Opapa und Omami
Großeltern schenken Enkeln Zeit, Geld und viel Liebe – und es gibt immer mehr Kinderbücher, in denen Oma und Opa die Hauptrollen spielen.
Nico und sein Opa erleben ziemlich viel zusammen und zusammen mit Nicos kleinen Freunden und deren Großeltern noch viel mehr, nachzulesen im frisch erschienen Buch Von Großeltern, Piranhas und vielem mehr. Viele Kinder werden das aus ihrem eigenen Alltag kennen. Wo es bei den Eltern immer schnell gehen muss, haben Großeltern Zeit. Sie begutachten jedes Schaufenster, jede Baustelle und jedes bunte Blatt auf dem Boden ausführlich, gehen mit den Kindern schwimmen, in den Zoo oder ins Museum, lesen Bücher vor und backen Pfannkuchen, wann und so viel das Kleine nur möchte.
Auch ihren erwachsenen Kindern helfen sie viel, bezahlen das Bettchen oder die Putzfrau und versorgen den Nachwuchs, wenn die Eltern zum Frisör oder ins Kino wollen, krank sind oder arbeiten gehen – im deutschen Durchschnitt 35 Stunden pro Monat. Rund um die Welt ist das nicht viel anders, viele afrikanische Kinder siedeln für Wochen und Monate gleich ganz zu den Großeltern um, weil die Eltern hunderte Kilometer entfernt Arbeit haben; osteuropäische Kinder ebenso. Die Eltern sind als Pflegekräfte oder Erntearbeiter im Ausland, die Kinder bei Babuschka. Und in manchen Ländern Asiens lebt die Oma üblicherweise im gleichen Haus mit Kindern und Enkeln.
Um ein deutsch-chinesisches Mädchen und ihre chinesischen Großeltern geht es in Sommerferien in Peking. Lisa hat Sehnsucht nach den Großeltern, die nach wie vor in China leben. Das ist weit weg, aber weil Lisas Mutter als gute Tochter immer auf das hört, was ihre Eltern ihr sagen, überredet Lisa Oma und Opa, dass die ihre Enkelin hochoffiziell zu den Sommerferien einladen. Dann muss die Mutter es erlauben.
Großelterngeschichten aus anderen Ländern sind allerdings eher die Ausnahme auf dem deutschen Buchmarkt. Alltagsthemen von hierzulande erscheinen dafür umso mehr. In diesen Büchern sind Omas und Opas durchaus besondere Persönlichkeiten, aber jedes Buch enthält auch viel Gemeinsames, was die Beziehung zwischen Großeltern und ihren Enkelkindern ausmacht. So finden sich die echten Kinder und Großeltern auch gut wieder in den Geschichten.
Auf der Kinderbuch-Couch finden Sie einige davon:
Glückliche Kinder, die solche Bilderbuch-Großeltern haben – besonders, weil es die eigentlich gar nicht geben dürfte, zumindest Oma nicht. Denn nach Darwins reiner Lehre der Evolution belohnt die natürliche Selektion Fortpflanzungserfolge – wer nicht mehr fruchtbar ist, wie zum Beispiel Säugetierweibchen, der lebt nicht mehr lange. Dass die menschlichen Weibchen nach den Wechseljahren durchaus noch mal so lange leben wie vorher, kann man aber schlüssig erklären: „Ältere Mitglieder einer Sippe ermöglichen es, den Jungen Wissen zu sammeln und spezielle Kenntnisse und Erfahrungen und auch (materielle) Werte an die folgenden Generationen weiterzugeben“, so formulieren es Evolutions-Wissenschaftler. Es braucht ein Rudel, um ein Kind großzuziehen; oder: ein Dorf. All das, was die Großeltern so machen, Babysitten, Geld schenken, Kuchen backen, Beistand leisten, nennt sich indirekte Brutpflege und dürfte der Grund sein für die Existenz von Großmüttern. Denn dank indirekter Brutpflege kommen mehr Enkelkinder besser durchs Leben – und damit großmütterliche Gene. Was sich als indirekter Fortpflanzungserfolg auch vor Darwin rechtfertigen lässt, und dann passt alles wieder.
Je früher die Beziehung zu solchen Großeltern-Figuren beginnt – am besten noch in der Babyzeit – desto sicherer und wirksamer ist sie. Manche Eltern überlassen da das Kind noch ungern, zu ungleich sind oft die Vorstellung über die aktuell richtige Ernährung und Pädagogik. Für die Kinder ist das aber in der Regel kein Problem. Sie können durchaus zwischen verschiedenen Systemen unterscheiden, und dass man bei Oma und Opa weniger Schimpfwörter sagen, aber dafür mehr Schokolade essen darf.
Sicherlich werden Kinder auch ohne Großeltern erwachsen. Nicht alle haben schließlich engagierte Großeltern wie Nico und seine Freunde. Manche sind auch schon tot, krank, zu alt, haben kein Interesse oder leben zu weit weg. Dass sich Großeltern nicht kümmern, ist selten Thema im Buch, kennen wir aber alle aus dem Klassiker Der kleine Lord. Aber auch hier geht es am Ende herzensgut aus.
Wie es für ein Kind ohne Großeltern ist, solche „Heile-Welt“-Bücher zu lesen, ist nicht erforscht. Vielleicht zwiespältig, vielleicht aber auch ein Anlass, über die eigene Situation zu reden, oder im erweiterten Bekannten- und Verwandtenkreis Großelternfiguren zu suchen, die die Lücke ein bisschen füllen. In manchen Städten gibt es Patenoma-Vermittlungen und vielleicht ist ja auch der alleinstehende ältere Herr von links unten ein guter Ersatz-Opa oder Mamas angeheirateter Cousin. Und: vielleicht erzeugt ein gutes Buch in großelternlosen Kindern ein Gefühl dafür, wie es auch sein könnte; vielleicht finden sie so ein kleines Vorbild für sich selbst, wenn sie denn auch mal irgendwann Enkelkinder haben – wenn die echten Großeltern schon nicht als Rollenmodell taugen.
Wenn es ernst wird im Großelternthema im Kinderbuch, dann dreht es sich meist um Demenz. Auch in Nicos Bekanntenkreis gibt es einen Opa, der zwar den Kindern gerne aus seiner Zeitung vorliest, aber es nicht mehr alleine schafft, zum Kiosk zu finden, um sich eine zukaufen.
Andere Beispiele, die durchaus lustige Geschichten um das ernste Thema erzählen und sich eignen, um mit Kindern darüber zu sprechen, finden sich auf unserer Seite:
Ganz grundsätzlich also profitieren Enkel von ihren Großeltern. Das gilt auch umgekehrt. Großeltern lernen von ihren Enkeln netflixen und Smoothies mixen, bleiben fit im Kopf, weil sie zwanzig Mal am Tag die Frage beantworten, wo denn die Sterne morgens hingehen und warum der Mond dableibt. Und: Burgen bauen, ob aus Sand, Bausteinen oder Sofakissen, ist besser als jede Physiotherapie. Kurz: Enkelkinder sind die reine Freude – und sie kennen sich mit Smartphones aus. Das sagt auch Nico an einer Stelle: Dass Opa ganz viel weiß, aber bei seinem Handy muss er, Nico, ihm immer helfen. Denn als Opa klein war, gab es Telefone nur ohne Display. Und man konnte auch wirklich nur damit telefonieren.
"Geschwister" - Sigrid Tinz, November 2020
Fotos: © istock.com/Halfpoint
Neue Kommentare