Geschwister:
Team oder Terror?

Geschwister sind Rivalen um die Liebe und Aufmerksamkeit ihrer Eltern, aber die können viel dafür tun, dass aus Brüderchen und Schwesterchen Freunde fürs Leben werden.

Geschwister prägen uns, dies wissen alle, die selbst welche haben. Wir haben sie ein Leben lang, auch dann noch, wenn die Eltern tot sind oder die Ehe geschieden ist. Im Märchen sind es oft Brüderchen und Schwesterchen, die lebensgefährliche Abenteuer miteinander durchstehen, ob Hans und Gretel, die Brüder Löwenherz oder Schneeweißchen und Rosenrot. Auch in vielen neueren Kinderbüchern oder Filmen spielen große oder kleine Geschwister oft eine wichtige Rolle für die Hauptfigur.

In „Als wir allein auf der Welt waren“ ist es ein kleiner Junge, der seinen noch kleineren Bruder beschützt und umsorgt, bis die totgeglaubten Eltern wieder auftauchen. In „Der Fluch des Phönix“ ist es ein ungleiches Zwillingspärchen in magischen Welten unterwegs. „Ich und meine Schwester Klara“ sind ein unschlagbares Chaos-Team und die vier Geschwister aus „Die schreckliche Geschichte der abscheulichen Familie Willoughby“ halten trotz ziemlich viel Streit und Zwist zusammen, wenn es darauf ankommt. In „Hallo, Herr Eisbär!“ geht es um den immer vernünftigen, bescheidenen, verantwortungsvollen großen Bruder eines behinderten Jungen, den ein Eisbär besucht, um ihm das Leben ein bisschen leichter zu machen. Und „Moone Boy – Eine Mütze voll Chaos“ ist der typische Kleine, der mit jeder Menge großen Geschwistern selbst zwar nicht so viel zu lachen hat, der Leser aber um so mehr.

Kooperation fördern, Lösungen finden

Im wahren Leben ist es selten so lustig oder so abenteuerlich oder magisch, das soll es auch gar nicht sein. Aber harmonisch schon, das wünschen wir Eltern uns, für unsere Kinder, aber auch für uns selbst, denn das Leben mit Kindern die sich nur streiten und gegeneinander ausspielen, macht keine Freude. Wichtig, damit es mit diesem friedlichen Miteinander klappt und nicht zu ständigen Rivalitäten kommt, die dann von den Eltern geschlichtet werden müssen, ist es, von Anfang an die Kooperation unter den Kindern zu fördern. Zum Beispiel sollten Eltern die Kinder nicht in eine Rolle stecken. Nach dem Motto: Der Große ist der Vernünftige, in der Mitte der Temperamentsbolzen, und dann kommt noch der kleine Sonnenschein, so in der Art. Und sie womöglich noch gegeneinander ausspielen, à la: „Nimm dir ein Beispiel an deinem kleinen Bruder. Der hat immer gute Laune.“ Selbst wenn die Rollenzuschreibungen nur positiv sind, stellt es die Kinder in eine Ecke, aus der sie dann ein Leben lang versuchen müssen, sich zu befreien.

Auch wichtig ist, nie Partei zu ergreifen, sondern nur Vermittler sein, nicht Richter. Das heißt zum Beispiel: Hat „der Große“ eine Eins geschrieben oder einen Pokal gewonnen, gibt es nicht heimlich zwei Euro, damit der kleine, nicht so erfolgreiche Sonnenschein nicht traurig oder neidisch wird. Sondern für alle Kinder eine Runde Eis zur Feier des Tages. Statt mit Nebengeschenken getröstet zu werden, helfen alle, die gerade nicht Geburtstag haben, bei den Vorbereitungen. Gibt es Streit, sucht man nicht den Schuldigen, sondern hilft den Kindern dabei, eine Lösung fürs Problem zu finden.

Damit anfangen kann man schon, wenn das zweite Kind gerade mal in Mamas Bauch ist. Auch hier kann man sich Gedanken machen: Wie sagt man es dem oder der Großen, dass Zuwachs kommt? Ob mit Babypuppe oder Ultraschallbild, feierlich oder en passant, das ist eher nebensächlich. Wichtig ist die Wortwahl, denn die machen einen feinen Unterschied zwischen Team und Konkurrenz. „Wir bekommen noch ein Baby“ ist nicht so gut wie „Du wirst bald großer Bruder sein“. Beim letzteren geht es um das Kind selbst und seine neue Rolle, beim ersteren um irgendjemand, der dazu kommt.

Was auch schön ist: Mit dem großen Kind Fotos aus dessen Babyzeit anschauen, dann weiß es, es war auch mal klein und so bedürftig und wurde ebenso umsorgt.  

Auch von einem Buch kann man sich helfen lassen. Davon gibt es viele, und einige auch auf der Kinderbuch-Couch, zum Beispiel „Bleib bloß da drin!“ oder „Olli wird großer Bruder“, „Babyalarm“ oder „Baby ist da“. Ist das Baby dann da, zeigen viele Studien und auch alle Alltagserfahrung, dass die Älteren erst mal sehr neugierig sind. Und ein bisschen scheu, weil das Kleine eben sooo klein ist. Sie sind sehr durcheinander. Das lassen sie selten direkt am Baby aus, sondern meist an den Eltern, sind launisch und nörgelig, explodieren mehrmals täglich in Wut und Tränen, wollen wieder Windeln haben, Mützchen und Schlafsack. All das ist völlig normal und unter günstigen Umständen bald wieder vorbei.

Günstige Umstände lassen sich leicht schaffen, indem Eltern dem großen Kind jeden Tag und immer wieder zeigen und bestätigen, dass sie es auch geliebt haben und immer noch lieben. Und ihm auch ein bisschen Exklusivzeit ohne Baby widmen. Das Große sollte immer die Versicherung haben, dass es auch seinen Platz hat und nicht an Babysitter und Oma und Opa abgeschoben wird. Nicht nur, zumindest. Natürlich ist es toll, wenn die Mutter Entlastung hat, weil sich jemand um das Große kümmert. Für das ist es aber genauso wichtig, dass jemand der Mutter oft auch mal das Kleine abnimmt, damit sie sich um den großen Bruder oder die große Schwester kümmern kann.

Dann kommt die Krabbelzeit, es gibt die ersten Tätlichkeiten, der Große schubst, die Kleine grabscht nach Spielzeug und Haaren. Ruhiger wird es, wenn sich ein paar Monate später das Kleine als zufriedener Statist in Einkaufen-Wir-gehen-zum-Arzt-und-Ritter-Rollenspiele integrieren lässt. Bis dann irgendwann die Streiterei um den Platz auf dem Sofa und ums Badezimmer beginnt und dann irgendwann die Pubertät.  

Auch darüber gibt es tolle Bücher. Die finden Sie dann aber eher auf der Jugendbuch-Couch.

"Geschwister" - Sigrid Tinz, September 2020
Titel-Motiv: © istock.com/Epiximages

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