Die Schreibentwicklung
Übersicht
- Die Bedeutung des Schreibenlernes in unserer Kommunikationsgesellschaft
- Anfänge des Schriftspracherwerbs
- Stufen der Rechtschreibentwicklung
- Sprachgefühl
1. Die Bedeutung des Schreibenlernes in unserer Kommunikationsgesellschaft
Man sollte meinen, dass in unserem Bildungssystem keiner untergeht und Lesen und Schreiben selbstverständlich ist. Allerdings haben unterschiedliche Studien (z. B. PISA und Iglu) ergeben, dass es große Defizite gibt und die Zahl der Analphabeten erschreckend hoch ist.
Dabei ist das Lesen- und Schreibenlernen von so großer Bedeutung! Schreiben gilt als Voraussetzung für den Aufbau komplexer Wissensstrukturen, dient dem Erstellen eigener Texte (Tagebuch, Briefe, E-Mails, SMS u. v. m.). Somit ist Schreiben eine notwendige Bedingung für Kommunikation und gesellschaftliche Teilhabe. Deshalb ist es wichtig, dass Eltern schon frühzeitig die Bedeutung der Schriftsprache an ihre Kinder weitergeben, dies kann geschehen durch das Schreiben von Postkarten, Briefen, … . Tipp: Lassen Sie ihre Kinder die Urlaubspostkarten doch einfach mal selber schreiben. Oma freut sich darüber genauso wie Ihre Sprösslinge!
In der Vergangenheit wurden häufig die typischen Fehler gemacht, die wir auch noch aus unseren Kindertagen „abgespeichert“ haben. Etwa, dass die Kindern in ihrem Gefühl nicht ernst genommen wurden („Red´ doch keinen Unsinn: Es gibt keine Geister!“) oder allein gelassen wurden („Davor braucht so ein großer Junge/großes Mädchen wie Du doch keine Angst haben…“). Heute weiß man, dass dies keine adäquate Reaktionen auf die ganz natürlich auftretenden Ängste sind. Denn mit der zunehmenden Bewusstwerdung des Kindes werden auch seine Ängste immer komplexer. Sie sind ein Zeichen ihrer Reifung – ihrer gesunden Entwicklung. So sind die Sorgen und Nöte eines dreijährigen Kindes nicht einfach abzutun; für das Kind sind sie ebenso schwerwiegend, wie für uns so manche Krise die wir im Erwachsenenleben zu überstehen haben.
2. Anfänge des Schriftspracherwerbs
Bereits weit vor dem Eintritt in die Grundschule beginnen die Anfänge des Lesen- und Schreibenlernens. Zunächst erfolgt die Auseinandersetzung mit Zeichen und Symbolen, wie ein „U“ für U- Bahn oder ein „P“ wie Parkplatz.
Das erste Wort, das Kinder eigenständig schreiben, ist meist der eigene Name. Kurz darauf werden einfache Worte wie „MAMA“, „PAPA“ oder „OMA“ den bereits erworbenen Kenntnissen hinzugefügt. Aufbauend auf dem wachsenden Niveau im Schreiben erkennt das Kind bald einen Zusammenhang zwischen dem Gehörten und den Buchstaben.
Sobald Eltern beobachten können, dass ein Kind beginnt, ein Wort zu entschlüsseln, beginnt die alphabetische Systematik auch beim Lesen. Wenn beim Lesen eine gewisse Sicherheit aufgetreten ist, erkennt ein Kind allmählich Wortbausteine und orthographische Elemente wie z. B. Silben oder Ähnliches. Diese Strategie wird dann später auch beim Schreiben angewandt.
3. Stufen der Rechtschreibentwicklung
Es gibt unterschiedliche Modelle der Rechtschreibentwicklung. Vielfach wurden die Modelle in den letzten Jahren in der Schriftsprachenforschung untersucht, diskutiert, erweitert und differenziert. Da festgestellt wurde, dass eine zu starke Konzentration auf die einzelnen Stufen vorgenommen wurde, also ein gewisses „Schubladen“- (Stufen-)Denken auch seitens Erziehern und Pädagogen vorherrschte, wurden unterschiedliche Modelle entwickelt. Eltern dürfen nicht davon ausgehen, dass ihr Kind die gleiche Stufe in der gleichen Zeit durchlebt wie andere Kinder – Abweichungen sind nur natürlich!
Deshalb ist auch das folgende Stufenmodell (nach Scheerer-Neumann) nur als grobe Orientierung zu verstehen! Dieses Modell ist in acht Phasen unterteilt. Durch die vielen Stufen wird erkennbar, dass ein kleinschrittiger Aneignungsprozess für die allgemein als sehr komplex geltende deutsche Sprache notwendig ist.
Phasen | MerkmalErläuterung | |
0. willkürliche Phase | Pseudowörter, Kritzelschrift | real existierende Wörter werden verfremdet, das Geschriebene ist noch nicht zu entziffern |
1. logographische Phase | Buchstabenvertauschungen | AOP bzw. OAP für Opa. Die Buchstaben sind weitestgehend bekannt, jedoch erfolgt noch keine eindeutige Zuordnung von Laut und Graph. |
2. beginnende (rudimentäre) phonemische Strategie | Reduzierung auf Wortbestandteile | TG für Tiger, HS für Haus. Beginnende Laut-Buchstaben-Zuordnung. |
3a. entfaltete phonemische Phase | einzelne Buchstaben gehen verloren | Woke für Wolke. Das Schriftbild ist fast vollständig. |
3b. voll entfaltete phonemische Phase | Kinder schreiben nach Gehör | Phaul für Paul, Khint für Kind. Das Schriftbild ist jetzt leserlich und verständlich, auch wenn gewisse Fehler auftreten. |
4. entfaltete phonemische Phase, korrigiert durch strukturelle Regelmäßigkeiten | Kinder schreiben nach Gehör | kallt für kalt. Unterschied zur Phase 3b: es treten nur noch spezifische Fehler auf. |
5. weiteres Erkennen und Anwenden orthographischer Strukturen | Verwechslung ähnlich klingender Laute | Rezebt für Rezept, vertig für fertig |
6. Automatisierung | Keine Laut- Buchstaben- Zuordnung mehr notwendig. | erlernte Wörter können abgerufen werden, es werden kaum noch eigene Konstruktionen gebildet. |
Wie man in dieser Übersicht erkennen kann, durchlaufen die Kinder mehrere Phasen, die bereits vor dem Eintritt in die erste Klasse beginnen. Es gibt keine eindeutigen Zeitfenster, an denen messbar wäre, wie weit das Kind in seiner Entwicklung fortgeschritten ist. Man kann aber davon ausgehen, dass die Stufen aufeinander aufbauen und nacheinander durchlaufen werden. Den Entwicklungsstand lässt sich oft, aber keinesfalls immer, anhand der phasentypischen Merkmale vermuten. So kann es sein, dass ihr Kind auch schon in der logographischen Phase zwischendurch „Opa“ bereits richtig schreibt. Dies ist dann aber nicht zwingend der Beweis, dass ihr Kind diese Phase schon erfolgreich abgeschlossen hat.
Das dargestellte Stufenmodell wurde in den einzelnen Phasen zur Diagnostik und bei der Konstruktion von Unterrichtseinheiten eingesetzt. So wird phasentypisch in der entfalteten phonemischen Stufe im Unterricht das Schreibjournal angewandt, in dem tagebuchähnlich Erlebnisse oder Notizen festgehalten werden.
Fehler werden aufgrund dieses Modells nicht zwingend korrigiert, sondern dienen als Kennzeichen der einzelnen Lernprozesse. Anders, als es vielleicht noch den meisten Erwachsenen bekannt ist, steht nicht mehr die Vermeidung der Fehler im Vordergrund, sondern die Kinder erhalten aufgrund ihrer Fehler neue Einsichten, mit denen dann ein Übergang in eine nachfolgende Phase möglich ist.
Auch Sie als Eltern sollten ihr Kind bei freiwilligen Schreibbemühungen nicht in der Rechtschreibung korrigieren, sondern positiv unterstützen.
4. Sprachgefühl
Das Sprachgefühl, in der Fachwissenschaft als phonologische Bewusstheit bezeichnet, umfasst die Fähigkeit, die Sprache als ein aus Segmenten (verschiedenen Teilen) bestehendes Gebilde zu betrachten.
Phonologische Bewusstheit entwickelt sich in der Auseinandersetzung mit den Einheiten der geschriebenen Sprache. Sie ist nicht einfach da, sondern muss mühevoll erlernt werden. Sie ist einerseits Bedingung und andererseits Teil des Schriftspracherwerbs. Ohne eine intaktes Sprachgefühl ist es nicht auszuschließen, dass sich die Entwicklung des Schriftspracherwerbs verzögert und es zu Leistungsschwächen (Lese-Rechtschreibschwächen) kommen kann.
Das heißt also, dass Kinder ohne eine gewisse Sprachsicherheit wohl auch schwerer bzw. langsamer Fortschritte im Schriftspracherwerb machen werden.
Im Rahmen der phonologischen Bewusstheit werden einfache Fähigkeiten, wie z. B. Reimerkennung und Gliederung von Wörtern erworben, die auch häufig schon vor dem Schuleintritt bewältigt werden können. Später sind Kinder auch in der Lage, Laute miteinander zu verbinden und Anfangslaute zu erkennen. Diese Fähigkeiten sind schon wesentlich komplexer und werden meist erst bei der Auseinandersetzung mit dem alphabetischen Schriftsystem beendet, sie beziehen sich nicht mehr nur auf den sprechrhythmischen Hintergrund.
Tipps zur Förderung des Sprachgefühls:
Eine Verknüpfung des Sprachgefühls mit der alphabetischen Strategie ist unerlässlich. Durch spielerischen Umgang mit Zeichen und Buchstaben (Kritzeln oder Nachmalen) haben Kinder erste Kontakte mit Buchstaben. Mit Hilfe des Nachahmens von Erwachsenen oder älteren Kindern entnehmen die Lernenden den Schriftzeichen eine gewisse Bedeutung.
Auch das Sprachbewusstsein und die Schriftspracherfahrung erfordern eine Unterstützung durch äußere Anreize, welche unter anderem von Kindertagesstätten, Kindergärten und der Familie erfolgen sollten. Jede Förderung benötigt eine angemessene Dauer, somit ist es wichtig, hiermit schon früh zu beginnen und diese konsequent fortzuführen.
Mögliche Maßnahmen, auch für die Unterstützung zu Hause, sind:
- Bi-Ba-Butzemann-Spiel
- Silben segmentieren: zählen, klatschen
- Abzählverse
- Reimen bzw. Reimpaare finden (Haus-Maus)
- Wörter mit gleichem Anfangslaut sammeln
- Buchstabenkette
- Sprechverse
- Zungenbrecher
- Vorlesen
Neue Kommentare