dadurch können auch wieder ganz neue Sachen entstehen.
Kinderbuch-Couch:
Was möchten Sie beide den Eltern mit auf den Weg geben, damit sie ihren Kindern verlässliche Partner sind?
Angelika Bartram/Jan-Uwe Rogge:
Es ist wunderbar, wenn Eltern den Mut haben, das eigene innere Kind auch in sich wieder zu entdecken. Denn in dem Augenblick, in dem sie sich da hineinfallen lassen, werden sie auch noch einmal einen ganz anderen Zugang zu ihren eigenen Kindern finden. Und das wichtigste in der Angst-Bewältigung ist der elterliche Zugang. Wenn man an diesem Punkt ist, kann man auch gegenseitig anders mit Ängsten umgehen. Und wir glauben, wenn Kinder sich auf dieser Ebene angenommen fühlen, finden sie dann ganz von selbst einen Weg, ganz erstaunliche Ideen zu entwickeln, wie sie mit ihren Ängsten umgehen können – sie sind oft phantastisch, aber sie funktionieren!
Kinderbuch-Couch:
Herzlichen Dank für das Interview.
Das Interview führte Stefanie Eckmann-Schmechta.
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